Familie Bayram wohnte in einem Mehrfamilienhaus im Schiebelhuthweg. Am 18. Februar 1994 klingelte es an der Tür der Familie. Tochter Asli, damals 12 Jahre alt, öffnete die Tür. Ein 29 Jahre alter Nachbar, der sich schon öfter über die Kinder Bayrams beschwert hatte, tut dies wieder wegen angeblich zu lauter Musik. Als der Vater hinzu kam, richtete der Nachbar eine 9-Millimeter-Pistole auf Ali Bayram und dessen Tochter und schoss unter rassistischen Beleidigungen auf beide. Die Tochter wurde am Arm getroffen, der Vater tödlich. Der Vater schafft es noch, Asli zur Seite zu schubsen. "Sonst wäre ich jetzt tot", sagt sie tonlos. Asli wird am Arm getroffen, der Vater bleibt im Flur liegen, seine Familie muss ihm beim Sterben zuschauen.
Der Mörder floh, stellte sich aber kurz darauf. Als die Polizei ihn verhaftete, gab er als Tatmotiv an, sich immer wieder über den Lärm der über ihm wohnenden türkischen Familie mit fünf Kindern im Treppenhaus geärgert zu haben. In der U-Haft erklärte er einem psychiatrischen Gutachter, er habe "ein Bedürfnis gehabt, denen zu zeigen, dass sie sich nicht alles erlauben können."
Die "Zeitung für Darmstadt" (ZfD) berichtete darüber am 25. Februar 1994 unter der Überschrift "Mord im Schiebelhuthweg - Motiv: Zorn oder rechte Gewalt?": Am Freitagabend (18.) erschoß ein 29jähriger Darmstädter seinen 50 Jahre alten türkischen Nachbarn im Schiebelhuthweg. Der Grund, so sieht es die Polizei, liege darin, daß "er sich durch Lärm in der darüberliegenden Wohnung gestört fühlte". Der "Türkisch-Islamische Kulturverein" sah das anders und schickte folgende Pressemitteilung, die die Zeitung ZfD ungekürzt veröffentlichte:
Die Zeitung ZfD fragte "Ist dies wieder mal so ein Fall rechtsradikaler Gewalt, der dank Polizei nirgends als solcher in der Statistik auftaucht?"
Am 15. April 1995 berichtete die ZfD unter der Überschrift "Keine Anhaltspunkte für rechtsradikalen Hintergrund" erneut über den Mord.
In dem Beitrag heißt es unter anderem: "Acht Wochen nach dem Mord an dem 50jährigen Türken Ali Bayram gibt es keinen neuen Ermittlungsstand. Oberstaatsanwaltschaft Georg Nauth geht davon aus, daß es sich um ein "rein privates Motiv des deutschen Mörders handelte". Anlaß sei Belästigung durch Lärm aus der Wohnung der türkischen Familie gewesen. "Wir haben keine Anhaltspunkte dafür gefunden, daß die Tat einen rechtsradikalen Hintergrund hat", meint Nauth und vermutet, daß "das Aufheben und die öffentliche Aufmerksamkeit fremdbestimmt" ist. "Selbstverständlich ist das eine schreckliche und verabscheuungswürdige Tat, aber das kann jedem passieren", so Nauth. Der Mörder, der sich der Polizei gestellt hat, gehört keiner rechten Organisation an, weshalb die Polizei keine "politische Dimension" beimessen will. ... ". Witwe Lütfiye Bayram ist hingegen nach wie vor überzeugt, daß die Todesschüsse vom 18. Februar auf ihren Ehemann Ali ausländerfeindlichen Hintergrund hatten. Verhalten und Drohungen aus den Wochen und Monaten zuvor sprächen eindeutig dafür. Besonders die Freundin des Mörders, die in der Wohnung unterhalb der Bayrams wohnt, hätte die Familie wiederholt als "Scheiß-Türken" beschimpft und verlangt, sie sollten ausziehen. Vor ca. neun Monaten hatte sie ihren Hund auf eine der Bayram-Töchter gehetzt. "Da wird aus einem Mord ein Staatsakt gemacht, nur weil es ein Türke war", erzürnt sich ein etwa 60jähriger Nachbar aus dem