DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Ansbach, Vera (geb. 29.1.1920 Darmstadt) ist die Tochter des Darmstädter Juweliers Julius Meyer und der Musikerin und Klavierlehrerin Malka, geborene Isakson oder Dorfmann, die aus Lettland stammte. Nach der Scheidung der Eltern lebte Vera mit ihrer Mutter und ihrem Bruder Hanns-Günter an verschiedenen Orten, teilweise bei der Verwandtschaft in Darmstadt, teilweise in Frankfurt/Main, auch eine Zeitlang in Berlin und in Libau (Lettland).

AnsbachVera2001
Vera Ansbach im Jahr 2001 bei einer Konferenz der Rosa-
Luxemburg-Stiftung zum Wirken der Herbert-Baum-Gruppe
(jüdisch-kommunistische Widerstandsgruppe)

Die Eltern waren jüdischer Herkunft, jedoch spielte die Religion in ihrem Leben keine Rolle; sie waren "assimiliert". Im Gegensatz zum Vater war die Mutter sehr freigeistig und politisch aufgeschlossen; sie engagierte sich in der Gesellschaft der Freunde des neuen Russland.

Zum Zeitpunkt der Machtergreifung durch die Nazis 1933 befand sich die Mutter von Vera Ansbach gerade in Lettland. Eine Rückkehr nach Deutschland kam für sie nicht mehr in Frage, nachdem der Generalsekretär der Gesellschaft der Freunde des neuen Russland nach dem Reichstagsbrand in ein KZ verschleppt und dort ermordet worden war. So blieben die Kinder ohne Mutter in Deutschland, und Vera Ansbach wuchs dann bei ihrer Pflegemutter, Frau Bertha May, auf, die in Frankfurt/Main eine Pension betrieb.

May sorgte dafür, dass Vera Ansbach getauft wurde, und zwar von einem Pfarrer, der der Bekennenden Kirche angehörte. Dieser Schritt nützte jedoch nichts; die jüdische Herkunft ließ sich unter der Nazi-Diktatur nicht auslöschen. Später, als das ganze Ausmaß der faschistischen Verbrechen hervortrat, trat Vera Ansbach aus der Kirche wieder aus. Sie meinte, ein Gott - wenn es ihn gäbe - würde solche Untaten nicht zulassen. Sie gehört zu jenen Menschen, deren Schicksal unter dem Begriff "Getauft, ausgestoßen - und vergessen?" gerade erforscht wird.

Mit 16 Jahren musste Vera Ansbach das Lyzeum verlassen, weil jüdische Schülerinnen nicht mehr geduldet wurden. Ihren Traum von einem Mathematik-Studium musste sie aufgeben. Sie lernte dann zunächst bei einem jüdischen Rechtsanwalt, dann bei einem Versicherungsmakler und schließlich in einer Bank. Andere als jüdische Arbeitgeber durften sie nicht ausbilden. Die Arbeitgeber verließen einer nach dem anderen Deutschland, aber die Lehre konnte Vera Ansbach noch abschließen.

Ostern 1939 gelang ihr die Flucht nach Großbritannien. Es war nicht leicht, Deutschland zu verlassen. Man brauchte im Zielland einen Bürgen, der für den Lebensunterhalt garantierte. Weil Hausangestellte auf dem britischen Arbeitsmarkt wohl schwer zu finden waren, gab es in Großbritannien eine Ausnahme für Hauspersonal. Außerdem waren Dienstmädchen aus Deutschland und Österreich beliebt, vielleicht weil sie sich in völliger Abhängigkeit vom Arbeitgeber befanden. Bei Verlust der Arbeit müssten sie das Land wieder verlassen.

Die Arbeit als Dienstmädchen liebte sie nicht. Da nach dem Kriegseintritt Großbritanniens die Arbeitskräfte knapp wurden, durften Ausländer auch in anderen Bereichen arbeiten. Vera nahm zunächst eine Arbeit als Kassiererin in der Gastronomie auf, erlernte dann den Beruf einer Spitzendreherin und fertigte Werkstücke, die für die Flugzeugindustrie benötigt wurden. "In einem Zuliefererbetrieb für Flugzeugbau arbeitete sie 'bis zum letzten Tag des Krieges' als Spitzendreherin, um so beim Kampf gegen den Faschismus zu helfen"schrieb die taz. Nun politisierte sie sich zunehmend, war in der Gewerkschaft aktiv und engagierte sich im Freien Deutschen Kulturbund. 1944 wurde sie Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands. In England heiratete sie Herbert Ansbach, mit dem sie 1946 nach Deutschland zurückkehrte. Sie wohnten dann in Berlin, im Häuschen der Eltern von Herbert Ansbach, die allerdings dem Mord an den Juden zum Opfer gefallen waren. Die Eheleute bekamen drei Kinder.

Ausweis Vera Ansbachs 1952
Aufbaukarte ausgestellt auf Vera Ansbach, Berlin, 1952

Vera Ansbach begann als sogenannte Neulehrerin zu arbeiten. Sie unterrichtete die deutsche und die englische Sprache. Politisch engagierte sie sich in der Sozialistischen Einheitspartei. Ein Ausweis von 1952 (siehe Bild) belegt ihre Beteiligung am Nationalen Aufbauprogramm Berlins.

Wegen ihrer Schwangerschaft musste sie allerdings die Berufstätigkeit unterbrechen, und ihr wurde dann nahegelegt, in Ostberlin in der Wirtschaftsverwaltung zu arbeiten. Sie hatte verschiedene Arbeitsstellen inne - bei der Handwerkskammer, im Berliner Stadtkontor und in der Kammer für Außenhandel der DDR. Schließlich arbeitete sie in der Handelsbank, wo sie Prokura hatte und später stellvertretende Generaldirektorin wurde. Die erforderliche Qualifikation erwarb sie sich bei einem Fernstudium der Außenhandelsökonomie.

Zum Zeitpunkt der Wende 1989 und der darauf folgenden Vereinigung der beiden deutschen Staaten war Vera Ansbach bereits Rentnerin. Sie engagierte sich in der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA). Diese Arbeit war ihr eine Herzensangelegenheit, weil sie beobachtete, wie neofaschistische Kräfte plötzlich wieder wagten, ihr Haupt zu erheben.

Von der Familie Meyer aus Darmstadt hat lediglich Julius Meyer die Herrschaft des Faschismus überlebt, und zwar im Konzentrationslager in Theresienstadt. Nach dem Krieg emigrierte er in die USA.

Vera lebt heute hochbetagt in Berlin.


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