DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Scriba, Ludwig (1.4.1885 Frankfurt-Höchst - 29.4.1968 Bad Soden), war Sohn eines Diplom-Ingenieurs und Fabrikanten in Frankfurt-Höchst, studierte nach Bestehen der Reifeprüfung am 17. März 1903 bis 1906 Rechtswissenschaften, bestand 1906 die 1. juristische Prüfung mit "ausreichend" und die große Staatsprüfung am 10. Januar 1912 ebenfalls mit "ausreichend".

Es schloss sich eine typische Juristenkarriere über den Gerichtsassessor im Jahr 1912, den Amts- und Landrichter 1920, den Landgerichtsrat in Frankfurt 1923, den Landgerichtsdirektor in Frankfurt 1934, den Landgerichtspräsidenten in Limburg 1935 bis hin zum Präsidenten des obersten Gerichts im Volksstaat Hessen, dem Oberlandesgerichts in Darmstadt ab 1. Februar 1936 an. Der Dienstsitz des Präsidenten des Oberlandesgerichts lag in der Rheinstraße 62. Dieses Amt hatte er bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen in Darmstadt am 25.3.1945 inne.

Der promovierte Jurist Scriba, der nicht gedient hatte, war von 1919 bis 1920 oder 1921 Mitglied der Deutsch-Nationalen-Volkspartei (DNVP). Bereits am 1. Dezember 1932 war Scriba in die NSDAP eingetreten.

In den Auskünften über seine "arische Abstammung" an die NSDAP gibt Scriba über seinen Vater folgende Auskünfte:

"Dr. phil. nat. h.c. Ludwig Philipp Karl Scriba, Dipl.-Ing. und Geschäftsführer einer GmbH (Eisengießerei), geboren am 1. 9.1847 in Offenbach, gestorben am 28.2.1933 in Frankfurt-Höchst."

Schon bei der Besetzung der Stelle des Landgerichtsdirektors in Frankfurt erhält er am 1. Juni 1934 schriftliche Unterstützung von Gauleiter Sprenger.

In einem Schreiben der NSDAP-Gauleitung Hessen Nassau vom 1. Juni 1935 an das Preußische Justizministerium in Berlin wird er für das Amt des Landgerichtspräsidenten in Limburg mit dem Hinweis empfohlen, dass er "sich schon vor der Machtübernahme offen zur NSDAP bekannt" habe. Er erscheine, so heißt es dort "für die Stellung des Landgerichtspräsidenten in Limburg besonders geeignet, zumal der Nationalsozialismus in diesem Bezirk zum Teil auf grössten Widerstand" stoße.

Auch die Besetzung der OLG-Präsidenten-Stelle ist nur mit Zustimmung der Partei möglich. So schreibt der Stellvertreter des Führers aus dem Braunen Haus in München unter dem 21. Dezember 1935 "dass der beabsichtigten Ernennung zum Präsidenten des Oberlandesgerichts zugestimmt wird". Zu Scribas Amtseinführung kommen Reichsjustizminister Dr. Gürtner und dessen Staatssekretär Dr. Schlegelberger nach Darmstadt. An der Amtseinführung nahmen neben Generalstaatsanwalt Dr. Eckert, die Ministerialräte Dr. Dr. Wille und Dr. Wittland und die Oberregierungsräte Dr. von Dohnanyi und Dr. Doerner teil. In seiner Dankrede unterstrich Scriba, dass "alle Arbeit dem einzigen Ziel (gelte), als treue Gefolgschaft des Führers zum Nutzen des Volkes das Recht zu wahren".

Im Januar 1937 teilt Scriba dem Reichsminister der Justiz (RMdJ) mit, dass er durch Verfügung "des Herrn Gauleiters und Reichsstatthalters zum Leiter des Kreisrechtsamtes der NSDAP für den Kreis Darmstadt berufen worden" sei.

In einem Schreiben vom 8. Oktober 1938 an den Reichsminister der Justiz teilt er seine Mitgliedschaften mit:

Darüber hinaus war er Mitglied im Bund nationalsozialistischer deutscher Juristen BNSDJ, im Reichsbund Deutscher Beamter RDB und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt NSV.

Vor seinen Beförderungen erhielt er auch im Volksstaat Hessen jeweils gute Beurteilungen.

