DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Thesing, Paul (12.4.1882 Anholt (Westfalen) - 6.12.1954 Darmstadt) war ein Maler, Zeichner, Karikaturist und Illustrator. Er verstand sich als politisch engagierter sozialkritischer Karikaturist und veröffentlichte in namhaften Blättern seiner Zeit.

Thesing studierte von 1902 bis 1905 Chemie in Darmstadt und Zürich. Nach Stationen in der Schweiz, Paris und Spanien ließ er sich 1920 in Darmstadt nieder. 1921 wurde er Mitglied der Darmstädter Sezession und auch dessen Präsident. 1924 erhielt er den Georg-Büchner-Preis. Seine Arbeiten publizierten "Die Dachstube" und zwischen 1924 bis 1932 der "Hessischer Volksfreund", die Zeitung der hessischen Sozialdemokratie. Befreundet war er unter anderem mit Wilhelm Leuschner und Carlo Mierendorff. Eine erste Einzelausstellung wurde 1926 in der Darmstädter Kunsthalle gezeigt.

Warum sind wohl diese Leute Gegner der Republik? (1925)
"Warum sind wohl diese Leute Gegner der Republik?" (1925)
Bild erschienen im Hessischen Volksfreund [2]
Seine bissigen Karikaturen setzen sich mit den Nationalsozialisten auseinander. Daher zählte er 1937 zu den als "entartet" gebrandmarkten Künstlern (siehe Entartete Kunst). Er hatte Deutschland verlassen, lebte und arbeitete in Frankreich, Spanien, Italien, kehrte aber 1940 nach Deutschland (Berlin) zurück.

Als Paul Thesing 1945 wieder nach Darmstadt kam, beteiligte er sich am kulturellen Wiederaufbau in Darmstadt. Er war Mitbegründer und Präsident der Neuen Darmstädter Sezession und wurde 1947 Leiter der Lehrwerkstätten der bildenden Kunst, aus der die Werkkunstschule hervorging. 1949 verlies er den Lehrbetrieb und widmete sich wieder der politischen Karikatur.

Als vom 25.7.1948 bis zum 1.9.1948 erstmals nach 1945 in den notdürftig hergerichteten Hallen der Mathildenhöhe die "Sommerausstellung 1948" stattfand, wurden neben Werken bekannter Künstler wie Dix, Heckel, Geitlinger, Ackermann, Gilles auch die Werke Darmstädter Künstler wie Schwarzbeck, Posch, Hofferberth, Gunschmann und Thesing ausgestellt. Thesing war mit vier Bildern vertreten, unter anderem mit dem Gemälde "Der Zug des Heringskönigs" an einem zentralen Platz. Das Gemälde machte die meisten Besucher ratlos, es löste einen Eklat aus. Niemand fragte sich - oder wollte sich fragen - was Thesing mit seinem Werk sagen wollte.

Der Kunstkritiker des Darmstädter Echos, Dr. Rudolf Pérard, besprach die Ausstellung in einer fünfteiligen Serie vom 27.7. bis 26.8.1948. Im letzten Beitrag nannte er u. a. Thesings "Zug des Heringskönigs" wegen "qualitativer Eigenschaften für untragbar". Thesing war verbittert. Keines der Sezessionsmitglieder sprang ihm zur Seite. Er ließ die Ausstellung vorzeitig schließen.

Als am 31. Oktober 2010 die Ausstellung "Paul Thesing. Maler und politischer Zeichner" im Kunstarchiv Darmstadt, eröffnet wurde, hielt der frühere Kunstreferent der Stadt Darmstadt, Bernd Krimmel, eine Rede, in der er auf eine Begegnung mit Thesing im Sommer 1948 anlässlich der bereits oben erwähnten Sommerausstellung zurück blickte. Krimmel schilderte, wie er dort unter anderem auch Werke von Malern und Bildhauern sehen musste, "deren Werke ich wenige Jahre zuvor in völkisch-arischen Ausstellungen gesehen hatte, Künstler, die sich den Richtlinien der NS-Reichskulturkammer gefügt hatten. Geschmeidig hatten sie das Terrain 'Blut und Boden' durchschritten und waren nun zielstrebig-wohlgemut beim Neustart dabei."

Den "Zug des Heringskönigs" beschreibt Krimmel so:

"Ein aufgeblähter goldfarbiger Fisch, eher ein gefräßiger Riesenkarpfen denn ein schlanker Hering, nimmt in submarinem Blau die große Bildmitte ein, in den Randzonen tummeln sich allerlei Amphibien. Im Bildrechteck hat die goldene Rhombenform des Fisches ihren kompositorischen Sinn. Aber welche Bedeutung hat darüber hinaus der Fisch selbst? ...
Der goldfarbene Fisch mit dem offenen Maul und den glotzenden Augen trägt an der Flanke eine Kokarde. Über seinem Kopf fließt eine schwarze Haarsträhne. Wie Paladine paradieren vor ihm zwei rotbraune Seepferdchen mit geschwellter Brust. Silberschuppige Heringe sind dicht gedrängt in einem Schleppnetz gefangen, zwei scharfe Hechte jagen und beißen den letzten freien Fisch. Das rote Korallenbäumchen auf der rechten Seite ist keineswegs schmückendes Beiwerk im Aquarium, es hat vielmehr besondere Bedeutung im Bildrätsel."

Für Krimmel ist

"der Heringskönig eine Paraphrase auf jenen Popanz, den man in der Nazi-Diktatur hinter vorgehaltener Hand 'Goldfasan' nannte. Zusammen mit dem Korallensymbol ist das Bild eine malerische Satire zum damals aktuellen Thema der missglückten Entnazifizierung".

In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, dass einige Darmstädter Künstler, deren Werke in dieser Ausstellung gezeigt wurden, schon von den Nationalsozialisten für ausstellungswürdig befunden wurden oder deren Werke von NS-Oberbürgermeister Wamboldt angekauft wurden. Als Beispiele sind zu nennen:

Verständlich, dass keine große Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Thesings Werk bestand, der ja zu den "entarteten Künstlern" gehörte.

Während das Darmstädter Adressbuch von 1921 noch keinen Eintrag "Thesing" enthielt, wird 1924 die Stiftstraße 15 als Wohnung angegeben. 1927 und 1929 verzeichnet es neben der Wohnung in der Stiftstraße 15 als Maleratelier den Olbrichweg 10. Nach dem Krieg lebte er in der Kranichsteiner Straße 85.

Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8], Abbildung: [2]

 

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