DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Darmstädter Wort
Am 8. August 1947 veröffentlichte der "Bruderrat der Evangelischen Kirche in
Deutschland" (EKD) in Darmstadt das sogenannte Darmstädter "Wort des
Bruderrats der EKD zum politischen Weg unseres Volkes", ein kirchliches
Schuldbekenntnis angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit,
das allerdings nur von einer Minderheit des Bruderrats der EKD
beschlossen wurde. Es will das Stuttgarter Schuldbekenntnis der EKD vom
Oktober 1945 in Richtung einer Absage vor allem an den deutschen
Nationalismus, Nationalprotestantismus, Militarismus und
Antikommunismus ausweiten. Allerdings fehlt ein Wort zur Judenfrage und
zum Antisemitismus.
Verfasser des Darmstädter Wortes waren die
Theologen Hans-Joachim Iwand und Karl Barth, Mitautor war Martin Niemöller. Im Bruderrat waren nach 1947 die führenden Köpfe
der Bekennenden Kirche versammelt.
Wortlaut des Darmstädter Wortes (8. August 1947)
Wort zum
politischen Weg unseres Volkes
1.
Uns ist das Wort von der Versöhnung der Welt mit Gott in Christus
gesagt. Dies Wort sollen wir hören, annehmen, tun und ausrichten. Dies
Wort wird nicht gehört, nicht angenommen, nicht getan und nicht
ausgerichtet, wenn wir uns nicht freisprechen lassen von unserer
gesamten Schuld, von der Schuld der Väter wie von unserer eignen, und
wenn wir uns nicht durch Jesus Christus, den guten Hirten, heim rufen
lassen auch von allen falschen und bösen Wegen, auf welchen wir als
Deutsche in unserem politischen Wollen und Handeln in die Irre gegangen
sind.
2.
Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, den Traum einer
besonderen deutschen Sendung zu träumen, als ob am deutschen Wesen die
Welt genesen könne. Dadurch haben wir dem schrankenlosen Gebrauch der
politischen Macht den Weg bereitet und unsere Nation auf den Thron
Gottes gesetzt. Es war verhängnisvoll, daß wir begannen, unseren Staat
nach innen allein auf eine starke Regierung, nach außen allein auf
militärische Machtentfaltung zu begründen. Damit haben wir unsere
Berufung verleugnet, mit den uns Deutschen verliehenen Gaben
mitzuarbeiten im Dienst an den gemeinsamen Aufgaben der Völker.
3.
Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, eine "christliche
Front" aufzurichten gegenüber notwendig gewordenen Neuordnungen im
gesellschaftlichen Leben der Menschen. Das Bündnis der Kirche mit den
das Alte und Herkömmliche konservierenden Mächten hat sich schwer an
uns gerächt. Wir haben die christliche Freiheit verraten, die uns
erlaubt und gebietet, Lebensformen abzuändern, wo das Zusammenleben der
Menschen solche Wandlung erfordert. Wir haben das Recht zur Revolution
verneint, aber die Entwicklung zur absoluten Diktatur geduldet und
gutgeheißen.
4.
Wir sind in die Irre gegangen, als wir meinten, eine Front der Guten
gegen die Bösen, des Lichts gegen die Finsternis, der Gerechten gegen
die Ungerechten im politischen Leben und mit politischen Mitteln bilden
zu müssen. Damit haben wir das freie Angebot der Gnade Gottes an alle
durch eine politische, soziale und weltanschauliche Frontenbildung
verfälscht und die Welt ihrer Selbstrechtfertigung überlassen.
5.
Wir sind in die Irre gegangen, als wir übersahen, dass der ökonomische
Materialismus der marxistischen Lehre die Kirche an den Auftrag und die
Verheißung der Gemeinde für das Leben und Zusammenleben der Menschen im
Diesseits hätte gemahnen müssen. Wir haben es unterlassen, die Sache
der Armen und Entrechteten gemäß dem Evangelium von Gottes kommendem
Reich zur Sache der Christenheit zu machen.
6.
Indem wir das erkennen und bekennen, wissen wir uns als Gemeinde Jesu
Christi freigesprochen zu einem neuen, besseren Dienst zur Ehre Gottes
und zum ewigen und zeitlichen Heil der Menschen. Nicht die Parole:
Christentum und abendländische Kultur, sondern Umkehr zu Gott und
Hinkehr zum Nächsten in der Kraft des Todes und der Auferstehung Jesu
Christi ist das, was unserem Volk und inmitten unseres Volkes vor allem
uns Christen selbst Not tut.
7
Wir haben es bezeugt und bezeugen es heute aufs neue: "Durch Jesus
Christus widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen
dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen." Darum
bitten wir inständig: Lasst die Verzweiflung nicht über euch Herr
werden, denn C h r i s t u s ist der Herr. Gebt aller glaubenslosen
Gleichgültigkeit den Abschied, lasst euch nicht verführen durch Träume
von einer besseren Vergangenheit oder durch Spekulationen um einen
kommenden Krieg, sondern werdet euch in dieser Freiheit und in großer
Nüchternheit der Verantwortung bewusst, die alle und jeder einzelne von
uns für den Aufbau eines besseren deutschen Staatswesens tragen, das
dem Recht, der Wohlfahrt und den inneren Frieden und der Versöhnung der
Völker dient.
Am Elisabethenstift in der Erbacher Straße hängt seit 2017 eine
Tafel zum Gedenken an die Veröffentlichung
des Darmstädter Worts im Jahre 1947.
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