DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Hickel, Theodor
Theodor Hickel
Theodor Hickel [11]
(28.9.1878 Assweiler/Unterelsaß - 11.2.1945 Düssen/Württemberg) besuchte ab 1884 die Schule in Speyer und nach dem Umzug der Eltern nach Darmstadt (Beckstraße 4) um 1892 das Humanistische Gymnasium in Darmstadt, an dem er 1896 das Abitur ablegte, um anschließend von 1896 bis 1900 Theologie an den Universitäten Straßburg und Greifswald zu studieren. Nach der 1. theologischen Prüfung 1900 bestand er die 2. theologische Prüfung 1901 an der Universität Straßburg. Ordiniert wurde Hickel am 2. März 1902 in Buxweiler. Ein Lehrvikariat schloss sich 1903 am Elisabethenstift Darmstadt an.

Am 15. April 1903 heiratete Hickel Elisabeth Blaul, mit der er sechs Kinder hatte (geb. 1908, 1910, 1911, 1913, 1915 und 1919).

Im März 1912 wurde Hickel als Nachfolger von Pfarrer Deggan Vorsteher des Elisabethenstifts. Während seiner Amtszeit entwickelte sich das 1858 gegründete Diakonissenhaus Elisabethenstift zu einer anerkannten Einrichtung in der Region, wie auch auf Reichsebene.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten auf Reichsebene und kurze Zeit später auch auf Länder- und kommunaler Ebene wirkte sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche aus und so auch auf das Elisabethenstift.

Im Schwesternbrief vom Juli 1933 schreibt Hickel u. a.,
dass "unsere ganze Diakonissensache (ist) gleichgeschaltet worden, das heißt, es wurde der Beschluß gefaßt, daß ein Vertreter des Reichsministeriums aufgenommen würde in den Vorstand des Kaiserswerther Verbandes, dort auch an allen Sitzungen teilnehmen würde und zwar so, daß ohne seine Zustimmung kein Beschluß gefaßt werden dürfte". Er teilt darin weiter mit, dass auch in jedem einzelnen Mutterhaus ein Vertreter des Landesministeriums des Innern mit den gleichen Rechten Einzug halten sollte. Auch würden alle Schwestern eingegliedert in die Reichsfachschaft für Schwestern. In allernächsten Tagen werde auch darüber entschieden werden, ob auch die hessische Landeskirche von den Deutschen Christen übernommen werden wird. Er habe sich daher "mit einigen Freunden entschlossen, eine Gegenbewegung zu entfachen, um eine solche Parteiherrschaft in der Kirche zu verhindern".

Dieser Schwesternbrief ist offenbar Anlass für die nationalsozialistische Landesregierung, Hickel unter Beobachtung zu nehmen. Er erhält am 30. September 1933 eine Vorladung zum 4. Oktober in die zuständige Ministerialabteilung für Bildungswesen, Kultus, Kunst und Volkstum zu Schulrat Großmann. Es geht um die Frage, wie sich Hickel gegenüber der neuen Regierung verhält.

In einem Schreiben an den Vorstand des Diakonissenhauses Elisabethenstift vom 30.9.1933 unter Bezugnahme auf Hickels Schwesternbrief heißt es vom Vorsitzenden des Vorstandes von Wussow u. a.

"Es scheint die Meinung vorzuliegen, als wenn man die Befürchtung haben müßte, daß in unserem Hauses die nationalsozialistische Bewegung irgendwie bekämpft würde. Dies ist aber bei uns nie der Fall gewesen, im Gegenteil hat der Vorsteher auch in den vergangenen Jahren seine Aufgabe darin gesehen, den Schild zu halten über Schwestern, die nach ihrer Überzeugung der nationalsozialistischen Bewegung nahestanden und deshalb angefochten wurden. Er hat nie ein Hehl daraus gemacht, daß er die Aufgabe der Schwestern darin sieht, die nationale Linie zu halten. ... Es wurde in unserem ganzen Werke nie eine schwarz-rot-goldene Fahne gezeigt. ... In sozialer Beziehung ist nach vieler Richtung das nationalsozialistische Programm geradezu eine Erfüllung der Forderungen, die zu vertreten er als seine Lebensaufgabe ansah. Auch seine Stellung zum Nationalsozialismus als solchen ist eine durchaus positive, wenn er auch seine Aufgabe nicht darin sieht, der Partei als solcher beizutreten".

