DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Elisabethenstift Darmstadt
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- Elisabethenstift (1930)
Am 19. November 1858 wurde das Diakonissenhaus Elisabethenstift "in
Anwesenheit des ganzen Großherzoglichen Hofes, ... hohen Staatsbeamten,
vieler Geistlichen von Stadt und Land, des Oberbürgermeisters der
Residenzstadt ..." feierlich eingeweiht. Prinzessin
Elisabeth
unterstützte die Gründung auch mit einer hohen Spende. Das sogenannte
Mutterhaus wurde an der Erbacher Straße 25 errichtet.
Die
Arbeit des
Elisabethenstifts bestand aus der Gemeindekrankenpflege und der
Ausbildung von Krankenpflegerinnen. Im Jahr 1893 wurde die Stiftskirche
eingeweiht und mit der Zeit entstanden weitere Häuser. Als Hauptzweck
des Diakonissenhauses nennt die Chronik "christliche
Jungfrauen
zu tüchtigen und Krankenpflegerinnen heranzubilden" und
sie in der
Gemeinschaft zu festigen, bevor sie in Kranken- und Siechenhäusern,
später in der Gemeinde- und Kinderschulpflege außerhalb des
Mutterhauses ihren Dienst antraten. 1930 wurde die heute unter
Denkmalschutz stehende Chirurgische Klinik an der Landgraf-Georg-Straße
eingeweiht. Sie blieb bei der Bombardierung
Darmstadts 1944 weitgehend
verschont.
Seit 1873 hatte das Stift zum ersten mal mit
Pfarrer
Ludwig Werner (bis 1889) einen eigenen Hausgeistlichen. Als Vorsteher
folgten ihm die Pfarrer Anton Wilhelm Steiner (bis 1898) und Johannes
Deggau. Im Jahr 1912 wurde Theodor
Hickel als Vorsteher und Pfarrer ans
Stift berufen.
In der Zeit des Nationalsozialismus bezog das
Elisabethenstift eindeutig Position und widerstand allen Bestrebungen
Hitlers, die Kirchen in sein Konzept der "Gleichschaltung" einzubinden.
Pfarrer Theodor Hickel musste deshalb 1934 das Stift verlassen. Pfarrer
Philipp Otto Lenz aus Gießen, zwar Mitglied der NSDAP,
nicht aber der
Deutschen Christen (DC), wurde sein Nachfolger. Da er ein alter
Parteigenosse war, billigte auch die NS-Obrigkeit diese Wahl. Glaubte
der 60-jährige anfangs noch an eine Vereinigung von Luthertum und
Nationalsozialismus (er führte z.B. Unterricht über Hitlers "Mein
Kampf" und Bevölkerungspolitik an der Schwesternschule ein), so wurde
ihm dieser Glaube ziemlich schnell genommen. Er, Oberin Minna Kähler
und fast die gesamte Schwesternschaft traten zum Reformationsfest 1934
der Bekennenden Kirche (BK) bei, jener sehr aktiven Gruppierung in der
evangelischen Kirche, die allen Übergriffen des Staates in kirchliche
Angelegenheiten energisch entgegentrat. Am 1. November 1934 fand der
erste von vielen, immer überfüllten, Bekenntnisgottesdiensten in der
Stiftskirche statt. So wurde, trotz Verbots durch den Landesbischof, am
2. Februar 1935 eine Bekenntnissynode abgehalten. Führende
Persönlichkeiten der Bekennenden Kirche hielten Predigten in der
Stiftskirche.
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- Gedenktafel des Darmstädter Geschichtsrundgangs
am Elisabethenstift in der Erbacher Straße (2018)
Pfarrer Bernhard Knell, der von 1945 bis 1952
Vorsteher des Elisabethenstifts war, konnte im August 1936 trotz seiner
Zugehörigkeit zur Bekennenden Kirche als zweiter Pfarrer eingestellt werden. Die
Verhältnisse eskalierten, als am 9. Juni 1939 der Vorsteher und Pfarrer
Otto Philipp Lenz auf Befehl des Gauleiters Sprenger abgesetzt und ihm
jede Tätigkeit im Elisabethenstift untersagt wurde. Gauleiter Sprenger
setzte einen aus der Kirche ausgetretenen Nationalsozialisten zum
kommissarischen Leiter des Elisabethenstifts ein. Als der Schwesternrat
in einer Erklärung gegen diese Eingriffe Stellung bezog, wurde die
Oberin abgesetzt und mit drei verantwortlichen Schwestern des Hauses
verwiesen. Ziel dieser Maßnahmen war ganz offensichtlich, die
Mitarbeiterschaft des Elisabethenstifts "gleichzuschalten". Im März
1940 wurde auch Pfarrer Knell denunziert und entlassen. In
der
Folgezeit wurden auch die Krippen und Kindergärten der
NS-Volkswohlfahrt unterstellt.
