DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Atomwaffenfreie Zone Darmstadt
Die Darmstädter Bürgerschaft - wie Menschen in vielen anderen Städten
auch - hat sich schon in der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland
gegen eine atomare Aufrüstung in Deutschland gewandt. Als Mitte der
50er Jahre Pläne einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr einer breiten
Öffentlichkeit bekannt wurde, entwickelten sich bundesweit Proteste.
Erinnert sei an die "Erklärung der 18 Atomwissenschaftler" vom 12.
April 1957, in der u. a. Max Born, Otto Hahn, Werner Heisenberg und
Carl Friedrich Frhr. von Weizsäcker auf die zerstörerische Wirkung von
Atomwaffen hinwiesen und erklärten, dass keiner der Unterzeichner
bereits wäre, "sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz
von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen". Diese Erklärung ist
auch als "Göttinger Manifest" bekannt geworden.
In
der Folgezeit
bildeten sich an vielen Orten Initiativen wie z. B. "Kampf dem
Atomtod", die, unterstützt auch von Wissenschaftlern, Gewerkschaftern,
Schriftstellern und Parlamenten, zum Beispiel in Frankfurt, zum
"Widerstand gegen alle Pläne zur Stationierung oder Lagerung von
Atomwaffen", zu einer "Volksbefragung über die Atombewaffnung der
Bundesrepublik" oder zur "Entsendung einer Delegation nach Japan"
aufriefen.
Auch
in Darmstadt beschäftigte sich die
Stadtverordnetenversammlung im Jahre 1958 mehrfach mit der Thematik der
atomaren Bewaffnung der Bundesrepublik Deutschlands. So verlas der
Stadtverordnetenvorsteher in der Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung am 27. März 1958 ein Telegramm der
Stadtverordnetenversammlung der Stadt Weimar, in dem an Darmstadt
"appelliert wird, mit dafür Sorge zu tragen, dass in Europa eine
atomwaffenfreie Zone hergestellt wird".
In der
Stadtverordnetenversammlung am 24. April 1958 werden zwei
Dringlichkeitsanträge beschlossen. In den Protokollauszügen heißt es:
"Dem Dringlichkeitsantrag der
SPD-Stadtverordnetenfraktion über den
Widerstand gegen alle Pläne zur Stationierung oder Lagerung von
Atomwaffen auf dem Gebiet der Stadt Darmstadt wurde bei 10
Stimmenhaltungen zugestimmt. Die CDU-Stadtverordnetenfraktion nahm an
der Beratung und Abstimmung nicht teil".
"Dem
Dringlichkeitsantrag der SPD-Stadtverordnetenfraktion über die
Durchführung einer Volksbefragung über die Atombewaffnung in der
Bundesrepublik Deutschland … wurde gegen wenige Stimmen angenommen. Die
CDU-Stadtverordnetenfraktion nahm an der Beratung und Abstimmung nicht
teil".
Im Mai 1958 wurde ein
"Darmstädter Aufruf" veröffentlicht.
Eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni hat
diese in vielen Gemeinden beschlossene Befragungen über die Ausrüstung
der Bundeswehr mit Atomwaffen, über die Lagerung von Atomwaffen und
über die Herstellung atomarer Verteidigungsanlagen auf Antrag der
Bundesregierung untersagt. Der "Darmstädter Ausschuß gegen den Atomtod"
veranstaltete am 13. Jahrestag (am 6. August 1958) der Vernichtung
Hiroshimas durch eine Atombombe eine Protestkundgebung, bei der durch
ein gechartertes Sportflugzeug insgesamt 50.000 Flugblätter abgeworfen
wurden. Am 12. September 1958 fand eine weitere Kundgebung statt, in
der unter der Leitung von Oberbürgermeister Engel, Kirchenpräsident
Martin Niemöller und der Darmstädter Bundestagsabgeordnete Ludwig
Metzger sprachen.
Vorher schon, am 30.
Juli 1958, hatte das Bundesverfassungsgericht gemeindliche
Volksbefragungen untersagt:
"Die Gemeinde überschreitet die
ihr gesetzten rechtlichen Schranken,
wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen, vielleicht hochpolitischen
Fragen Resolutionen faßt oder für oder gegen eine Politik Stellung
nimmt, die sie nicht als einzelne Gemeinde besonders trifft, sondern
der Allgemeinheit – ihr nur so wie allen Gemeinden – eine Last
aufbürdet oder sie allgemeinen Gefahren aussetzt".
Auf Grund der
von den USA und der NATO ausgehenden und von der damaligen
Bundesregierung Schmidt/Genscher (SPD/FDP) unterstützten sogenannten
Nachrüstung Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre entstanden
in der
Bundesrepublik Deutschland viele außerparlamentarische Initiativen mit
dem Ziel, diese "Nachrüstung", sprich die Stationierung von Atomwaffen
in der Bundesrepublik, zu verhindern. Außerdem kam es zu den größten
Demonstrationen, die Deutschland je gesehen hat mit bis zu 500.000
Teilnehmern in Bonn. Der schwedische Ministerpräsident Palme hatte die
Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Europa vorgeschlagen. Dies
führte in vielen Kommunen und auch in einigen Länderparlamenten zu
Initiativen, die forderten, die jeweilige Gebietskörperschaft
(Gemeinde/Bundesland) zur "Atomwaffenfreien Zone" zu erklären. Wie in
vielen Kommunen, entstand auch in Darmstadt eine solche Initiative, die
von der Wählergemeinschaft Darmstadt (WGD) aufgegriffen und im
Darmstädter Stadtparlament eingebracht wurde. Unter Hinweis auf das
Karlsruher Urteil von 1958 wurde eine Aufnahme dieser Anträge auf die
Tagesordnung vielerorts bereits abgelehnt.