In einem Beitrag mit dem Titel "Zu dem Aufgabengebiet des Kreisrechtsamtes - Von Kreisrechtsamtsleiter Oberlandesgerichtspräsident Dr. Ludwig Scriba" für das Programmheft des "Kreistag der NSDAP 1938", schreibt er unter anderem:

"Das im Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung am 30. Januar 1933 geltende Gesetzesrecht war unter der Herrschaft liberalistischen Denkens entstanden und vielfach durchsetzt mit fremden, insbesondere römischen Rechtsgedanken. Es war aber klar, dass die das Wesen des nationalsozialistischen Umbruchs bildende einheitliche Ausrichtung des deutschen Volkes nach den Grundsätzen der nationalsozialistischen eltanschauung auch eine grundlegende Änderung in der Auffassung vom Recht und den Aufgaben der Rechtspflege, und damit eine völlig neue Rechtspolitik zur Folge haben musste. ...

Für den nationalsozialistischen Staat ist dagegen das Recht ein Teil des deutschen Volkstum, ist der ewige Ausdruck des "Gewissens des Volkes" ein Spiegel- und Abbild der deutschen Volksseele, dazu bestimmt, dem im Volk lebenden Recht zum Durchbruch zu verhelfen. ...

So liegt auch der Ausgangspunkt und Schwerpunkt für das nationalsozialistische Recht nicht bei Einzelinteressen, sondern in den völkischen Substanzwerten, wie z.B. Rasse, Boden, Arbeit, Ehre, Wehrkraft usw. Aufgabe der nationalsozialistischen Rechtspolitik muss es sein, das Recht allein des dem deutschen Volke dienstbar zu machen. "Alles was dem Volk nützt, ist Recht, alles was ihm schadet, ist Unrecht." "

Am 17. Dezember 1940 teilte Scriba dem RMdJ in Berlin mit, "dass ich mit Wirkung vom 22. November ds. Js. aus der Kirche ausgetreten bin".

Klee [2] zitiert aus einem Lagebericht vom 10.11.1941:

"Die richterliche Unabhängigkeit erhält aber m. E. erst ihren eigentlichen Sinn durch die Tatsache, dass der Führer als oberster Gerichtsherr und Richter durch die von ihm persönlich vollzogene Ernennung ... dem Richter die Aufgabe überträgt, an seiner statt im Namen des deutschen Volkes Recht zu sprechen"

Am 23. September 1942 teilte ihm das RMdJ mit, dass "der Führer Ihnen, Herr Oberlandesgerichtspräsident am 1. September 1942 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse verliehen" hat.

Aus Anlass seines 40 jährigen Dienstjubiläum erschien in der Hessischen Landeszeitung vom 4. Juni 1943 ein Zweispalter, in dem ihm "für seinen persönlichen und politischen Einsatz im Sinne des Führerauftrags zur Ausrichtung der Rechtspflege nach nationalsozialistischen Grundgedanken" gedankt wird. "Seine enge Verbundenheit mit der Partei und ihren rechtspolitischen Zielsetzungen findet in seiner Tätigkeit als Gaugruppenwalter der Richter und Staatsanwälte im NS Rechtswahrerbund sowie als Kreisamtsleiter und Kreisrechtsberater des Kreisleiters der NSDAP in Darmstadt Ausdruck".

Der Text in der Landeszeitung stimmt wörtlich überein mit einem maschinenschriftlichen Entwurf der Justizpressestelle in Darmstadt.

In der Zeit von 1937 bis 1942 ist Scriba im Adressbuch der Stadt Darmstadt verzeichnet (Scriba, Ludwig, Dr. Oberlandesgerichtspräsident, Hobrechtstraße 40). In den Akten wird ab Dezember 1941 der Heinrichwingertsweg 19 als Dienstwohnung genannt. Nach dem Krieg 1945 enthält das Adressbuch keinen Eintrag von ihm mehr.

