DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Soldaten in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen "Keine Wehrpropaganda in Schulen", mit dieser Überschrift berichtete das Darmstädter Echo am 11. Oktober 1956 über "eine lebhafte Aussprache über einen Antrag der SPD, militärische Propaganda in hessischen Schulen zu untersagen, zu dem die Christlichen Demokraten einen Abänderungsantrag gestellt hatten, in den Schulen Fragen der militärischen Verteidigung gegen Angriffe von außen rein sachlich zu erörtern. Die FDP-Fraktion war der Ansicht, beide Anträge könnten als erledigt betrachtet werden, weil ein bestehender Erlass des Kultusministers militärische Propaganda verbiete und die Pflicht zur sachlichen Information unterstreiche." In dieser Debatte brachte ein sozialdemokratischer Abgeordneter "seine grundsätzlichen Bedenken gegen die Einführung der Wehrpflicht und den Aufbau der Bundeswehr" zum Ausdruck.

Aktion gegen Bundeswehrwerbung
Aktion gegen Bundeswehrwerbung [15]

"Kinder sind die Soldaten" von morgen - dies könnte das Motto der Bundeswehr bei ihrer Werbung für die "Bundeswehr im Einsatz", wie sie sich beschönigend neuerlich selbst nennt, weil sie inzwischen in aller Welt für Frieden kämpft - oder kämpft sie mehr für den Zugang zu Rohstoffen, für die Abschottung Deutschlands und Europas, gegen Armutsflüchtlinge und für den freien Welthandel?

Doch nun zum konkreten Thema: Schon zu Zeiten der Wehrpflicht, also zu einer Zeit, als die Bundeswehr noch keine akuten Nachwuchsprobleme hatte, wurde bereits drei Jahre nach Wiedergründung einer deutschen Armee die Institution der Jugendoffiziere geschaffen. Da die Wiederbewaffnung in Deutschland nur zehn Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes und vor allem auch der jungen Menschen durchgedrückt wurde, musste für die neue Armee massiv geworben werden. Die vermeintliche Bedrohung aus dem Osten wurde hierfür herangezogen. Die seit 1958 tätigen Jugendoffiziere hatten die Aufgabe, Verständnis und Unterstützung für die Aufgaben der neuen Bundeswehr und die Integration der Bundesrepublik Deutschlands in das westliche "Verteidigungsbündnis" NATO zu organisieren. Sie "informieren junge Staatsbürger ab 14 Jahren in allen allgemein- und berufsbildenden Schulen beginnend in der 9. Jahrgangsstufe" heißt es in einer Bundestagsdrucksache.

Bereits 1959 gab es intensive Gespräche zwischen der Bundeswehr und den Kultusministern der Länder mit dem Ziel, den Zugang der Jugendoffiziere in die Bildungseinrichtungen abzusichern und auch Lehrer und Schulen zu Besuchen der "Truppe" zu motivieren. So wurde 1976 der sogenannte "Beutelsbacher Konsens" geschlossen, der bestimmte Minimalbedingungen für politische Bildung festlegte. "Der Konsens sollte den jungen Schülern die Chance auf eigene Meinungsbildung ermöglichen und besteht aus drei Grundprinzipien: Erstens war es nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eine selbstständigen Urteils zu hindern. Zweitens galt: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs Engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörter bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Und schließlich Drittens: Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen". Die Autoren bezweifeln, dass diese Grundsätze heute noch Gültigkeit besitzen.

Die Bundeswehr ist bemüht, die Akzeptanz der Bevölkerung zu finden, besonders aber der Jungendlichen, denn auf sie ist die Bundeswehr in besonderem Maße angewiesen. Hierfür hat sie sich verschiedene Möglichkeiten geschaffen, die wir hier vorstellen.

Die Kinderrechtsorganisation terre des hommes macht darauf aufmerksam, dass Eltern ihre Kinder vom Unterricht mit Bundeswehrvertretern befreien lassen können. Sie müssen einen Antrag auf Ersatzunterricht stellen. Hier finden Sie den Vordruck.

