DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Krimmel, Bernd (eigentlich Bernhard) (15.6.1926 Darmstadt - 20.12.2020 Darmstadt) war ein Darmstädter Maler, Schriftsteller und Ausstellungsmacher. Bernd Krimmel gehörte auch zu jenen, die sich dem Kriegsdienst der Nazis als "Fahnenflüchtiger" entzog (siehe Deserteure und Denkmal für den unbekannten Deserteur).

Krimmels Verhalten ist mit einem Rückblick auf die Familiengeschichte, besonders auch der Erlebnisse des Vaters im Ersten Weltkrieg, besser zu verstehen. Krimmels Jugend wurde weitreichend bestimmt durch die im Ersten Weltkrieg erlittenen Verluste seiner Familie. Die Brüder seiner Eltern waren als Kriegsfreiwillige in den ersten Kriegsjahren "gefallen". Der Vater war wegen besonderer Tapferkeit in wenigen Monaten zum Leutnant ernannt worden. In rascher Reihenfolge wurde er mit dem Eisernen Kreuz EK II, EK I und dem Hessischen Tapferkeitsorden ausgezeichnet. Im Frühjahr 1915 erlitt er an der Ostfront einen Maschinengewehrschuss ins rechte Bein. Schlimmer als die Verletzung war das drei Jahre währende Martyrium in Lazaretten und Hospitälern. Nach unzähligen missglückten Operationen war er physisch auf seinen Oberkörper reduziert mit einem in Hüfte, Knie und Fußgelenk versteiften muskellosen Beinskelett.

Die schrecklichen Folgen des Krieges standen dem heranwachsenden Bernd täglich vor Augen. Trotz seiner Behinderung nahm der Vater 1919 seine Arbeit bei der Reichsbahn wieder auf. Als Schwerstbehinderter der Deutschen Reichsbahn wurde er mit dem Verdienstorden ausgezeichnet.
Die Eltern hatten gute Beziehungen zu Juden. Die Mutter, ehrenamtlich für ein Sozialwerk der Reichsbahn tätig, wurde während der Nazizeit wegen ihrer Spendensammlung beim Kaufhaus Rothschild (heute Henschel) angezeigt.
Im März 1943 starb Bernds Bruder Georg nach einem Kopfschuss bei Nowgorod. Vier Monate später wurde Bernd Krimmel gemustert und als zeitlich untauglich zwei weitere Jahre zurückgestellt, zuletzt bis zum 10.10.1944.
Krimmels Dienstausweis der Deutschen Reichsbahn (1944)
Krimmels Dienstausweis der Deutschen Reichsbahn (1944) [1]

Krimmels Wehrpass (ab 1943)
Krimmels Wehrpass (ab 1943) [1]

Bernd Krimmel war das letzte männliche Mitglied der Familie. Schon als Heranwachsender hatte Bernd seinen Vater über Treppen und schwierige Wege auf seinen Schultern getragen. Eine solche Hilfe war für die Verwaltungsbehörde der Bahn interessant. Darum wurde er am 18.09.1944 als Reichsbahngehilfe angestellt, um die ständige Präsenz seines Vaters in der kriegswichtigen Bahnbehörde zu gewährleisten.
In der Brandnacht vom 11. zum 12. September 1944 war die Stadt Darmstadt weitgehend zerstört worden. Auch das Wehrbezirkskommando existierte nicht mehr. Nach dem Kriegsrecht hätte Krimmel sich binnen 48 Stunden bei dem nächsten Wehrkommando melden müssen. Er entschied sich dagegen und setzte darauf, zu den rund 11.000 Todesopfern der Brandnacht gerechnet zu werden. Er vertraute auf den höchst fragwürdigen Schutz bei der Bahn und hielt sich ansonsten während der nächsten Monate versteckt.