Das Hessische Staatsministerium lädt den Minister a. D. von Wussow in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Vorstandes des Elisabethenstifts unter dem 18. November 1933 zu einem Gespräch am 23. November mit dem Referenten Assessor Scheer über das Verhalten des Pfarrers Hickel.

In einem Schreiben des Staatsministeriums für Bildung vom 30.11.1933 an den Vorstand des Elisabethenstifts zu Hd. Minister a. D. von Wussow werden Vorwürde gegen Hickel in elf Punkten konkretisiert, in denen ihm eine kritisch ablehnende Haltung dem Dritten Reich gegenüber vorgeworfen wird. Ein Vorwurf lautete:


Das von Friedrich Ringshausen unterzeichnete Schreiben endete mit der Empfehlung, Pfarrer Hickel möge sich um eine andere Pfarrstelle bewerben.

Auf Anforderung von Herrn von Wussow nimmt Hickel zu allen Anklagepunkten detailliert Stellung und weist die Vorwurfe entweder zurück oder erklärt sie. Zum letzten Punkt, die angebliche "Verherrlichung der Juden" betreffend, schreibt Hickel u.a. "Irgendwie Mitleid zu erwecken mit den Juden und ihrem Schicksal in dieser Zeit, habe ich nie versucht, um so weniger, als ich seit vielen Jahren selbst mit der Grundthese des Staates in der Judenfrage politisch einverstanden bin, nämlich daß das Judentum als ein Fremdvolk anzusehen und danach zu behandeln ist".

In einem Schreiben an das Landeskirchenamt vom 12.12.1933 setzt sich der Vorsitzende von Wussow für ein Verbleiben Hickels am Elisabethenstift ein, indem er darauf hin weist,

"daß die Entfernung des Hausvorstehers aus seinem Amt eine schwere Störung des ganzen Diakonissenwesens in Hessen (sei) und die Evangelischen Landeskirche schwer geschädigt würde".

In einem Schreiben von gleichen Tag an das Hessische Staatsministerium teilt von Wussow mit, dass Hickel ein Disziplinarverfahren gegen sich bei der Landeskirche beantragt habe und bittet den Ausgang abzuwarten. Überdies zitiert von Wussow Hickel wie folgt:

" ... Ich sehe den Führer als den Retter unseres Volkes, und es ist mein tägliches Gebet, daß Gott es ihm gelingen lassen möge. ..." Wussow schließt sein Schreiben mit dem Hinweis, dass er Hickel seit nunmehr elf Jahren als einen Menschen von innerlich so fest begründeter Wahrhaftigkeit (kenne), "so daß ich sagen kann, dass an diesen Worten kein Falsch ist. Heil Hitler gez. von Wussow".

Auch die Schwesternschaft stellt sich (fast) geschlossen hinter Hickel. In einem Schreiben vom 22.2.1934 an das Ministerium für Kultus und Bildungswesen schreiben sie:

"Wir heute hier anwesenden Schwestern des Elisabethenstifts tragen dem Minister in aller Ehrerbietung die herzliche und dringende Bitte vor, unseren Vorsteher und Pfarrer Hickel in seinem Amt zu belassen. ... Wir Schwestern ... weisen in heißer Empörung und tiefer Scham die verleumderischen Anschuldigungen zurück, die aus unseren Reihen, nämlich von Schwester Lieschen Moter (Büdingen) und Schwester Sonja von Stebut (Darmstadt) gegen unseren hochverehrten Pfarrer erhoben worden sind. ... Heil Hitler [Unterschriften]".

Die Nationalsozialisten forcieren jedoch weiterhin Hickels Ablösung, indem sie seine Kompetenzen entscheidend einschränken.

Vorstandsvorsitzender von Wussow setzt sich mit Schreiben vom 22.2.1934 an die Ministerialabteilung für Bildungswesen, Kultus, Kunst und Volkstum nochmals für Hickel ein:

"Pfarrer Hickel gehört ohne Zweifel nicht zu den alten Kämpfern oder Anhängern der NSDAP. ...Jetzt gehört er aber zu den Menschen, die aus dem Gefühl und dem Verstand heraus das Dritte Reich bejahen und ihm anhängen und damit zu den in meinen Augen sehr wertvollen Kreisen, deren Wort und Wirken auch die noch schwankenden Elemente herüberziehen wird".

Am 24.3.1934 teilt der Vorstandsvorsitzende von Wussow der Ministerialabteilung und der Landeskirchenregierung mit, dass

"das zwischen dem Elisabethenstift und Herrn Pfr. Hickel bestehende Dienstverhältnis am heutigen Tage aufgrund gegenseitiger Verständigung gekündigt worden ist".

