DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Röhm & Haas
war eine chemische Firma, die am 6. September 1907 von dem gelernten
Apotheker und Chemiker Otto Röhm (14.3.1876 Öhringen - 17.9.1939
Berlin) und dem Kaufmann Otto Haas (15.3.1872 Stuttgart - 2.1.1960
Philadelphia/USA) in Eßlingen gegründet, aber bereits am 22. Juli 1909
nach Darmstadt an die damalige Weiterstädter Straße auf ein 6.500 qm
großes Gelände verlegt wurde.
Otto Röhm galt
aufgrund zahlreicher Patente als bedeutender Chemiker seiner Zeit.
Unter anderem entwickelte er 1907ein Enzym zum Ledergerben, meldete
1914 das erste enzymatische Waschmittel ("Burnus") zum Patent an und
stellte 1933 sein "organisches Glas" (Polymethylmethacrylat) vor, dass
unter dem Namen "Plexiglas" als Warenzeichen eingetragen wurde.
Im
Jahre 1934 umfasste das Firmengelände 50.000 qm und bestand aus
fünfzehn einzelnen selbständigen Betrieben. Im Betrieb Nr. 12 in der
ehemaligen Seifenfabrik Jakobi fand die Plexiglas-Produktion statt.
Nach
Edschmid [1] war Röhm "als Erfinder und
Organisator revolutionär, in seinem Wesen aber, als politischer Bürger,
eher konservativ." Nationalsozialistische Slogans, "die er in seinem
Werk eindringen hören mußte, schon ehe" Hitler "die Macht übernommen
hatte, waren ihm ein Greuel. Als klarblickender Mann hatte er den
wachsenden Antisemitismus stets abgelehnt."
Schon im Sommer 1933 forderten die Nazis, den "arischen Charakter" des
Unternehmens und seiner Kapitalgeber zu belegen. Dies führte zum
"Rücktritt" des jüdischen Vorstandsmitglieds der zu Röhm gehörenden
Burnus AG, Dr. Herbert Heriberts. Weitere Entlassungen
Betriebsangehöriger aufgrund rassischer oder politischer Verfolgung
seien nicht dokumentiert, heißt es in der 100 Jahre-Jubiläumsschrift [2].
Nach der
Machtübernahme Hitlers wurde die Produktion auf den militärischen
Bedarf ausgerichtet. Dies wurde von Röhm durch von ihm geförderte
Kontakte zum Reichsluftfahrtministerium offenbar stark unterstützt. "Es
war bemerkenswert, daß die ersten Anwendungen für Gasmasken angeordnet
wurden" schreibt Edschmid. Und weiter: "Die Bitterkeit, die Röhm über
die politische und inhumane Praxis der Nazistaatsführung erfüllte,
hinderte ihn nicht, sein Werk mächtig voranzutreiben. Für das Werk war
es freilich ein wirtschaftlicher Erfolg, als Göring 1936 in einem
Schreiben PLEXIGLAS als wirtschaftlich wertvoll bezeichnete. Nunmehr
wurde jedes Flugzeug im Laufe der Aufrüstung Hitlers mit einer Kanzel
aus PLEXIGLAS ausgestattet". Gewinnbringende Rüstungsaufträge waren die
Folge.
Das Reichsluftfahrtministerium bestätigte
am 17. August 1937 der Firma,
"daß das von Ihnen entwickelte
Plexiglas als ein wehrtechnisch wertvoller Gegenstand der Luftwaffe
anzusprechen ist; seine Weiterentwicklung sowie der beschleunigte
Ausbau der Fabrikation verdient daher besonders gefördert zu werden".
In seinem Tagebuch
notierte Röhm, dessen Frau jüdischer Abstammung war, öfters seine
persönlichen Gedanken zu den politischen Veränderungen.
So
etwa 1934: "... Der
Staat ist nicht von Gott gemacht, der Staat ist für die Menschen da und
nicht der Mensch für den Staat".
Oder
am 5. Juli 1934: " ...
wurden in diesen Tagen etwa zwanzig Menschen erschossen, ohne sie vor
Gericht zu stellen, und man verbiete, darüber zu reden. ... Die Juden
werden schlecht behandelt, andererseits verlangt man eine bessere
Behandlung der Deutschen dort, wo sie in der Minderheit sind".
Am
27. Januar 1936 wurde der Firma Röhm & Haas AG Darmstadt von
der NSDAP Gauleitung Hessen-Nassau schriftlich bestätigt:
"Nach der Entscheidung des
Reich-Bezugsquellen-Archives, Berlin, ist auf Grund der
Kapitalzusammensetzung Ihr Betrieb als a r i s c h e
s Unternehmen zu bezeichnen".
Lag
die Mitarbeiterzahl 1934 bei 450, wurde im Februar 1937 der
eintausendste Mitarbeiter eingestellt.
Im November
1938 erfolgte die Umwandlung der Firma von einer Aktiengesellschaft in
eine GmbH. Bei dieser Gelegenheit gab Röhm seinen Vorstandsvorsitz ab.
Sein Sohn Otto Röhm (geboren am 12. April 1912) konnte ihm wegen seiner
jüdischen Abstammung nicht nachfolgen. Er hatte seinen Vater seit 1937
im Unternehmen unterstützt und wurde nach 1940 auf Anweisung von Gauleiter Sprenger zur
Zwangsarbeit in einem Salzbergwerk verpflichtet.
Röhm,
schreibt Edschmid [1], habe sich dem Wunsch
des Gauleiters Sprenger
widersetzt, einen Parteigenossen in seinen Aufsichtsrat aufzunehmen.