In
Darmstadt war es
die Wählergemeinschaft Darmstadt (WGD), die am 17. Juli 1982 in einem
Antrag an die Stadtverordnetenversammlung folgenden Antrag stellte:
"1.
Die Stadtverordnetenversammlung begrüßt die jüngsten Vorschläge der
unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheitsfragen
(Palme-Kommission), die für die Zukunft der Stadt Darmstadt von großer
Bedeutung sind - vor allem deshalb, weil nach diesen Vorschlägen die
Stadt innerhalb der je 150 km breiten atomwaffenfreien Gefechtszone
beiderseits der Ost-West-Grenze in Europa liegt….
2. Der Magistrat wird
beauftragt,
a)
über den Hessischen Städtetag und den Deutschen Städtetag den
Gesetzgeber (…) aufzufordern, die Vorschläge der Palme-Kommission in
die
Sicherheitspolitische Konzeption aufzunehmen, sich innerhalb des
westlichen Bündnisses dafür einzusetzen und die Sowjetunion zu drängen,
ihren Teil zur Verwirklichung der Vorschläge der Palme-Kommission
beizutragen.
b) Vor allem mit den Städten
Nürnberg, Frankfurt,
Hannover, Braunschweig, Bremen, Hamburg, Kiel und Kassel Kontakte
aufzunehmen, mit dem Ziel, gemeinsam in diesem Sinne tätig zu werden."
Stadtverordnetenvorsteher
Günther Pitthan (SPD) weigerte sich nach einer Meldung im Darmstädter
Echo (DE) vom 6.8.1982, diesen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen
und berief sich dabei auf richterliche Entscheidungen. Der
SPD-Ortsverein Bessungen, so in derselben Meldung, unterstützte den
WGD-Antrag.
Am 16. August 1982 brachte die WGD
erneut einen entsprechenden Antrag ein:
"Die
Stadtverordnetenversammlung ist entschlossen, im Rahmen des geltenden
Rechts keine Maßnahmen zu unterstützen, die der Stationierung oder der
Lagerung von Atomwaffen im Bereich der Stadt Darmstadt dienen.
Darüberhinaus wird der Magistrat
beauftragt,
a)
In Verhandlungen mit den zuständigen Gremien darauf hinzuwirken, daß
der Transport und die Lagerung atomarer und chemischer Waffen in der
Stadt Darmstadt verhindert werden;
b) Verbindung zu europäischen
Städten und Landkreisen aufzunehmen, die beschlossen haben, sich
ebenfalls so zu verhalten."
Minuten
vor Beginn der Parlamentssitzung am 26. August 1982 übergaben
Mitglieder der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte
Kriegsdienstgegner als Vertreter der Darmstädter Friedensbewegung an
Stadtverordnetenvorsteher Günther Pitthan eine Unterschriftenliste mit
rund 340 Namen, die den WGD-Antrag unterstützten (siehe Foto). Der Sprecher der
Bürgerinitiative, Volker Thielmann, erinnerte Pitthan: "Wenn Bunkerbau
und Zivilschutz Sache der Stadt sind, so muß es die Kriegsverhütung
auch sein"! Diesmal wurde der Antrag der WGD gegen Proteste der CDU
zugelassen. Als an diesem 26.8.1982 gegen 22 Uhr die Beratung dieses
Antrages begann, verlies die CDU den Sitzungssaal, was u. a. von
Oberbürgermeister Günther Metzger nach einer Meldung des DE vom
27.8.1982 als schlechter parlamentarischer Stil gerügt wurde. Dierk
Molter von der FDP bezeichnete den Antrag als eine "Zumutung". Der
Antrag wurde zwar mit 15 Ja-Stimmen gegen 2 "Nein" (von Molter) und
Weidmann (SPD) und 14 Enthaltungen (davon 14 aus der SPD-Fraktion)
angenommen. Da jedoch durch den Auszug der CDU nur 31 Stadtverordnete
an der Abstimmung teilgenommen hatten, was nicht der gesetzlich
vorgeschriebenen Mehrheit entsprach, galt er als nicht beschlossen. In
der Stadtverordnetenversammlung am 30. September 1982 wurde der Antrag
erneut zur Abstimmung aufgerufen. Laut Niederschrift beantragte die CDU
namentliche Abstimmung und erklärte gleichzeitig, dass sie bei Aufruf
dieses Antrages den Saal verlassen werde. Dem Satz 1 des Antrages wird
in namentlicher Abstimmung mit 36 Ja-Stimmen, bei 3 Enthaltungen (alle
FDP) zugestimmt. Der Abgeordnete Swyter (FDP) hatte zugestimmt. Dem
Satz 2 mit den Punkten a und b wurde in namentlicher Abstimmung mit 8
Ja-Stimmen, bei 3 Nein-Stimmen (alle FDP) und 28 Enthaltungen
zugestimmt. Somit galt der Antrag als angenommen.
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