Jugendoffiziere: Sie arbeiten seit 1958 und informieren nach Auffassung der Bundesregierung wertfrei. "Die Jugendoffiziere der Bundeswehr gehören zu den Trägern der Informationsarbeit des Bundesministeriums der Verteidigung, der u. a. die Öffentlichkeitsarbeit zugeordnet ist. Informationsarbeit bezieht alle Aspekte der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie des Auftrags und des Aufgabenspektrums der Bundeswehr ein. Die Jugendoffiziere vermitteln diese Inhalte in die Öffentlichkeit, im Schwerpunkt an den Schulen. Ihre umfassende Ausbildung und hauptsächliche Befassung mit Fragen der Sicherheitspolitik qualifizieren sie zu Experten für Fragen der Sicherheitspolitik. In dieser Funktion werden sie in die Unterrichtskonzepte durch die verantwortliche Lehrkraft seit nunmehr über fünf Jahrzehnten erfolgreich eingebunden."

Die Lexikon-Autoren sehen die Arbeit keineswegs als neutral und wertfrei an, sondern als interessengebundene Information, die eine positive Einstellung zur Bundeswehr bewirken soll.

Die Schulkonferenz der Darmstädter "Bertolt-Brecht-Schule" hatte sich 2012 zur "Bundeswehrfreien Zone" erklärt. Wir finden, eine richtige und mutige Entscheidung der Schüler und Lehrer. Als "kindischen und unausgegorenen Beschluss" bezeichnete ihn ein Professor Castritius aus Darmstadt. Er kritisierte besonders die Lehrer, "die unserem Staat und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vieles, wenn nicht alles verdanken: Bafög während der Schul- und der Studienzeit, Lehrmittelfreiheit, schließlich den Beamtenstatus mit seiner Unkündbarkeit und Rundumversorgung."Wahrlich ein bemerkenswertes Demokratieverständnis. Schüler und Lehrer haben kritiklos zu schlucken, was ihnen der Staat vorsetzt.

Wehrdienstberatung
Wehrdienstberatung bei der Bundeswehr [3]

Wehrdienstberater: Wehrdienstberater waren Ansprechpartner für erste Informationen, Beratung und Bewerbung in den Streitkräften bis zum Zeitpunkt des Dienstantritts. Ihre Aufgabe war es, in Schulen und Bildungseinrichtungen sowie vor Multiplikatoren aus Politik und Wirtschaft Vorträge zum Wehrdienst und zu den Laufbahnen und Karrieremöglichkeiten der Bundeswehr zu halten. Sie hatten ihren Sitz in den Kreiswehrersatzämtern. Nach Aussetzung der Wehrpflicht und der damit verbundenen Abschaffung der Kreiswehrersatzämter nennen sich die Wehrdienstberater nun Karriereberater.

Kooperationsvereinbarungen mit den Länder-Kultusministern: Weil offenbar die Bereitschaft von Schulen und Lehrern, Jugendoffiziere in ihren Unterricht einzuladen, nicht in dem von der Bundeswehr gewünschten Maße erfolgte, bemühte sie sich seit 2008 mit den Kultusministerien der Länder sogenannte Kooperationsvereinbarungen abzuschließen. Solche Vereinbarungen gibt es z. B. in Nordrhein-Westfalen (seit 2008), Saarland (2009), Baden-Württemberg (2009), Rheinland-Pfalz (2010) und Hessen (4.11.2010).In Hessen stimmte neben CDU und SPD auch die Grüne-Landtagsfraktion dieser Kooperationsvereinbarung zu!

Seminare für Schülerzeitungsredakteure: Im Juli 2011 wurde öffentlich, dass die Bundeswehr bereits seit 20 Jahren verdeckt sicherheitspolitische Seminare für Schülerzeitungsredakteure und Jungjournalisten finanzierte. Dabei erfuhren die Teilnehmer nicht, dass die Bundeswehr diese Seminare finanzierte. Nach der Veröffentlichung werden sie nicht mehr verdeckt angeboten.

