DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Gedenkstein für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs
Gedenkstein für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs (2012)
Gedenkstein auf dem Jüdischen Friedhof (2012)

Standort: Jüdischer Friedhof (Martinstraße/Martinspfad/Seekatzstraße)

Am Sonntag, den 5. November 1922 fand die feierliche Einweihung des Denkmals zu Ehren der gefallenen jüdischen Soldaten der Stadt Darmstadt auf dem Friedhof der israelitischen Religionsgemeinde statt. An der Feierlichkeit nahmen Angehörige der Gefallenen, der Vorstand der israelitischen Religionsgemeinde, Oberbürgermeister Wilhelm Glässing, Vertreter anderer christlicher Kirchen, verschiedene Schulleiter, Vertreter des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten sowie eine größere Anzahl Darmstädter Juden teil.

In der aus diesem Anlass herausgegebenen Einladungskarte heißt es:

"Die Ortsgruppe des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten in Darmstadt empfand es als Ehrenpflicht, den im Kriege gefallenen Kameraden ein Denkmal als sichtbares Zeichen der Dankbarkeit zu errichten. Der Aufruf zu freiwilligen Spenden fand in den Herzen der Darmstädter Juden lebhaften Wiederhall. Die Wahl fiel auf einen aus Felsberg-Granit bestehenden Findling, der auf dem Friedhof der israelitischen Religionsgemeinde zur Aufstellung gelangte. …"

In den etwa 1,5 Meter hohen Felsen ist eine Bronzeplatte mit folgendem Text eingelassen:
Unseren Toten
(Es folgen 28 Namen gefallener Soldaten)
Dein Stolz, Israel, auf den Höhen erschlagen - wie sind gefallen die Helden
(in hebräischer Schrift)

Zur Einweihung hielt der Vorsitzende der Ortsgruppe Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten, Josef Thalheimer, eine Ansprache, der die folgenden Sätze entnommen sind:
Gedenkstein für gefallene jüdische Soldaten des Ersten Weltkriegs (2012)
Detail (2012)

"Wie oft werden solche Feiern, wie wir sie heute begehen, außerhalb Deutschlands, innerhalb unseres Vaterlandes um Anlass genommen, um die alten Kriegsleidenschaften wachzurufen und durch Erregung neuer Hassgefühle die Saat zu legen für neue Kriege und neue Opfer und neue Gräber! Diese Stunde soll uns ein anderes lehren. »Ein Zeuge ist dieser Stein«, ein Zeuge dafür, wohin die Menschheit kommt, wenn statt des Willens zur Verständigung und Versöhnung der Völker, der Rassen und der Klassen brutale Gewalt und Selbstsucht und uralter Hass und Rachegefühle das Szepter führen! Nein, diese Stunde predigt keinen Hass. Diese Stunde ruft im Geiste unserer Religion, im Geiste dieser Toten, dieser deutschen Juden, uns nur das eine Wort entgegen: Friede, Friede dem Fernen wie dem Nahen!
Ich nannte unsere Toten d e u t s c h e J u d e n! Als solche sind sie gefallen, als solche sprechen sie zu uns, zu denen, die ihnen nahe stehen, und die wir als deutsche Juden gleich ihnen im Kampfe uns befinden um unser Recht, im Kampfe stehen um unsere deutsche Heimat, aber nicht nur um unser Recht und unsere Freiheit und unsern Frieden, sondern um ein freieres, von Recht und Frieden erfülltes deutsches Volk und deutsches Vaterland! Vor allem sprechen die Toten zu denen, die ihnen fern stehen, zu jenen betörten, irregeleiteten Toren, zu denen, für die der Name Jude ein Schimpfwort ist, ein Makel der Geburt, den, wie sie glauben, alle Blutströme, alle noch so großen Opfer von Liebe und Hingabe nicht abzuwaschen vermögen. Zu diesen ach so fernen, irregeleiteten deutschen Brüdern sprechen diese Toten: dieser unser Stein ist Zeuge, dass Euer Fühlen irrig ist! Dieser unser Stein ist Zeuge, dass Treue, Opferwilligkeit, Heimatliebe nicht Eigenschaften einer bestimmten Rasse, eines bestimmten Volkes, eines bestimmten Glaubens, einer bestimmten Partei sind, sondern dass Sie das Kennzeichen jeder wahrhaft großen und freien Menschenseele sind, dieser Stein ist Zeuge, dass man nicht durch laute, tönende Worte, sondern nur durch stille, opferwillige Taten der Liebe und der Versöhnung ein Deutscher wird."


An der Gedächtnisfeier sprach auch Oberbürgermeister Glässing "warme Worte der Trauer und des Dankes".

Der Stein steht noch heute auf dem Jüdischen Friedhof Darmstadt und hat, wie dieser ganze Friedhof, die Nazizeit unzerstört überstanden. Das mag auch ein Verdienst von Oskar Werling sein, dem christlichen Friedhofsgärtner, der den Darmstädter Jüdischen Friedhof trotz Verbotes unbeirrt die ganze Zeit der NS-Diktatur über gepflegt hat.

Q: [1] [2], Fotos: Autoren

 

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