Nach Verhaftung durch die amerikanische Militärpolizei im Juni 1945 wurde Scriba zunächst in das Internierungslager 93 in Schwarzenborn, später in das Lager Darmstadt verbracht, das er aber aus gesundheitlichen Gründen im Sommer 1947 verlassen konnte. Nachdem er im Entnazifizierungsverfahren zunächst in die Gruppe II der Belasteten (Aktivisten) eingestuft wurde, gelang ihm im Berufungsverfahren 1949 die Einstufung in die Gruppe IV der Mitläufer.
Für Köckritz [11] ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, Scriba, für dessen "schnelle Karriere ... nicht seine fachlichen Qualifikationen, sondern ausschließlich seine frühe Parteimitgliedschaft, das hohe Maß seiner politischen Aktivität und Überzeugung sowie der Wunsch des Gauleiters" einzustufen, nicht nachvollziehbar.

Hinsichtlich seiner Pension ordnete das Land Hessen an, als Berechnungsgrundlage den Status als Landgerichtsdirektor zu Grunde zu legen. Hiergegen wehrte sich Scriba und beantragte die Pension eines Oberlandesgerichtspräsidenten. Nach einem langwierigen Verwaltungsverfahren erreichte er 1959 einen Vergleich, wonach ihm die Pension eines Landgerichtspräsidenten zuerkannt wurde.

Nach 1945 war er nach Klee Gesellschafter der Höchster Gießerei L. Scriba. Nach Recherchen im Netz gab es in Eschborn eine "Höchster Gießerei Scriba, Eschborn, Hauptstraße 131, Telefon 06196-48846".

Der Hessische Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer beantragte am 22. April 1965 gegen "Oberlandesgerichtspräsident a. D. Dr. h. c. Ludwig Scriba, geboren am 1.4.1881 in Frankfurt/M. - Höchst, wohnhaft in Bad Soden/Ts., Waldstrasse 16, Deutscher, verheiratet" und weitere 15 hohe NS-Funktionsträger aus der Justiz des damaligen Reichsgebietes die Eröffnung einer gerichtlichen Voruntersuchung. In der Anschuldigungsschrift heißt es unter anderem:

"Diese Personen schuldige ich an, am 23./24.4.1941 und später in Berlin und anderen Orten des damaligen Reichsgebietes den Tätern einer als Verbrechen mit Strafe bedrohten Handlung, nämlich der sowohl mit Überlegung begangenen als auch heimtückischen Tötung von Menschen aus niederen Beweggründen, durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben."

An diesem Datum fand im "Haus der Flieger" in Berlin eine Tagung mit den Präsidenten der Oberlandesgerichte, des Reichsgerichts, des Volksgerichtshofes, des Landeserbgerichts, des Reichspatentamtes, der Oberreichsanwälte und der Generalstaatsanwälte statt. Die Tagung wurde eröffnet von Staatssekretär Dr. Franz Schlegelberger, der die Teilnehmer - kurz gesagt - auf die planmäßige "Vernichtung lebensunwerten Lebens" einschwor.

Was ist aus dieser Initiative Bauers geworden? Wir erinnern: Fritz Bauer starb 1968 überraschend, und von ihm ist die Aussage sinngemäß überliefert: "Wenn ich mein Dienstzimmer verlasse, betrete ich feindliches Gebiet". Die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft stellte das Verfahren am 1. März 1970 still und leise ein - ohne die sonst übliche Unterrichtung der Öffentlichkeit in solch bedeutenden Verfahren. Erst der Jurist Helmut Kramer machte diese Entscheidung 1984 öffentlich. "Der moralische Tiefpunkt der deutschen Justizgeschichte - Fritz Bauer, hessischer Generalstaatsanwalt, brachte im "Euthanasie-Prozess" die NS-Justiz vor Gericht. Das Verfahren wurde mit dubioser Begründung eingestellt", titelte die TAZ am 3. September 1996 [10] Scriba erlebte die Einstellung nicht mehr, aber die Anklage betraf ja nicht nur ihn, sondern weitere 15 hohe NS-Juristen.

Nach Wahlig [4] gibt es in Frankfurt-Höchst eine "Ludwig-Scriba-Straße", benannt nach Scribas Vater:
"Dr. h. c. Ludwig Scriba (1847-1933) gründete die Höchster Eisengießerei L. Scriba und war langjähriges unbesoldetes Magistratsmitglied und stellvertretender Bürgermeister der Stadt Höchst". Es kann vermutet werden, dass es sich hier um die Firma handelt, in die er nach 1945 eingetreten war.

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