Werbeveranstaltungen in Zusammenarbeit mit den Arbeitsagenturen: Hier öffnen die örtlichen Arbeitsagenturen ihre Türen für Vertreter der Bundeswehr, um für den Arbeitgeber Bundeswehr zu werben, sei es für Soldaten oder zivile Berufe. (siehe Foto)

Demo gegen Bundeswehrwerbung (2011)
Am Antikriegstag, dem 1. September 2011 - auf den Tag genau vor 72 Jahren
begann Nazi-Deutschland mit dem Angriff auf Polen den Zweiten Weltkrieg -
versuchte die Bundeswehr Freiwillige für Kriegseinsätze in aller Welt zu
ködern. Hierfür suchte sie sich die "Agentur für Arbeit" in Darmstadt aus.

Berufsbildungsmessen: Als es der Bundeswehr nach der Aussetzung der Wehrpflicht immer weniger gelang, genügend qualifizierte junge Menschen zu finden, die sich zum Kriegsdienst, vor allem auch im Ausland wie Afghanistan, Somalia, Kosovo. Sudan, DR Kongo, Türkei, Horn von Afrika, Libanon, Georgien, Äthiopien, Eritrea und Bosnien-Herzegowina, bereit erklärten, verstärkte sie ihre Werbearbeit, denn jährlich werden etwa 15.000 frische Rekruten benötigt. An den seit vielen Jahren in Städten üblichen Berufsbildungsmessen, auf denen sich Unternehmen als Ausbildungsbetriebe vorstellen und um Auszubildende werben, beteiligt sich auch mit großem Aufwand die Bundeswehr. Gerade nach der Aussetzung der Wehrpflicht ist sie auf freiwillige Meldungen zum Kriegsdienst angewiesen. Inzwischen entstanden immer mehr Initiativen gegen die Beteiligung der Bundeswehr an diesen Messen, denn die Ausbildung an Waffen, letztendlich zum Töten, ist kein Beruf wie viele andere! Der Jugendhilfeausschuss der Stadt Herne hat 2013 einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der das Bundesverteidigungsministerium aufgefordert wurde, "künftig keine militärische Werbung mehr an Orten zu machen, die hauptsächlich von Minderjährigen wahrgenommen werden". Die Information des Jugendamtes Herne an das Jugendamt Bochum führte dazu, dass Bochum daraufhin die Bundeswehr von einer ähnlichen Veranstaltung auslud. Es wäre zu begrüßen, wenn sich die Stadt Darmstadt künftig ebenso verhalten würde.

Kindersoldaten
Kindersoldaten im Ausland [29]

Kindersoldaten in der Bundeswehr: In öffentlichen Verlautbarungen wendet sich die Bundesregierung gegen Kindersoldaten in Armeen wie beispielsweise in Myanmar, Somalia oder Afghanistan. Das sich gut und richtig. Aber warum wirbt sie in Deutschland um 17 Jährige Kinder für eine Ausbildung in Techniken realer Kriegführung, werden sie im Umgang mit Waffen geschult? Trotz vieler Proteste aus der Zivilgesellschaft hält die Bundesregierung an dieser Praxis fest. Die Bundeswehr umwirbt immer öfter Minderjährige für den Armeedienst, berichtet die Frankfurter Rundschau im Jahr 2011. Im Übrigen widerspricht diese Praxis auch dem "Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betreffend die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten". Im Jahr 2015 gab es über 1.500 minderjährige Rekruten in der Bundeswehr.

Wir unterstützen die Forderung des "Deutschen Bündnis Kindersoldaten":

Kein Kind unter 18 Jahren darf in Armeen, bewaffneten Gruppen oder anderen militärischen Verbänden eingesetzt oder geschult werden. Dies gilt unabhängig von der Funktion (auch nicht ohne Waffe!) und unabhängig davon, ob es unfreiwillig oder »freiwillig« geschieht. Auch dürfen unter18-Jährige prinzipiell nicht für Armeen oder bewaffnete Gruppen geworben werden. Alle Kinder unter 18 Jahren müssen aus Armeen und bewaffneten Gruppen entlassen werden und bei ihrer Rückkehr ins zivile Leben unterstützt werden.

