DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Schubert, Heinrich (23.2.1916 Darmstadt -19.5.2009 Darmstadt) besuchte von Ostern 1922 bis 1926 die Grundschule und legte im März 1935 das Abitur an der Ludwigs-Oberrealschule in Darmstadt ab. Er leistete anschließend von April bis September freiwillig Reichsarbeitsdienst bei der Technischen Abteilung in Darmstadt und war ab Oktober bei der Wehrmacht. In einer Aufstellung für das Bundesarchiv heißt es weiter:

"Oktober 1935 bis September 1937 Wehrmacht 'Heer' Reiterregiment 17 bzw. Kavallerie Regiment 17 5. Schwadron Hamberg,
ab September 1939 Wehrmacht Heer, Kavallerie Regiment 6 Darmstadt.
Dann Aufklärungsabteilung 36 und Aufklärungsabteilung 34 bis Mai 1945 – dann amerikanische Kriegsgefangenschaft in Italien. Entlassung in Bad Aibling im August 1945 nach Schneppenhausen bei Darmstadt"

Von Oktober 1937 bis März 1938 absolvierte er ein Praktikum an der Technischen Hochschule Darmstadt und studierte dort vom März 1938 bis August 1939 Elektrotechnik.

Ende August begann seine Karriere bei der Wehrmacht, er brachte es zum Rittmeister und wurde vielfach ausgezeichnet, so 1942 mit dem Eisernen Kreuz EK I 1. Klasse und der Ostmedaille, 1943 mit dem Infanterie-Sturmabzeichen in Silber und dem Deutschen Kreuz in Gold.

Schubert wohnte in der Hügelstraße 85 (auch noch im Jahre 1971) und später in der Rückertstraße 37.

Am 11.8.2001 informierte die Darmstädter "Fraktion für eine offene Stadt" OS/3, dass sie "Anzeige gegen potentiellen Kriegsverbrecher" erstattet habe. Dort heißt es:

"In der italienischen Tageszeitung 'La Republica' vom 24.04.2001 entdeckten Mitarbeiter der Fraktion auf Seite 21 einen Artikel über die Verbrechen eines 'Kapitän der Kavallerie der Wehrmacht' namens Heinrich Schubert, welcher 1944 in Italien schwere Verbrechen begangen haben soll." Konkret wird Schubert der Mord an 13 Arbeitern und dem Berufungsgerichtsrat Dr. Carlo Alberto Ferrero zur Last gelegt. "Der Richter Ferrero hatte sich geweigert, Sanktionen gegen Angehörige von Wehrdienstverweigerern mitzutragen und soll deshalb infolge dessen von Schubert gefoltert und eigenhändig erschossen worden sein." Der Artikel von Alberto Custodero lautete "Der ruhige Lebensabend des Nazihenkers von Chiusa (Tirol) - Geometer im Ruhestand, angeklagt für das Blutbad von 1944".

In diesem Bericht heißt es u. a.:
"Der Nazi-Ex-Offizier, heute 85 Jahre alt und geschätzter Geometer im Ruhestand in Darmstadt, wird von Staatsanwälten des Militärs in Turin ... für das Blutbad vom 19.12.1944 in Chiuso Pesio in der Provinz Cuneo angeklagt wegen Mordes an italienischen Staatsbürgern. Insgesamt gab es 14 Opfer, unter ihnen war auch Dr. Carlo Alberto Ferrero, Berufungsgerichtsrat in Turin. Denunziert von der faschistischen Brigate Nere (Schwarze Brigade), weil er die Sanktionen zu Lasten der Angehörigen von Wehrdienstverweigerern als 'ohne jede juristische Grundlage' bezeichnet hatte, wurde der Magistrat von Schubert festgenommen und gezwungen, durch das Dorf zu gehen mit einem Schild um den Hals mit der Aufschrift 'Verräter' und den Händen hinter dem Rücken gefesselt. Dann wurde er im Gesicht ausgepeitscht bis zur Unkenntlichkeit und schließlich, ohne jeden Prozeß, erschossen. ... Der Prozeß für den Mord an dem hohen Magistrat, der schon unter faschistischer Justiz begonnen hatte, ... , war dann nach der Befreiung am 11.02.1946 vom Kriegsminister des Reiches Italien eingeleitet worden, der verlangt hatte 'gegen Kapitän Schubert vorzugehen' und gegen drei weitere Offiziere... . Die Republik Italien hat dann die Untersuchungen 14 Jahre lang fortgesetzt (die Morde zu Lasten von Schubert sind in der Zwischenzeit auf 14 angewachsen), bis sie dann 1960, man weiß nicht warum, von der Militärstaatsanwaltschaft archiviert wurden. Die Akte wurde 1997 (nach den Ereignissen um Priebke) wieder geöffnet und befindet sich jetzt in der Abschlußphase."