Ebenso habe er dem Versuch widerstanden, seine Firma in den
IG Farben aufgehen zu lassen.
Im Spätsommer zog
sich Röhm, der noch engen Kontakt zum Unternehmen unterhielt, aus der
Unternehmensleitung wohl nicht nur aus gesundheitlichen Gründen völlig
zurück. Die Geschäftsleitung lag nun in den Händen des Chemikers Carl
Theodor Kautter und des Juristen Rudolf Mueller, dem Sohn des am 30.
März 1933 von den Nazis seines Amtes enthobenen Darmstädter
Bürgermeisters gleichen Namens. Kautter wurde nach seiner Ernennung zum
Geschäftsführer NSDAP-Mitglied. Nahestehende interpretieren dies nicht
als Zustimmung zum NS-Regime, sonder eher als taktisches Verhalten im
Interesse der Fabrik.
Röhm war inzwischen zum
kriegswichtigen Unternehmen "aufgestiegen".
Das
Unternehmen war auch "Arisierungsgewinner". So erwarb Röhm 1936 und
1937 ein rund 10.000 qm großes Gelände der jüdischen Firma Herz
Bodenheimer, angeblich zu fairen Preisen. 1942 erwarb Röhm auch
Grundstücke, die bis 1932 im Besitz der jüdischen Firma Eisen-Trier
waren, die jedoch unter starkem Einwirken der NSDAP bereits vor der
Machtübernahme 1933 hatte Insolvenz anmelden müssen (siehe auch Arisierung).
Nach
Bombardierungen am 26. August und 11. September 1944, der sogenannten Brandnacht, brannten die
Fabrikanlagen durch die englischen Bomber größtenteils aus. Die
Zerstörung lag bei mehr als 60 Prozent. Es gab viele Tote, darunter 72
Belegschaftsangehörige und eine unbekannte Anzahl von Zwangsarbeitern.
Leider
vergisst Edschmid [1] in seiner Werks-Biografie zu
erwähnen, dass Röhm & Haas in großer Zahl Zwangsarbeiter
beschäftige. Eine Anfrage der Autoren vom Februar 1995 [3] wurde von der Firma damals u. a.
wie folgt beantwortet:
"Uns ist durch Überlieferung
älterer Mitarbeiter, die seit langem nicht mehr im Unternehmen
beschäftigt sind, bekannt, daß insbesondere Menschen aus östlichen
Staaten während des Zweiten Weltkrieges auch bei der damaligen Firma
Röhm und Haas GmbH eingesetzt worden sind. Das liegt nun etwa 50 Jahre
zurück. Bei der heutigen Firmenleitung sind nähere Einzelheiten hierzu
nicht bekannt. Wir bedauern daher, Ihnen in dieser Angelegenheit nicht
helfen zu können".
Nach
Pingel-Rollmann [4] arbeiteten zwischen 1942 und
1945 ca. 730 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, davon etwa 660
Männer, die hauptsächlich aus Frankreich, Italien und der Sowjetunion
stammten. Röhm & Haas unterhielt zwei sogenannte Werklager in
der Landwehrstraße, wo die Zwangsarbeiter nach Geschlechtern getrennt
untergebracht waren.
Nach den im Stadtarchiv
Darmstadt eingesehenen Unterlagen, deren Vollständigkeit nicht bezeugt
werden kann, waren bei Röhm & Haas 280 russische und 255
französische Zwangsarbeiter eingesetzt.
In der von
Röhm 2007 herausgegebenen Jubiläumsschrift [2] wird dagegen sehr ausführlich
über die Zeit des Nationalsozialismus, der Arisierung und Zwangsarbeit
berichtet. Im September 1944 habe "der Anteil an Zwangsarbeitern und
Kriegsgefangenen im Unternehmen exakt 26 Prozent der anwesenden
Belegschaft betragen". Die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter wird mit 752
Personen angegeben. Sie stammten aus Italien, Frankreich, Belgien,
Holland, Polen, Rußland, Weißrußland, der Ukraine und Litauen. Auch in
den Werken Mittenwalde und Worms waren Zwangsarbeiter eingesetzt.
Untergebracht seien sie im Wesentlichen auf dem Werksgelände, in
Gaststätten und städtischen Gebäuden gewesen. Der regulären Belegschaft
sei es verboten gewesen, Kontakt zu Zwangsarbeitern aufzunehmen oder
ihnen Nahrungsmittel zu kommen zu lassen.
Bei Röhm
& Haas kam auch der von den Nationalsozialisten wegen fehlender
NSDAP-Mitgliedschaft entlassene Direktor der Eleonorenschule, Dr.
Gustav Mahr, unter. Dies berichtete Irmgard Lautz als Zeitzeugin über
ihre Schulzeit in der NS-Zeit in der Jubiläumsschrift "100 Jahre
Eleonorenschule" [5].
Der Sohn des Gründers Otto Röhm mit dem Namen Otto Gustav Hermann Alfred Röhm (6.4.1912 Darmstadt -
2004 Luzern) hatte die Zwangsarbeit überlebt, übernahm im Juni 1945
die Geschäftsführung und erhielt im Oktober 1945 eine eingeschränkte
Produktionserlaubnis.
Die Firma Röhm gehört heute
zur Evonik Services GmbH.
Die Familie Röhm
bewohnte, so schreibt Edschmid [1],
im "Tintenviertel ein schön gelegenes, geräumiges Haus" im Herdweg 61.
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