Am 16. Juni 1939 verkündete der
Gauamtsleiter auf einem Betriebsappell, zu dem alle Mitarbeiter
befohlen wurden, Ziel aller Maßnahmen sei die "Schaffung eines
nationalsozialistischen Betriebes um jeden Preis". Als man in diesem
Zuge die Schwestern drängte aus der Diakonissenschaft auszutreten, gab
der Schwesternrat am 20. Juni diese Erklärung ab:
"Nach
dem
Auftrag, den der Schwesternrat hat, fühlt er sich verpflichtet, zu den
Ausführungen des Gauamtsleiters Haug anlässlich des Betriebsappells im
Elisabethenstift am 16.Juni folgendes zu erklären:
Diakonie
ist
Dienst der Kirche. Die Schwesternschaft eines Diakonissen-Mutterhauses
ist eine Glaubensgemeinschaft, Arbeitsgemeinschaft und
Lebensgemeinschaft. Wir Diakonissen sind Dienerinnen des gekreuzigten
und auferstandenen Heilandes Jesus Christus an Kranken, Armen, Kindern
und allen der Erziehung und Pflege Bedürftigen. Wir tun unseren Dienst
in Dankbarkeit für die Liebe dessen, der sein Leben für uns gelassen
hat und dessen Barmherzigkeit wir an der eigenen Seele erfahren haben.
Als solche sind wir in allen Dingen zur Treue gegen den Herrn
verpflichtet, der uns in seinen Dienst gerufen hat. An seinen Auftrag:
“Ihr sollt meine Zeugen sein“ sind wir gebunden. Nur wenn wir
festhalten an der Treue gegen Gott und unseren Herrn und Heiland,
können wir unserem Volke in aller Treue dienen."
Diese
Erklärung
führte am 28.Juni mit zur Absetzung der Oberin und dreier leitender
Schwestern, die alle innerhalb von zwei Tagen das Haus verlassen
mussten. Nach Ende des Krieges kamen sie jedoch wieder in ihr
Mutterhaus zurück.
Es durften auch keine jungen
Frauen mehr als "Probeschwestern" aufgenommen werden. So sollte die Diakonissenschaft
durch fehlenden Nachwuchs aussterben. Die Jahre bis 1945 waren geprägt
von den Versuchen der braunen Machthaber, das Haus auf Parteilinie zu
bringen. So wurde eine Oberin eingesetzt, die sich ganz in den Dienst
der Nazis gestellt hatte. Als diese 1943 starb und zudem ein neuer
Kommissar eingesetzt wurde, ließ der Druck auf die Schwestern merklich
nach. Dazu kam, dass durch die ständig steigende Zahl der Fliegeralarme
die politischen Probleme in den Hintergrund gedrängt wurden.
Schon
im März 1936 war vom Generalstabsarzt in Kassel angeordnet worden, im
Kriegsfall 50 Prozent der Betten des Elisabethenstifts dem Militär zur
Verfügung zu stellen. Auch die Hälfte der Schwestern sollte, zusammen
mit Rot-Kreuz-Arbeiterinnen, für Kriegszwecke eingesetzt werden.
Während des Krieges waren dann große Teile des Stifts
Wehrmachtslazarett. Beim großen Angriff auf Darmstadt in der Nacht vom
11. zum 12. September 1944, der sogenannten Brandnacht, wurde etwa die
Hälfte aller Gebäude zerstört.
Im Elisabethenstift waren von 1943 bis 1945 nach einer Untersuchung von Richardt [6]
insgesamt vier Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt.
Nach dem Einmarsch der Amerikaner
am 25. März 1945 wurde das Krankenhaus dann amerikanisches Lazarett. In
dem von Bomben zerstörten Darmstadt wurde das Haus von 1945 an auch
eine Zuflucht für die Überlebenden. Bis zu 3.000 Menschen wurden täglich
mit Essen versorgt. Im legendären "Kellerhotel" zählte man bis 1950
rund 50.000 Übernachtungen von Heimkehrern, Durchreisenden und
Angehörigen von Internierten.
Heute ist das
Elisabethenstift ein
modernes Krankenhaus mit Kliniken für Innere Medizin, Chirurgie,
Geriatrie, Psychiatrie und Psychosomatik und zählt zu den großen
Kliniken Darmstadts.
An einem Seiteneingang des Elisabethenstifts in der Erbacher Straße hängt seit 2017 eine
Tafel zum Gedenken an die Veröffentlichung
des Darmstädter Worts im Jahre 1947.
Eine weitere Gedenktafel aus dem "Darmstädter Geschichtsrundgang 1933-1945" hängt ebenfalls in der
Erbacher Straße, siehe Foto oben.
In der Stiftskirche erinnert eine Gedenktafel an die Zerstörung in der Brandnacht und den Wiederaufbau.
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[6], Abbildungen:
unten: Autoren, oben: unbekannnte Quelle
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