DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Brandnacht Mit dem Begriff "Brandnacht" verbinden die Darmstädter den schlimmsten Luftangriff, den die Stadt während des Zweiten Weltkrieges erleben musste. Er fand in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944 statt.

Blick von Norden auf den Luisenplatz (1945)
Blick von Norden auf den Luisenplatz (1945) [25]

Die ersten Bombenabwürfe auf Darmstadt erfolgten bereits am 30. Juli, am 27. August und 2. September 1940. Sie richteten nur Sachschaden an. Den ersten Luftalarm erlebten die Darmstädter am 8. Juni 1940. Bis zum Letzten waren es insgesamt 1.566 Alarme.

Die ersten Toten durch Luftangriffe gab es bereits am 22. Juli 1941 zu beklagen. Bei einem Bombenangriff auf mehrere Städte des Rhein-Main-Gebietes durch die englische Luftwaffe war auch Darmstadt betroffen. Zehn Tote und 25 Verletzte, sowie eine Reihe zerstörter Häuser in der Liebfrauenstraße, Pankratiusstraße, Kranichsteiner Straße und der Lagerhausstraße (heute Julius-Reiber-Straße) waren die Bilanz dieses Angriffs.

Heutiger Karolinenplatz (1944)
Heutiger Karolinenplatz (1944) [25]

23. September 1943 kam es zum ersten gezielten Großangriff auf Darmstadt. Der Fliegeralarm begann ohne Vorwarnung um 22.23 Uhr und endete um 24.00 Uhr. Erstmals wurde Darmstadt gezielt von einem größeren Verband der Royal Air Force bombardiert. 29 Maschinen warfen insgesamt 51 Sprengbomben verschiedener Größe und 2779 Brandbomben aus sehr großer Höhe ab. Dieser Angriff forderte 149 Menschenleben und 278 Verletzte. Er zerstörte große Teile der Altstadt und etliche Straßen im Martins- und Johannesviertel. Etwa 5.000 Menschen wurden obdachlos, 162 Gebäude wurden zerstört und 210 beschädigt.

Mit der Dauer des Krieges nahmen die Luftalarme immer mehr zu. 1944 war das schlimmste Jahr für die Darmstädter Bevölkerung. In manchen Monaten war fast täglich Alarm. Bis Juli 1944 erlebte die Bevölkerung Darmstadts acht Luftangriffe.

Am 29. Januar fielen auf Darmstadt 20 Sprengbomben und Minen, die eigentlich für Frankfurt gedacht waren.

Am 8. Februar wurde Arheilgen bombardiert.

Am 24./25 April entledigte sich ein Flugzeug seiner Bombenlast über Darmstadt.

Am 19. Juli flogen amerikanische Bomber erstmals einen Angriff bei Tage, der vor allem gegen das Werksgelände der Firma Merck gerichtet war.

Der nächste Großangriff auf Darmstadt durch englische Bomber war für den 25./26. August 1944 geplant. Durch technische und organisatorische Pannen wurde jedoch ein Großteil der Bomben auf Rüsselsheim (Opel-Werke), Griesheim, Groß-Gerau, Bickenbach, Pfungstadt abgeworfen.

Zerstörungsgrade nach der Brandnacht
Zerstörungsgrade nach der Brandnacht [26]
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Der verheerendste Angriff auf Darmstadt erfolgte jedoch in der Nacht vom 11. auf den 12. September 1944. In dieser Nacht flog die englische Luftwaffe unter dem Decknamen "Luce" (dt.: Hecht) mit dem Auftrag "to destroy town" (dt.: die Stadt zerstören) Richtung Darmstadt. 221 schwere Lancaster-Bomber und 14 schnelle Mosquito-Bomber warfen 191 Luftminen, 33 Sprengbomben und fast 286.000 Stabbrandbomben ab.

Am 13. September 1944 druckte die Darmstädter Zeitung einen Text des NSDAP-Kreisleiters Dr. Schilling ab, in dem es unter anderem hieß:

"Mit sadistischer Wut vernichtete der Feind in den gestrigen Nachtstunden unsere geliebte Heimatstadt. ... Seine teuflische Absicht ist es, uns mit derartigen, jedem Völkerrecht hohnsprechenden Schlägen unseren Widerstandsgeist zu brechen und uns bereit zur Kapitulation zu machen. Wir stellen dieser Spekulation die ungebrochene moralische Kraft unserer Gemeinschaft gegenüber, die ein Garant dafür ist, dass dem barbarischen Feind auch dieses Verbrechen vergolten werden wird. ... Es ist im Gegenteil Anlass zu noch festerem Zusammenstehen und noch stärkerer Ausdauer im Kampfe um die Freiheit unseres Volkes, in der die Freiheit jedes einzelnen von uns beschlossen ist. ..."

