DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Müller, Ludwig (21.9.1896 Arheilgen bei Darmstadt - 16.3.1986 Darmstadt) wuchs in Arheilgen als Sohn eines Tagelöhners als erstes von sieben Kindern auf. Der Leitspruch des Vaters hing in Perlen gestickt zu Hause an der Wand:

"Wir wollen den Frieden, Freiheit und Recht,
daß niemand sei des andern Knecht.
Daß Arbeit aller Menschen Pflicht,
und keinem es an Brot gebricht".

Nach Besuch der Arheilger Volksschule von 1902 bis 1910 trat Müller dem Arbeitersportverein "Freie Turner" bei.

Schon während seiner Lehrausbildung von 1910 bis 1913 bei Ludwig Buchhammer in Arheilgen zum Autolackierer engagierte er sich in der damaligen Arbeiterbewegung - er besuchte regelmäßig Versammlungen der Gewerkschaft und der SPD. Am Tag nach Beendigung seiner Lehre, die er mit guten Noten abschloss, am 1. April 1913 wurde er Mitglied der Gewerkschaft, dem "Verband der Maler, Lackierer, Anstreicher, Tüncher und Weißbinder Deutschlands", der Sozialistischen Arbeiterjugend und der SPD.

Nach seiner Lehre arbeitete Müller bis Mai 1914 als Autolackierer bei verschiedenen Frankfurter Firmen wie den "Frankfurter Carosserie Werken Strobel", den "Adlerwerken" und dem "Frankfurter Carosserie-Werk Kruck". Als er am 2. Mai 1914 morgens in die Werkstatt kam - er hatte mit anderen Kollegen am Vortag an der 1. Mai-Feier in Frankfurt teilgenommen - wurde ihm die fristlose Entlassung mitgeteilt. Doch die Solidarität der streikbereiten Kollegen führte zur Rücknahme seiner Kündigung und der anderen vier Kollegen.

Den Ersten Weltkrieg verschlug ihn nach Zabern (heute Saverne) in Elsass-Lothringen, später auch nach Russland, wo ihn im November 1918 die Nachricht von der Revolution in Deutschland erreichte. Nach der Entlassung aus dem Heeresdienst 1919 konnte Müller seine Arbeit in seiner alten Firma nicht wieder aufnehmen und machte sich deshalb kurzzeitig als Autolackierer selbständig .

Im Jahr 1920 fand er durch Vermittlung eines Verwandten eine Anstellung bei der Firma Merck in Darmstadt. Daher wechselte er auch von seiner Lackierer-Gewerkschaft zum "Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands".

Finanziell abgesichert konnte er am 4. April 1920 Susanne Anthes, die Tochter eines Mühlenarbeiters, heiraten.

Im Jahr 1921 wurde Müller von seinen Kollegen zum Vertrauensmann seiner Abteilung gewählt. Drei Jahre später wurde er in den Betriebsrat, der damals Arbeiterrat hieß, der Firma Merck gewählt. Im gleichen Jahr wurde ihm die ehrenamtliche Leitung der Zweigstelle des Fabrikarbeiterverbandes in Arheilgen mit damals über 400 Mitgliedern übertragen.

Ludwig Müller besuchte nach seiner Arbeitsaufnahme bei Merck Bildungskurse der Freien Gewerkschaften und war ständig bemüht, seine Kenntnisse im Bereich des Arbeitsrechts zu erweitern.
Als er 1930 für einen 10-monatigen Kurs um Beurlaubung bat, wurde ihm dieser von der Werksleitung nicht gewährt. Konsequent entschloss er sich kurzerhand, bei Merck zu kündigen, um diesen Kurs zu besuchen. Dies hatte auf seinen beruflichen Werdegang eine bedeutende Auswirkung: Er bewarb sich im Januar 1931 erfolgreich auf eine Stellenausschreibung als Agitationsleiter (siehe Bild) bei der Zahlstelle Darmstadt und trat seine neue Aufgabe am 1. August 1931 in der Bismarckstraße 19 im Gewerkschaftshaus an.
Stellenanzeige Agitationsleiter 27.12.1930
Stellenanzeige Agitationsleiter 27.12.1930 [2]

So gehörten öffentliche Auftritte, auch in der politischen Auseinandersetzung mit den Nationalsozialisten, zu seinen Aufgaben.