Als die amerikanischen Truppen am 20. März 1945 das linke Rheinufer bei Oppenheim erreichten, wurden auch alle Bahnbediensteten zum Volkssturm aufgerufen. Die Offenlegung des Tatbestandes der Desertion wäre unvermeidlich gewesen. Deshalb entschlossen sich Vater und Sohn zur Flucht aus Darmstadt. Auf amtlichen Papieren der Reichsbahn und mit Dienstsiegeln faksimilierte der Vater Dienstreisebefehle, mit denen Vater und Sohn bei ihrer Fahrt mit ihrem als Dienstfahrzeug deklarierten PKW zunächst Kontrollen entgingen.
Nach mehreren Stationen in Bahnunterkünften wurden sie Anfang April 1945 im Allgäu von einem SS-Mann gestoppt und zum Aussteigen gezwungen. Sohn Bernd trug seinen Vater auf dem Rücken zu einem Gasthof, in den sich das Wehrersatzkommando des Heeres und der Waffen-SS Wiesbaden abgesetzt hatten. Ihm wurde sofort das Zusammentreten des Standgerichts mit dem Vollzug der Todesstrafe eröffnet. Der Vater, der in der Zwischenzeit seine Orden angelegt hatte, erklärte, er sei ohne seinen Sohn nicht überlebensfähig. Ein älterer Major der Wehrmacht, ebenfalls mit Orden des Ersten Weltkriegs dekoriert, intervenierte und erreichte eine Überstellung an ein ordentliches Militärgericht, das 20 km weiter westlich in Memmingen stationiert war. Durch das rasche Vorrücken der amerikanischen Truppen löste sich das Gericht auf. Die Krimmels fuhren auf Umwegen bis nach Simbach am Inn, wo sie unter dramatischen Umständen das Ende des Krieges erlebten.

Im Herbst 1945 nahm Krimmel das bereits nach dem Abitur im März 1944 begonnene Architekturstudium an der Technischen Hochschule Darmstadt wieder auf. Gleichzeitig war er als frei schaffender Maler tätig und beteiligte sich an zahlreichen Ausstellungen.
Von 1955 bis 1960 war er Geschäftsführender Vorsitzender der Neuen Darmstädter Sezession.Er wurde 1965 zum Kunstreferenten der Stadt Darmstadt und schließlich 1975 zum Direktor des Instituts Mathildenhöhe berufen. Diese Funktion nahm er bis zu seiner auf eigenen Wunsch erreichten vorzeitigen Pensionierung im Jahr 1989 engagiert wahr.

Zwischen 1963 und 1988 initiierte er u. a. folgende Ausstellungen:

Themenausstellungen:

1963-1988: Zeugnisse der Angst Mathildenhöhe Darmstadt

Menschenbilder; Realismus und Realität

Ein Dokument Deutscher Kunst 1901

Darmstädter Jugendstil

Simplicissimus

Darmstadt in der Zeit der Romantik und des Klassizismus

Die Düsseldorfer Malerschule

Symmetrie in Kunst, Natur und Wissenschaft

Georg Büchner zum 150. Todestag

Tschechische Kunst der 20er und 30er Jahre

Die Künstlerkolonie Darmstadt

1964 I. Internationale der Zeichnung

1967 II. Internationale der Zeichnung

1970 III. Internationale der Zeichnung

seit 1966 Einzelausstellungen mit italienischen Künstlern:
Bildhauer: Marino Marini, Giuliano Vangi, Arnaldo Pomodoro; Maler: Renato Guttuso, Giorgio Morandi, Afro, Leonardo Cremonini, Domenico Gnoli, Emilio Scanavino, Michelangelo Pistoletto, Zoran Music

seit 1969 französische Künstler:
Bildhauer Jean Ipoustéguy, Jean Amado; Maler: Alechinsky, Boris Zaborov

seit 1969 englische Künstler:
Bildhauer Henri Moore; Maler: Sidney Nolan, Hector McDonnell, Graham Sutherland

seit 1970 deutsche/Darmstädter Künstler:
Maler: Eugen Bracht, Eberhard Schlotter, Klaus Fußmann, Peter Ackermann, Josef Wittlich; Bildhauer: Wilhelm Loth, Lothar Fischer, Michael Schoenholtz, Richard Hess; Architekten: Josef Maria Olbrich

seit 1972 spanische Künstler:
Maler Jorge Castillo

seit 1980 tschechische Künstler:
Alfons Mucha

1968 Organisation der Ausstellung "Menschenbilder". Gegen die damals in der BRD verordnete Hallstein-Doktrin stellte Krimmel erstmals Künstler des "Sozialistischen Realismus" der DDR vor.


Eine ganz hervorragende Wandtafel gestaltete er im Frühjahr 1965 in Erinnerung an den von Nazis ermordeten dänischen Matrosen Kim Malte-Bruun im Foyer der Lichtenbergschule (LuO), Ludwigshöhstraße 105.

Die Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt verzeichnet 48 Veröffentlichungen von Krimmel. Er wurde vielfach ausgezeichnet, so z. B. 1981 mit dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse und 2002 mit der Goethe-Plakette des Hessischen Kultusministeriums.

Krimmels Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt.

Q: [1] [2], Abbildungen: [1]

 

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