DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Stark, Hans
(14.6.1921 Darmstadt - 29.3.1991 Darmstadt) war Sohn eines
Polizeimeisters, besuchte die Volksschule in Darmstadt von 1927 bis
1931 und anschließend das Realgymnasium bis zur Obersekundareife im
Jahr 1937. Auf Anraten seines Vaters - der im August 1933 laut Aussage
seines jüngeren Bruders Günther in Adolf Hitler eine Art Heilsbringer
sah, in die NSDAP eintrat,
weil auch er seine Aufstiegschancen
verbessern wollte - bewarb er sich beim Arbeitsdienst und bei der
Wehrmacht. Da er jedoch wegen seiner Jugend abgelehnt wurde, trat der
Gymnasiast im Dezember 1937 im Rang eines SS-Staffelmanns der
SS-Totenkopfstandarte "Brandenburg" freiwillig bei und verrichtete
Wachdienst in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Buchenwald und Dachau. Im Juni
1938 begann er im KZ Buchenwald "zu arbeiten", war anschließend
Rekrutenausbilder in Dresden und Dachau; und schließlich seit Mai 1941
Leiter des Referats Aufnahme in der Politischen Abteilung (Abt. II) im
KZ Auschwitz, d. h. er war verantwortlich für die gesamte Prozedur der
Einweisung und Registrierung der Lagerhäftlinge.
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- Starks Todesanzeige im Darmstädter Echo vom 3. April 1991 [7]
Um
seine Schulausbildung beenden zu können, ließ sich Stark von
Weihnachten 1941 bis zum März 1942 aus dem KZ in seine Heimatstadt
beurlauben und besuchte als Externer das Justus-Liebig-Gymnasium, wo er
die Reifeprüfung ablegte. Ende 1942 ließ es sich erneut beurlauben,
immatrikulierte sich an der Frankfurter Universität und widmete sich
ein Semester lang dem Rechtsstudium.
Ein Auslese-Lehrgang bei Dachau, ein Fronteinsatz im Osten,
Offizierslehrgänge und der Besuch einer SS-Junkerschule waren weitere
Stationen in seiner SS-Laufbahn. Die Beförderung im November 1944 zum
SS-Untersturmführer markierte den Beginn der erstrebten Karriere als
SS-Führer. Zur Verteidigung der Reichshauptstadt eingesetzt, geriet
Stark Anfang Mai 1945 in sowjetische Gefangenschaft, aus der ihm nach
wenigen Tagen die Flucht gelang und er sich in seine Heimatstadt
Darmstadt absetzte. Dort gelang es ihm, alle belastenden Dokumente und
andere Beweisstücke zu vernichten, so dass er von den Alliierten im
Rahmen der Entnazifizierung nur als "Mitläufer" eingestuft wurde. Vom
Zugriff der Sieger verschont, war Stark vorübergehend in der
sowjetischen Besatzungszone auf Bauernhöfen tätig. Im Herbst 1946 nahm
er an der Universität Gießen ein Landwirtschaftsstudium auf, musste es
aber wegen eines schwebenden Spruchkammerverfahrens unterbrechen. Zu
guter Letzt 1950 als Mitläufer qualifiziert, setzte Stark seine
Ausbildung fort, machte Praktika und einen Vorbereitungsdienst beim
Hessischen Landwirtschaftsministerium und legte 1953, im Jahr seiner
Verheiratung, in Darmstadt das Assessor-Examen ab. Lehrtätigkeiten an
Landwirtschaftsschulen (u. a. an der Landwirtschaftsschule Lövenich bei
Köln) und Wirtschaftsberatung bei der Landwirtschaftskammer in
Frankfurt am Main waren die Lebensabschnitte Starks bis zu seiner
Verhaftung im April 1959.
Bei der Frankfurter Staatsanwaltschaft hatte ein
Auschwitz-Überlebender
seinen Namen erwähnt. Seiner Frau sagte er damals, es handle sich "um
eine Sache aus dem Krieg". Inzwischen war Stark Vater zweier Kinder.
