DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Merck Darmstadt Die Merck KGaA ist eine international tätige chemisch-pharmazeutische Fabrik mit Sitz in Darmstadt.
Die Fabrik im Jahre 1892 am alten Standort am heutigen Mercksplatz
Die Fabrik im Jahre 1892 am alten Standort am heutigen Mercksplatz [1]

Die Anfänge liegen im Jahr 1668, als Landgraf Ludwig VI dem Apotheker Friedrich Jacob Merck (18.2.1621 Schweinfurt) die Erlaubnis zur Betreibung einer Apotheke erteilte. Er eröffnete die "Engel-Apotheke" am Darmstädter Schlossgraben.

Das Anwachsen der Einwohner Darmstadts hatte auch positive Auswirkungen auf die geschäftliche Entwicklung der Apotheke. Spätestens 1827 begann die Herstellung medizinischer Produkte über den Bedarf der Apotheke hinaus im eigenen Apotheken-Labor.

Die steigende Nachfrage erforderte eine Ausweitung der Produktion und so wurde 1836 die Apotheke am Schlossgraben an den Luisenplatz (Merck-Haus) verlagert. Um 1850 wurden am heutigen Mercksplatz Fabrikationsanlagen gebaut und 1904 an den heutigen Standort an der Frankfurter Straße 250 verlegt und Schritt für Schritt erweitert. Auch wurden Filialen im Ausland eröffnet.

Durch den Kriegsausbruch 1914 sei das kontinuierliche Wachstum, so in einer Werksveröffentlichung von 1994, beendet worden. Doch während "das Exportgeschäft praktisch zum Erliegen kam, wuchs der Inlandsumsatz und stieg mit zunehmender Kriegsdauer sogar beträchtlich" heißt es an anderer Stelle. Ein Großteil des Umsatzes entfiel auf Heereslieferungen. Merck stellte bereits am 1. August 1914 der Heeresverwaltung mehr als einhundert Sanitätswagen zur Verfügung. Hinzu kam die Ausstattung von Sanitätsdepots. Zum Medikamentenangebot gehörten wegen der Verwendung von Pferden auch Veterinärarzneimittel. Zum Schutz vor Gas und Kohlenmonoxid stellte Merck auch Gasschutzgeräte, Mund- und Atemschützer für Mensch und Pferde her. So wurden bis zum Ende des Krieges 45.500 Pferdegasmasken hergestellt.

Durch Einberufungen zum Militärdienst verringerte sich die Belegschaft bereits im ersten Kriegsjahr von 2.101 auf 1.271 Beschäftigte.

Anzeige von 1940
Anzeige von 1940 [17]
Nachdem 1933 die Nationalsozialisten die Regierung übernahmen - durch gezielte Programme der verdeckten Kriegsvorbereitung wie z. B. Autobahnbau und Investitionen im Rüstungsbereich - wurde die Arbeitslosigkeit - unter Abbau von Arbeitnehmerrechten - stark reduziert. Von diesem Wirtschaftsaufschwung profitierte auch Merck. Der nationalsozialistische Staat durchdrang alle gesellschaftlichen Bereiche und machte auch vor Unternehmen nicht halt. Die Betriebe wurden vom "Betriebsführer" geleitet, die Mitarbeiter hießen "Gefolgschaft", in den Betrieben gab es z. B. die Pflicht, "Führerreden" gemeinsam anzuhören.

Über die Nähe der Familie Merck zum nationalsozialistischen Terrorregime wird auf die Beiträge "Dr. Karl Merck" und "Mathilde Merck" verwiesen.

Zu den Inhabern der Chemischen Fabrik E. Merck gehörten 1940

Weitere Familienmitglieder in NS-Organisationen waren:

Wie in vielen anderen Firmen mussten auch Zwangsarbeiter/Fremdarbeiter bei Merck arbeiten. Nach im Stadtarchiv Darmstadt aufbewahrten Unterlagen waren nach Angabe bei der Fa. Merck

Pingel-Rollmann gibt für Merck die Zahl von 1.240 beschäftigten Zwangsarbeitern an. Als Unterkünfte (Lager) nennt Pingel-Rollmann die Maulbeerallee, die Gaststätten Zum Goldenen Löwen (Friedrich-Ebert-Platz 2, heute Frankfurter Landstraße 153), Zum Weißen Schwan (Woogstraße 3), Zum Grünen Baum (Dieburgerstraße 2, heute Messelerstraße 2) und WEL Traisa.

Die Leiterin des Firmenarchivs:

Das Unternehmen hatte 1939 circa 4.000 Mitarbeiter. Nachdem ein großer Teil der Belegschaft zur Wehrmacht einberufen oder andernorts zwangsverpflichtet wurde, gab es Bemühungen, diese Lücken wieder zu schließen. Zunächst wurden ab 1941 Flamen, aber auch Franzosen, Holländer und Italiener angeworben. Diese konnten sich frei bewegen, sie lebten mit ihren Familien in Wohnungen oder in Zivilarbeiterlagern. In Kriegsjahren ab 1942 jedoch teilte die Administration dem Werk Zwangsarbeiter zu: Hierdurch kamen 257 Russen und 8 Polen, vorwiegend Frauen, zu Merck.