Schiebelhuthweg. Die Trauerkundgebung vom 25. März mit 500 TeilnehmerInnen hatte sich gerade aufgelöst. "Ich habe nichts gegen Türken, aber da wird so ein Schauspiel abgezogen, das ist doch widerlich." Ein paar Jugendliche aus der Wohngegend, ein Marokkaner, ein Türke und ein Grieche, sind da anderer Meinung: "Von wegen Staatsakt, noch nicht einmal Oberbürgermeister Benz war da. Stellen Sie sich vor, ein Türke hätte einen Deutschen erschossen, da hätte es viel mehr Aktion gegeben. ..." Am Tag der Trauerkundgebung überwiegt die Solidarität, und die Sprüche des Nachbarn treffen zumindest hier auf keinen fruchtbaren Boden. Lütfiye ist zufrieden mit der Resonanz auf ihren Aufruf. Erst drei bis vier Tage zuvor hatte sie eine Genehmigung der Stadt erhalten und die Demonstration öffentlich ankündigen können. Ihre Wohnung im Schiebelhuthweg hat Familie Bayram seit Wochen nicht mehr betreten. Das Leben in der seither versiegelten Wohnung ist Lütfiye und ihren fünf Kindern nicht zuzumuten. Noch immer zeugen die drei Einschußlöcher in der Eingangstür von dem traumatischen Ereignis. Zur Zeit leben alle sechs in einem Zimmer bei Lütfiyes Schwager. "Mein Mann ist seit zwei Monaten tot, und wir haben immer noch keine neue Bleibe." Elf Personen drängen sich auf engstem Raum in einer 63qm-Wohnung, und der Schwager bekommt allmählich Schwierigkeiten mit dem Vermieter. Zwei Wohnungen sind Frau Bayram in der Zwischenzeit nach Auskunft von Karl J. Kärchner, der tätig ist für den Weißen Ring, angeboten worden. "Einige Tausend Mark" hat die Familie bekommen und wird bei Behördengängen vom Weißen Ring unterstützt. ...
Am 29. April konnte die ZfD berichten, dass die Stadtverwaltung für eine Wohnung gesorgt habe und das Sozialamt Sozialhilfe leiste. Das Kollegium einer Schule sei auf die Idee gekommen, dass die Stadt der Witwe Lütfiye Bayram eine Arbeitsstelle anbieten könnte.
Am 10. Juni 1994 berichtete die ZfD unter der Überschrift "Die bürgerliche Mitte rückt nach rechts - Professoren Bielefeld und Greven über Ursachen rechter Gewalt") über eine Veranstaltung, zu der die beiden "mächtigsten Sozialdemokraten am Ort" Oberbürgermeister Peter Benz und Bundestagsabgeordneter Eike Ebert eingeladen hatten. Motto war "Rechtsextremismus – Ursachen, aktuelle Entwicklung und Auseinandersetzung". ZfD schrieb:
Im Februar 1995 verurteilte das Landgericht Darmstadt den Mörder wegen Totschlags zu neun Jahren Haft, verneinte aber sowohl eine rassistische Motivation als auch eine Planung für die tödlichen Schüsse. Aus der Haft wird er vorzeitig entlassen.
Am 30. Juni 2015 berichtete "Die Zeit" über rechte Gewalt in Deutschland und griff auch die Darmstädter Mordtat an Ali Bayram auf.
Zur Erinnerung: Am 26. Mai 1993 hatte der Deutsche Bundestag auf der Grundlage der Vereinbarung von CDU/CSU und SPD das im Grundgesetz verankerte Asylrecht faktisch abgeschafft.
Die Linksfraktion im Darmstädter Stadtparlament hatte am 13. September 2017 beantragt, einen Patz nach Ali Bayram zu benennen. Die Fraktion hatte den bisher unbenannten Straßenstern Mollerstraße – Robert-Schneider-Straße – Emilstraße – Liebfrauenstraße vorgeschlagen.
Das Datum der Untat jährt sich am 18. Februar 2024 zum 30. Mal. Aus diesem Anlass fand eine gut besuchte gemeinsame Gedenkfeier der Stadt Darmstadt und der Familie Bayram im Justus-Liebig-Haus statt [7].
Es wäre Zeit, nach ihm eine Straße oder einen Patz zu benennen.