Die Anzeige hatte eine rege Medienberichterstattung zur Folge:

Kriegsverbrecher in Darmstadt? Fraktion OS/3 erstattet Anzeige bei Staatsanwaltschaft (FR 14.8.2001)

OS/3 zeigt mutmaßlichen Kriegsverbrecher an (FAZ 17.8.2001)

Kriegsverbrechen - Nun Ermittlungen auch in Deutschland (FR 17.8.2001)

Kriegsverbrechen: Ermittlungen bestätigt (FAZ 18.8.2001)

Nazi-Kriegsverbrecher in Darmstadt (Sonntag-Morgen-Magazin 19.8.2001)

Nazi-Verbrechen - Nach 60 Jahren späte Gerechtigkeit? Wehrmachts-Hauptmann in Italien angeklagt (Neues Deutschland 1./2.9.2001)

Am 3.5.2003 berichtete das Darmstädter Echo (DE) in einem längeren Artikel ("Gräueltaten in Norditalien") über das Ermittlungsverfahren. Da der Fall fast 60 Jahre zurück liege, seien die Nachforschungen sehr mühselig und zeitraubend. Auf Grund zweier Rechtshilfeersuchen erhielt die Staatsanwalt von Turin rund 500 kopierte Seiten aus den Unterlagen der italienischen Justiz. Im Rahmen der Ermittlungen wurden auch Anfragen an das Hessische Landeskriminalamt, die Zentralstelle für NS-Verbrechen in Ludwigsburg, die Wehrmachtsauskunftsstelle, das Bundesarchiv und die sog. Gauck-Behörde gerichtet. Die bisherigen Ermittlungen hätten ergeben, dass sich der Beschuldigte in der fraglichen Zeit als Chef einer Aufklärungseinheit im Raum Cuneo aufgehalten habe.

Das DE berichtete am 16. Januar 2004 erneut über die langwierigen Ermittlungen. In der Zwischenzeit seien in Deutschland zwei Zeugen vernommen worden. Auch die Turiner Staatsanwaltschaft habe in der Umgebung des Tatorts Zeugen ausfindig gemacht. Auch seien mit einem italienischen Historiker Gespräche geführt worden, der u. a. in Gemeindearchiven recherchiert habe. Heinrich Schubert bestreite nach Auskunft seines Verteidigers Hans Kling die Vorwürfe.

Im Oktober 2004 berichtete das DE, dass italienische Strafverfolger Schubert vernommen hätten. Das italienische Ermittlungsverfahren laufe parallel zu dem in Darmstadt.

In einem Schreiben der Staatsanwaltschaft Darmstadt an den Anzeigeerstatter vom 3.7.2009 heißt es:

"Schubert wurde von der Staatsanwaltschaft zur Last gelegt, als Kommandeur des der 34. Infanterie-Division unterstellten Stab-Füsilierbataillons 34 der Deutschen Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges im Rahmen der Bekämpfung von Partisanen in Italien am 19.12.1944 nahe der Ortschaft Chiusa Pesio den Landgerichtsrat Dr. Carlo Alberto Ferrero und eine Person namens Mauro Bernardo nach Durchführung eines standgerichtlichen Verfahrens ermordet zu haben. Zudem soll er strafrechtlich dafür verantwortlich sein, dass Angehörige seiner Einheit bei Durchkämmaktionen im Gebiet von Chiusa Pesio im Zeitraum vom 11.12.1944 bis 18.12.1944 mindestens 12 Zivilisten (Arbeiter und Bauern) ermordeten."

In seiner Rede zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar 2005 erwähnte der Darmstädter Oberbürgermeister Peter Benz neben dem aus Darmstadt stammenden NS-Verbrechern Hans Stark auch Heinrich Schubert:

"So ließ etwa der aus Darmstadt stammende Wehrmachtsoffizier Heinrich Schubert im Dezember 1944 in Norditalien ein Dutzend Zivillisten und einen Turiner Richter ohne Gerichtsverfahren erschießen. ... ."

In seiner Rede zur Ausstellungseröffnung des Deutschen Polen Instituts zu den Verbrechen der Wehrmacht in Polen im Justus-Liebig-Haus im August 2005 ging der neue Oberbürgermeister Walter Hoffmann ebenfalls auf die Darmstädter Nazi-Verbrecher ein und erwähnte neben Werner Best auch Heinrich Schubert.

Am 17. Mai 2009 - das Ermittlungsverfahren läuft inzwischen seit acht Jahren – fand vor dem Wohnhaus des Schubert eine Demonstration statt. Anlass war eine Meldung im Hessischen Rundfunk, wonach das Verfahren wahrscheinlich eingestellt werden solle. Von der Polizei verlautete, dass Schubert inzwischen in einem Altersheim lebe.

Zwei Tage später starb Schubert. Seit Erstattung der Anzeige vergingen fast acht Jahre. Die Staatsanwalt schaltete in die Ermittlungen sowohl deutsche als auch italienische Behörden ein. Die italienischen Dokumente mussten übersetzt werden. Es sammelten sich mehrere tausend Seiten Dokumente an. Der Beschuldigte bestritt alle Vorwürfe. Der Anwalt erklärte bereits 2005, dass sein Mandant weder verhandlungs- noch vernehmungsfähig sei. Mehrere Ladungen zur Gerichtsmedizin wurden wegen Krankheit nicht wahrgenommen. Da es bei einer Anklageerhebung aber auf Gerichtsfestigkeit ankomme und der Verteidiger seinen Mandanten mit aller Kraft verteidigen würde, war wohl eine intensive Recherche nach Fakten und Zeugen notwendig.

Dennoch bleibt die Frage, ob nicht durch eine Personalverstärkung bei Polizei und Staatsanwaltschaft eine Beschleunigung der ja sehr aufwändigen Ermittlungen und damit eine Anklage vor Gericht hätten erfolgen können.

Es ist immer unbefriedigend, wenn nach langwierigen und schwierigen Ermittlungen ein Verfahren wegen Verhandlungsunfähigkeit oder Tod des Beschuldigten eingestellt werden muss. Zumal, wenn die Fakten eine Verurteilung wahrscheinlich gemacht hätten.
 

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