Von Dezember 1963 bis August 1965 fand in Frankfurt am Main unter dem
Aktenzeichen 4 Ks 2/63 der bis dahin größte Schwurgerichtsprozess der
deutschen Justizgeschichte statt, der sog. Auschwitz-Prozess. Zu den
sieben Hauptangeklagten gehörte dabei auch der ehemalige
SS-Untersturmführer und Leiter der Aufnahmeabteilung (Lager-Gestapo) in
Auschwitz, Hans Stark. Von April 1959 bis Oktober 1963 saß Stark in
Untersuchungshaft. Von Ende Oktober 1963 bis Mitte Mai 1964 wurde Stark
vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Anders als die anderen
Hauptangeklagten leugnete er seine Taten nicht, gab aber offenkundig
immer nur einen Teil seiner zahlreichen Verbrechen preis. Er räumte vor
Gericht ein, in zahlreichen Fällen bei der Erschießung von Häftlingen
aktiv mitgewirkt zu haben. Im Mai/Juni 1942 ermordete Stark
beispielsweise zusammen mit dem damaligen Rapportführer Palitzsch zwei
Häftlingsgruppen von je 20 Personen durch gezielte Genickschüsse.
Darunter befanden sich zahlreiche Frauen und Kinder. Die Kinder waren
zwischen 5 und 12 Jahre alt. In einer unbestimmten Zahl von Fällen
beteiligte sich Stark zudem an der Ermordung sowjetischer
Kriegsgefangener an der berüchtigten "Schwarzen Wand" im KZ Auschwitz.
So war er etwa im Herbst 1941 zusammen mit anderen SS-Angehörigen an
der Ermordung von jeweils 20 bis 30 sowjetischen Kommissaren beteiligt.
Bei dieser gezielten Ermordung wechselten sich die SS-Schergen jeweils
ab: Fünf oder sechs tötete Hans Stark eigenhändig. Im Herbst 1941
führte er im kleinen Krematorium von Auschwitz zusammen mit einem
SS-"Sanitäter" das bei Vergasungen benutzte Giftgas Zyklon B durch eine
Öffnung in den Vergasungsraum ein: Stark ermordete so etwa 200 bis 250
jüdische Männer, Frauen und Kinder, die auf bestialische Weise
erstickten. Ab Sommer 1942 führte Hans Stark in zahlreichen Fällen auf
der Rampe von Birkenau die brutalen Selektionen durch, die jäh über
Leben und Tod entschieden. Anschließend führte er die zur Vergasung
ausgesonderten Personen vom Selektionsplatz zur Gaskammer und trieb sie
teilweise mit Gewalt hinein.
Trotz unzähliger ihn belastender Zeugenaussagen wurde er im August 1965
wegen gemeinschaftlichem Mord in mindestens 44 Fällen zu einer äußerst
milden Jugendstrafe von zehn Jahren Haft verurteilt, weil er zum
Zeitpunkt seiner Mordtaten und Misshandlungen minderjährig war.
Starks
Schlussworte im Auschwitz-Prozess vom 12. August 1965 lauteten:
Hohes Gericht!
Ich habe an der Tötung vieler Menschen mitgewirkt,
das habe ich von Anfang an und ohne Einschränkung bekannt. Ich habe
mich nach dem Kriege oft gefragt, ob ich dadurch zum Verbrecher
geworden bin. Ich habe keine für mich gültige Antwort gefunden. An den
Führer hatte ich geglaubt, ich wollte meinem Volke dienen. Ich war
damals von der Richtigkeit meines Tuns überzeugt. Heute weiß ich, daß
die Ideen, an die ich geglaubt habe, falsch sind. Ich bedaure meinen
damaligen Irrweg sehr, aber ich kann ihn nicht ungeschehen machen.
In
Anrechnung der erlittenen U-Haft erhielt er im Jahr 1968
Haftverschonung und wurde auf freien Fuß gesetzt und verbrachte die
letzten Jahre in seiner Heimatstadt Darmstadt.
Er arbeitete er bei einem Chemieunternehmen, wo er
Pflanzenvernichtungsmittel entwickelte - wie Zyklon B eines war. Der
willige NS-Vollstrecker aus Darmstadt Hans Stark starb 1991 - wieder
als freier Mann. Das, bei dem er beschäftigt gewesen war,
ehrte den langjährigen Mitarbeiter mit einem lobenden Nachruf (siehe
Todesanzeige oben [7]).
Sein Bruder Günther drehte Jahre später einen Dokumentarfilm über die
Verbrechen des Hans Stark.
Q:
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Abbildung: [7]
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