DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Söllinger, Ernst
Ernst Söllinger, Foto im ehemaligen Waldemar-Petersen-Haus (2014)
Ernst Söllinger, Foto im ehemaligen
Waldemar-Petersen-Haus im Kleinwalsertal (2014)
(5.6.1896 München - 6.1.1985 Darmstadt) wurde 1922 im Alter von 25 Jahren der erste Turn- und Sportlehrer an der Technischen Hochschule Darmstadt (heute Technische Universität). Er begann schon mit sechs Jahren mit Fuß- und Faustballspielen und erhielt am 14.7.1919 das "Schlusszeugnis der Werktagsschule“, nach dessen Angaben er die Schule vom 3. September 1902 bis 14.Juli 1910 "und zwar mit sehr großem Fleiße" besuchte und "ein sehr lobenswürdiges Betragen gepflogen“ habe. Anschließend absolvierte er eine vierjährige Lehre als Lithograph und nach dessen Abschluss und kurzer Gehilfenzeit eine Tätigkeit beim Landesvermessungsamt München.

Im Oktober 1915 wurde er zum Bayerischen Infanterie-Leibregiment in München eingezogen. Als Soldat nahm er im Juni 1916 für die Turngemeinde München an den Nationalen Athletik-Wettkämpfen des Bayerischen Athletik-Sportverbandes in Großhesselohe teil. Danach wurde er zu Kämpfen nach Verdun und Rumänien verlegt. Bei einem Kampfeinsatz in Italien wurde er am 1 Oktober 1917 durch eine italienische Mine schwer verwundet. Er verlor sein linkes Auge. In der Folgezeit widmete er sich trotzdem weiter dem Sport und nahm an Wettkämpfen teil. Da neben dem Sport sein Interesse auch der Kunst galt, nahm er Mal- und Zeichenunterricht bei verschiedenen Lehrern.

Im Juli 1919 errang er bei Wettkämpfen in Wien den deutschen Rekord im Weitsprung mit 7,15 Meter. Söllinger studierte ab 1920 mit einer Ausnahmegenehmigung an der Deutschen Hochschule für Leibesübungen in Berlin - sein Leitspruch lautete "mens sana in corpore sano“. Dort lernte er auch Vertreter der Darmstädter Studentenschaft kennen, die sich um die Einrichtung einer Sportlehrer-Stelle an der TH Darmstadt bemühten und letztendlich damit Erfolg hatten. In der Berufungsurkunde für Söllinger hieß es:

"Wir haben den Turnlehrer
Ernst Söllinger zu Darmstadt mit Wirkung vom 1. April 1922
ab zum Turn- und Sportlehrer an der Technischen
Hochschule zu Darmstadt ernannt.
Über die Höhe der Dienstbezüge er-
geht besondere Verfügung.
Darmstadt, den 11. Oktober 1922.
Landesamt für das Bildungswesen
I.V.
Urstadt“

Im März 1923 schloss er das Studium mit einer Prüfungsarbeit über "Die Bedeutung des Hochschulsports“ mit dem Gesamturteil "gut“ ab und erhielt den Grad "Diplomierter Turn- und Sportlehrer“. An der TH förderte er weiter sehr engagiert den Hochschulsport und setzte sich für den Bau einer Skihütte oberhalb von Hirschegg im Kleinwalsertal ein, die im Dezember 1929 eingeweiht werden konnte und bis Juli 2015 den Namen "Waldemar-Petersen-Haus" trug (heutiger Name: "Darmstädter Haus"). Zu seinen Leistungen gehörten u. a. der Ausbau des Hochschulstadions und die Organisation der IV. Internationalen Meisterschaften der Studenten im Jahr 1930. Außerdem nahm er erfolgreich an vielen nationalen und internationalen Meisterschaften teil. Aufgrund der "prächtig verlaufenen internationalen Meisterschaften der Studenten“ verlieh ihm der Staatspräsident des Volksstaates Hessen, Adelung, mit Schreiben vom 10. August 1930 "die Amtsbezeichnung 'Direktor' “. Im Jahr 1931 wurde an der Technischen Hochschule das Institut für Leibesübungen (IfL) gegründet, dessen Direktor Söllinger wurde.

Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 wurde an der TH ein SA-Hochschulamt eingerichtet, das für die körperliche Erziehung zuständig war. In einem Schreiben an Carl Diem berichtete Söllinger, dass es zwischen ihm und dem SA-Hochschulamt zu heftigen Auftritten gekommen sei. Trotz dieser Konflikte habe ihm - zum Erstaunen des SA-Hochschulamtes - der hiesige SA-Standartenführer Dr. Ivers zur Mitwirkung beim SA-Sport aufgefordert. Obwohl er auf seine starke Belastung im Hochschulunterricht hingewiesen habe, sei er vom Ministerium dazu aufgefordert worden. Söllinger war Mannschaftstrainer der deutschen Skiläufer für die Olympischen Winterspiele, die am 6. Februar 1936 in Garmisch-Partenkirchen begannen. Am 1. Mai 1937 war Söllinger Mitglied der NSDAP geworden. "Ob der Eintritt … aus Überzeugung oder durch Druck von oben erfolgt(e)“ sei nicht mehr zu ergründen, heißt es in unserer Hauptquelle. Ein Jahr später erfolgte die Ernennung zum Regierungsrat und Akademischen Turn- und Sportlehrer. In den Jahren 1941 bis 1943 leitete er zusätzlich das Institut für Leibesübungen der Universität Frankfurt.

Seine Mitgliedschaft in der NSDAP und die Zusammenarbeit mit den Nazis war wohl auch verantwortlich für die vom "Grosshessischen Staatsministerium“ am 24. April 1946 verfügte Entlassung Söllingers. In der Verfügung hieß es: "Die zuständige Militärregierung hat wegen Ihres politischen Verhaltens Ihr Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst (Hoch-Schuldienst) verfügt. …“. Die Spruchkammerverhandlung fand im Dezember 1947 statt und "wird eingestellt“ - so in der Veröffentlichung von Kluber [1]. In der Begründung wurde laut Kluber u.a. ausgeführt: "…dass Söllinger zu keiner Zeit … von dem Gedankengut des Nationalsozialismus auch nur im entferntesten erfüllt war…“. Da er ja vom Ministerium aus dem Dienst entlassen worden war, betätigte er sich als Landschaftsmaler und war beim Hessischen Skiverband als Skilehrer tätig. Aus Anlass seines 65. Geburtstages überreichte ihm der Sportdezernent Georg Schäfer (SPD) die Silberne Sportplakette der Stadt Darmstadt.

Mitte der 90er Jahre versuchte die Tochter Söllingers in Korrespondenz mit TH-Präsident Böhme eine Ehrung Söllingers zu erreichen. Gedacht wurde dabei an die Benennung des kleinen Platzes vor dem Hochschulstadion nach ihm und/oder an die Stiftung einer Ernst Söllinger-Medaille. Nach Prüfung dieses Vorschlags teilte der TH-Präsident Anfang 1995 mit, dass man "einmütig zu dem Ergebnis kam, eine besondere Ehrung durch die THD nicht zu befürworten“. Zwar wisse man, "wie engagiert Herr Söllinger für die Sportangelegenheiten eintrat; er sah sie allerdings von den 30er Jahren an in einem zielgerichteten Auftrag militärischen Einsatzes“. Auch weitere schriftliche Versuche, bei der TH eine andere Haltung zu erreichen, führten nicht zum gewünschten Erfolg. Zur Begründung ihrer Haltung fügte die TH ihrem Schreiben eine Zitatensammlung Söllingers - damals öffentlich publiziert - aus den Jahren 1933 und 1938 bei.

Der Freundeskreis Stadtmuseum Darmstadt zeigte eine Ausstellung aus Anlass der 100. Geburtstages Söllingers am 5.6.1996 in der Sportgalerie im Kommandoturm am Woogsdamm in der Beckstraße 44. Der Verein "Darmstadtia“ e.V. eröffnete 2009 sein Herbstprogramm mit einer Foto und Filmdokumentation von Ilse Lore Kluber über Ernst Söllinger.

Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6], Foto: Autoren

 

zurück zur Übersicht