Am 27.3.1934 schreibt Hickel an Pastor von Bodelschwingh u. a.

"Du hast vielleicht davon gehört, daß ich zu den Opfern dieser harten Zeit gehöre. Es wurde mir zunächst meine Tätigkeit in der Schwesternschaft vom Staatsministerium untersagt, weil ich ein Gegner des Nationalsozialismus sei, was ich entschieden bestreite. ..."

Hickel verliert den Kampf um seine Stellung im Elisabethenstift. Der Landesbischof versetzt Hickel mit Schreiben vom 25.5.1934 "unter Wahrung Ihrer Rechte als definitiver Pfarrer gegen Gehalt aus der Landeskirchenkasse und Genuß der freien Wohnung im Pfarrhaus zum Pfarrverwalter der obigen Pfarrstelle (zu Queck, Dekanat Lauterbach). Sie wollen diese Stelle am 1. Juli d. J. antreten".

Hickels Nachfolger am Elisabethenstift wird Pfarrer Philipp Otto Lenz, der seit 1932 Pg. (Parteigenosse) ist, aber nicht bei den Deutschen Christen. Am Reformationsfest 1934 teilte er der Schwesternschaft mit (so die Diakonisse Ria Ratz), dass er der Bekennenden Kirche beigetreten sei.

Unter dem 26. Juli 1934 schreibt Hickel an den Landesbischof u. a.

"Auch ich erkenne es als eine unschätzbare Gabe Gottes, daß er uns Adolf Hitler geschenkt hat, und danke Gott in dieser sturmbewegten Zeit, daß er ihn und uns vor den Verrätern bewahrt hat, von deren Tun unsagbares Elend auf unser ganzes Volk hätte ausgehen können. Ich weiß mich darin eins mit dem ganzen Pfr-Nb und allen seinen verantwortlichen Brüdern."

Einen Brief vom Februar 1935 an Landesbischof Dr. Dietrich schloss Hickel mit der Formel "Mit Heil Hitler bin ich Ihr sehr ergebener Hickel". Am 16. März 1935 wurde Pfarrer Hickel in Schutzhaft genommen, die erst am 20. Mai 1935 aufgehoben wurde.

Im August 1935 kam dem Landesbischof Dr. Dietrich zu Ohren, dass der Dekan a. D. Brandenburger in Dillenburg "den aus dem Kirchendienst entlassenen (? d. V.)Theodor Hickel in der Kirche von Ober-Rossbach illegalerweise in den Pfarrdienst einführen" wollte. In einem Schreiben vom 9.8.1935 schrieb Landesbischof Lic. Dr. Dietrich: "Ich mache Sie auf die Folgen dieses disziplinar- und rechtswidrigen Verhaltens aufmerksam und untersage Ihnen eine derartige illegale Handlung".

Nach Angabe des Gesetz- und Verordnungsblattes Nr. 7 vom 21.2.1939 wurde auf eigenen Antrag der Pfarrer Theodor Hickel zu Queck, Dekanat Lauterbach mit Wirkung vom 1.5.1939 in den Ruhestand versetzt.

Ab 1939 lebt Hickel in Süssen an der Fils. Offenbar ist er zu dieser Zeit als Aushilfe in der dortigen Landeskirche tätig. In einem Schreiben von Kirchenrat Dr. Eichele vom 29.9.1939 an Theodor Hickel, Pfarrer i. R., Süssen, Kuntzestraße 3 wird ihm für die Bereitschaft zur Aushilfe im württembergischen Kirchendienst gedankt.

Einem Schreiben des Landeskirchenamtes vom 10.12.1944 ist zu entnahmen, dass Hickel noch immer in Süssen an der Fils wohnte.

Die oben zitierten Aussagen und Stellungnahmen des Pfarrers Hickel zeigen ein Bild von Hickel, das widersprüchlich erscheint. Gehörte er zu den Widerständlern, oder stand er der nationalsozialistischen Ideologie durchaus nahe, wollte jedoch den Durchgriff der Nationalsozialisten in die Kirche verhindern? Oder wollte er durch sein Bekenntnis zum "Führer" seine Position im Interesse kirchlicher Einrichtungen sichern? Wir, die Autoren, wissen es nicht. Klar erscheint uns aber, dass die Evangelische Kirche in Hessen als Institution sich dem Nationalsozialismus nur allzu schnell unterwarf.

siehe auch: Kirchen im Faschismus


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