In einer anderen Veröffentlichung ist ebenfalls von "257 Zwangsarbeitern als Ersatz für zum Kriegsdienst abgezogene Mitarbeiter ... vornehmlich aus Russland und der Ukraine verschleppte Frauen" die Rede. "Außerdem waren sogenannte Fremdarbeiter aus Frankreich, Italien und den Niederlanden im Werk Darmstadt tätig".

In einer Fußnote des Beitrages von Bernschneider-Reif wird auch berichtet, dass Merck aufgrund einer Anordnung der Reichsstelle Chemie vom 21.8.1942 am "Chemischen Rüstungsprogramm" der Nazis beteiligt war. Sie zitiert aus dem Jahresbericht 1941 und 1942:

"Anfang Juli wurden die französischen Kriegsgefangenen - welche auch in Schädlingsmittel gut eingearbeitet waren - von der Firma weg nach anderen Industrien und auf das Land verpflichtet. Ein Ersatz wurde uns durch Ostarbeiterinnen [...] gegeben".

Das Ostarbeiter Abzeichen
Das "Ostarbeiter" Abzeichen [16]
Die Ostarbeiterinnen erhielten etwa 75 Prozent des regulären Lohns abzüglich der Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Im Schnitt seien etwa 40 Mark ausbezahlt worden. Untergebracht waren sie in mit Drahtzaun gesicherten Baracken, die zusätzlich von Werkschutzleuten bewacht worden seien. Ein Ausgang in die Stadt sei nur in Gruppen, unter Aufsicht und versehen mit dem Abzeichen "Ostarbeiter" (siehe Abbildung) erlaubt gewesen.

In der von Propagandaminister Goebbels herausgegebenen Zeitung "Das Reich" erschien aus Anlass des 200. Geburtstages von Johann Heinrich Merck 1941 eine große Werbeanzeige der Firma Merck.

Das Werk wurde auch durch den Abwurf von Bomben beeinträchtigt. In der sogenannten Brandnacht am 11./12. September 1944 wurde Merck nicht getroffen. Drei Monate später jedoch, am 12.12.1944 gegen Mittag war Merck Ziel eines schweren Luftangriffs. 60 Beschäftigte wurden getötet, 70 Prozent der Gebäude wurden ganz oder teilweise zerstört. Das Kessel- und Maschinenhaus sowie das werkeigene Wasserwerk bieben verschont.

Im Dezember 1999 berichtete das Darmstädter Echo, dass die Fa. Merck jedem bei ihr eingesetzten Zwangsarbeiter unabhängig von der Dauer seines Einsatzes, 10.000 Deutsche Mark zahlen wolle. Hierbei ging die Firma allerdings nur von 257 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern aus.

Merck trat im Februar 2000 der deutschen Stiftungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" bei. Nach Bernschneider-Reif hat es bei Merck offenbar intensive Überlegungen dazu gegeben, wie die damaligen bei Merck eingesetzten Zwangsarbeiter "entschädigt" werden könnten. Genügt es, dem Entschädigungsfonds beizutreten oder gibt es Möglichkeiten, die Medikamentenversorgung in Weißrussland zu verbessern? Sie schildert eine bis in die 1980er Jahre zurückgehende Initiative der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zur Erforschung der Zwangsarbeit in Südhessen verknüpft mit der Frage, wie die medizinische Versorgung der in Belarus lebenden ehemaligen Zwangsarbeiter gesichert werden kann. Hierauf angesprochen, habe Merck positiv reagiert.

Bernschneider-Reif:

"In bislang drei Apotheken (eröffnet 1998, 2000, 2002) erhalten nun Menschen kostenfrei Arzneimittel; alle Menschen, die innerhalb der "Belarussischen Republikanischen Stiftung Verständigung und Versöhnung" als Insassen eines Konzentrationslagers, Ghettos, Gefängnisses oder als Zwangsarbeiter registriert sind."

Heute ist Merck, immer noch in Familienhand, ein prosperierendes weltweit tätiges Unternehmen.

Im Januar 2017 kam die Firma Merck bundesweit in die Schlagzeilen, weil der Sohn des Vorstandsvorsitzenden Frank Stangenberg-Haverkamp, Markus Stangenberg-Haverkamp, der zur Gesellschafterversammlung des Konzern zählt, nach Recherchen des Westdeutschen Rundfunks (WDR) Verbindung zu rechtsradikalen Kreisen habe. Der WDR strahlte am 11. Januar eine Fernsehdokumentation aus, die öffentlich machte, dass Markus Stangenberg-Haverkamp "seit Jahren dem rechtsradikalen "Deutschen Kolleg" angehöre".

Das Deutsche Kolleg ist nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ein "rechtsextremer Theoriezirkel", dem u. a. auch die bekannten "rechtsextremistischen Intellektuellen ... Reinhard Oberlercher und Horst Mahler" angehören (Verfassungsschutz Brandenburg, 2002). Nach Erkenntnissen des Thüringer Verfassungsschutzes verbreite das 1994 gegründete "Deutsche Kolleg" rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Es sei der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen. Das Unternehmen kommentiere "generell private Aktivitäten einzelner Aktionäre genauso wenig wie private Aktivitäten von Gesellschaftern unseres Mehrheitsgesellschafters" schreibt das Darmstädter Echo. "Der Vorwärts" verbreitete am 13. Januar "Vorstandschef im Merck Gesellschafterrat bestreitet Vorwürfe".


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