Weitere Versuche, Kinder und Jugendliche für den Kriegsdienst zu ködern:

"Ferien beim Panzerbataillon" überschrieb der Spiegel einen Artikel, in dem über eine Aktivität der Bayerwald-Kaserne berichtet wurde: 35 Jungen und Mädchen waren für 4 Tage ins sogenannte Edelweiß-Camp eingeladen worden, um ihnen dort das Berufsleben von Soldaten näher zu bringen.

Bundeswehr versendet Werbespots versehentlich an rund 1.000 Kinder in Ostholstein, meldeten die Lübecker Nachrichten im März 2013.

Auf den jährlich stattfindenden Hessentagen präsentiert sich regelmäßig auch die Bundeswehr. Dabei lässt sie auch Kinder in Panzern posieren.

Die Bundeswehr dringt auf der Suche nach Nachwuchskräften auch in den Amateursport ein und geht dabei recht lax mit Steuergeldern, berichtete die taz. Im Jahr 2014 hatte sie 24 Kooperationen mit Sportvereinen.

Die Bereitschaft Jugendlicher, sich zum Kriegsdienst bei der Bundeswehr freiwillig zu melden, scheint derart zurück gegangen zu sein, dass sie neuerdings sogar auf Bierdeckeln wirbt.

Bundeswehr-Feierlichkeiten aus besonderem Anlass/Tage der offenen Tür: Die Bundeswehr feiert sich gerne selbst, auch um ihre Daseinsberechtigung öffentlich vorzuführen. So fanden 2016 quer durch Deutschland an 16 Standorten der "Tag der Bundeswehr" statt. Nach Presseberichten spielten Kinder an einem solchen Spektakel in einer Kaserne in Stetten in Baden-Württemberg an echten Waffen. Ministerin von der Leyen bedauerte diesen Fehler, der trotz klarer Vorschriften geschehen sei. Dieser Fall wurde öffentlich, aber wie viele solcher "Fehler" werden nicht öffentlich?

Bundeswehr-Fachschulen: Bereits in den 1970er/1980er Jahren versuchte die Bundeswehr über das Angebot "ziviler" Ausbildungen Einfluss auf Kinder und Jugendlichen zu erhalten. Als ein Beispiel gelten die Fachschulen des Heeres für Erziehung und Wirtschaft, von denen eine auch in Darmstadt existierte.

Bundeswehr-Universitäten: Als Rekrutierungsinstitutionen sind die seit vielen Jahren bestehenden Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München sowie die Fachschulen der Bundeswehr in Berlin, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Koblenz, Köln, München, Naumburg und Würzburg anzusehen. Bildungszentren der Bundeswehr befinden sich in Berlin, Bonn, Hamburg, Nienburg, Oberammergau. Neuerdings existieren Kooperationen mit öffentlichen und privaten Hochschulen wie z. B. mit der "Dualen Hochschule Baden-Württemberg" in Mannheim mit den Studienrichtung Maschinenbau und der "Hochschule Mannheim" mit der Studienrichtung Elektrotechnik und Informationstechnik.

Zivile Ausbildungen bei der Bundeswehr: Die Bundeswehrverwaltung bietet "jedes Jahr 1.300 Azubis einen gelungen Einstieg ins Berufsleben - in verschiedenen Bereichen von der Baustoffprüfung bis zur Zahntechnik" preist sie auf ihren Internetseiten an und preist vollmundig 54 zivile Ausbildungsberufe, 400 Ausbildungsstätten in ganz Deutschland und 31 Ausbildungswerkstätten für technische Berufe an.

Zivilgesellschaftliche Organisationen lehnen die Werbeaktivitäten der Bundeswehr in Schulen und Bildungseinrichtungen, Messen usw. ab. Zu ihnen gehören nicht nur die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen und andere Friedensorganisationen, sondern zum Beispiel auch:


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