Am 13. September 1944 erscheint ein Beitrag mit dem Titel "Terror bricht uns nicht", unterzeichnet mit Dr. Clemens Schecke. Darin schreibt er unter anderem:

"Voll Stolz dürfen wir bekennen - wir sind selbst Zeuge dafür - dass die Schreckensnacht von zahllosen unbekannten mutigen Frauen, Männern, Jünglingen und Mädchen durchstanden wurde. ... Das Opfer des Lebens, das diese Volksgenossen vor wenigen Stunden gebracht haben, es kann uns nur Ansporn sein, ihren Opfertod niemals, mag kommen, was da wolle, durch Mutlosigkeit zu entweihen. Sie fielen gleich all den vielen anderen deutschen Volksgenossen an der Front oder im Bombenhagel der Terrornächte für unsere Zukunft, für die Zukunft der nach uns kommenden Generationen, für Deutschland. Unser Versprechen an sie lautet: Treue bis zum Letzten".

Die Darmstädter Zeitung vom 23./24.9.1944 berichtet von der Trauerfeier auf dem Waldfriedhof. Es habe sich eine "große Trauergemeinde" eingefunden, "zahlreiche Angehörige der nahezu 3.000 Toten" waren erschienen. "Mit den trauernden Familien waren die Spitzen und Abordnungen der Partei, der Wehrmacht, des Staates, der Stadtverwaltung ... gekommen, um den lieben Kameraden, Freunden ... die letzte Ehre zu erweisen."  Der Schauspieler Hanns E. Jäger sprach die verpflichteten Worte des Führers für das kämpfende, siegesgläubige Deutschland: "Auch wenn wir vergehen müssen, muss Deutschland bestehen. ...". Anschließend sprach noch Kreisleiter Dr. Schilling.

In dem fast eine Seite umfassenden Zeitungsbericht in der Darmstädter Zeitung vom 28./29.9.1944 "Nacht des Schreckens und der Bewährung – Bilder vom Terrorangriff auf Darmstadt zeugen von der harten Prüfung, die unserer Stadt widerfuhr" zieht ein Dr. Heinrich Reichert eine Art Bilanz. Er schließt mit aufmunternden Worten und appelliert an den "Mut zum Leben".

Zerstörtes Darmstadt 1944
Zerstörtes Darmstadt (1944) [25]

Eine genaue Zahl der Opfer ist nicht bekannt, sie dürfte zwischen 11.000 und 12.000 Männern, Frauen und Kindern liegen. Rund 70.000 Menschen wurden obdachlos. Etwa 80 Prozent der inneren Stadt (Altstadt) wurde zerstört. Die Ereignisse dieser Nacht werden in den Büchern von Klaus Schmidt "Die Brandnacht", erschienen 1964, und den 2004 veröffentlichten Büchern "Feuersturm und Widerstand" von Fritz Deppert und Peter Engels sowie "Darmstadt im Feuersturm" von Klaus Honold eindringlich beschrieben. Der Darmstädter Filmemacher Christian Gropper hat sich in mehreren Filmen mit der Brandnacht beschäftigt.

Die Bergungsmaßnahmen, zu denen auch Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, galten zunächst den Verschütteten in den Kellern zerstörter Häuser. Die Leichenbergung nahm noch den ganzen Oktober in Anspruch. Die meisten Toten wurden auf dem Waldfriedhof in einem Massengrab beerdigt, das 1958 zu einer Gedenkstätte ausgebaut wurde.

Im Verhältnis zu Größe und Einwohnerzahl war Darmstadt nach Pforzheim die am schlimmsten betroffene Stadt im Zweiten Weltkrieg. Darmstadt, eine Stadt mit etwas mehr als 100.000 Einwohnern, verlor durch die Luftangriffe etwa 10 Prozent seiner Bürger.

Am 12. Dezember 1944 kam es zum letzten schweren Angriff auf Darmstadt. Es kamen 300 Menschen, darunter Zwangsarbeiter, ums Leben. Ziel waren hauptsächlich die schon bei früheren Angriffen beschädigten Werksanlagen der Firma Merck und die für den Flugzeugbau wichtige chemische Fabrik Röhm & Haas.

Neben der Gedenkstätte auf dem Waldfriedhof, die 1958 als Ehrenstätte für die Kriegstoten beider Weltkriege eingerichtet wurde, erinnert die 1954 zum Mahnmal umgestaltete Ruine der Stadtkapelle an die Zerstörung Darmstadts und die Opfer. Am 11. September 2004 wurde als weiteres Mahnmal eine Gedenkstele auf dem Friedensplatz zwischen Schloss und dem Weißen Turm errichtet (ehemals an einer Straßenbahnhaltestelle). Sie zeigt Fotos der Stadt nach dem Bombenangriff. Es stellt sich den Autoren die Frage, ob dieser Standort, besonders nach Verlegung der Straßenbahnhaltestelle, noch der Richtige ist.

Das Darmstädter Echo veröffentlicht im Internet Fotos der Zerstörung Darmstadts, von denen wir hier einige abbilden.

Die Gropperfilm-Produktions GmbH hat im Jahr 2004 für den Hessischen Rundfunk die Brandnacht unter dem Titel "Brandmale" filmisch dokumentiert. Die Erstvorstellung fand am 11. September 2004 in Darmstadt statt, der Hessische Rundfunk sendete am 8. Mai 2005.

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