Die Machtübertragung an die Nazis am 30. Januar 1933 hatte für die Arbeiterbewegung erhebliche Folgen. Am 2. Mai wurde auch in Darmstadt das Gewerkschaftshaus von SA und SS besetzt. Auch der frühere Freund Müllers, Fritz Kern, gehörte dem Trupp der SA an. Fritz Kern, der als "NSDAP-Kommissar für den ADGB und Allgemeiner freier Angestellten-Bund" fungierte, stellte Müller einen Ausweis aus, mit dem er das Gewerkschaftshaus "ungehindert passieren" konnte. Die Gewerkschaftsarbeit habe vorerst unter Kontrolle der NSDAP weiter gehen können. Aber natürlich wurde das Organ des Verbandes der Fabrikarbeiter "Der Proletarier" von den Nazis am 16. Februar 1933 verboten. Am 31. Mai 1933 bekam Müller sein Entlassungsschreiben vom NSBO-Beauftragten Goebel. Vom Deutschen Fabrikarbeiter-Verband wurde er mit Schreiben vom 17. Juli 1933 "wegen staatsfeindlicher Betätigung" ausgeschlossen.
Auch die Wohnung der Familie Müller wurde 1933 mehrfach von SA und Polizei durchsucht.

Arbeitslos geworden und ohne Arbeitslosenunterstützung war er auf die Hilfe seiner Verwandtschaft angewiesen.
Als eine Brauerei für ihre Gaststätte einen neuen Pächter suchte, bewarb sich Müller erfolgreich und war nun Wirt der Gaststätte "Zur deutschen Flotte" in der Kiesstraße 27. Es war unter seinem Vorgänger zum Clublokal des Darmstädter Marine-Vereins geworden. Doch schon im September 1936 wurde ihm vom Standortältesten mitgeteilt, dass sämtlichen Wehrmachtsangehörigen des Standorts Darmstadt das Betreten seines Lokals verboten sei. Als Müller 1937 zu einer vierwöchigen Militärreserveübung nach Hammelburg einberufen wurde, durfte auch er für die Dauer der Wehrübung sein eigenes Lokal nicht betreten.

Auch der Zweite Weltkrieg ging an ihm nicht vorbei. Er wurde dem Verpflegungstrupp des Infanterie-Regiments 352 als Koch mit dem Dienstgrad eines Unteroffiziers zugeteilt. Später  wurde er zum "Kraftfahrtpark Darmstadt" versetzt. Das Ende des Krieges führte ihn am 17. April 1945 in das amerikanische Kriegsgefangenenlager in Heilbronn.

Nach seiner Entlassung engagierte er sich beim Wiederaufbau der Darmstädter Gewerkschaft. Am 31. Januar 1946 wurden für Darmstadt Fachgewerkschaften lizensiert. Zur provisorischen Leitung der Gewerkschaft Chemie, Papier, Keramik gehörte auch Ludwig Müller und am 1. November 1946 trat er das Amt des Geschäftsführers des Bezirks Darmstadt der Chemie-Gewerkschaft an. Es folgten Leitungsfunktionen auf Landesebene bis er schließlich am 2. Mai 1949 das Amt eines stellvertretenden Bundesvorsitzenden der IG Chemie-Papier-Keramik in der Hauptverwaltung in Hannover antrat. Mit 64 Jahren kandidierte er auf dem ordentlichen Gewerkschaftstag 1960 in Dortmund nicht mehr und wurde mit allen Ehren verabschiedet.

Er starb 1986. Die Urnenbeisetzung fand am 4. April auf dem Friedhof in Darmstadt-Arheilgen statt.

Im Jahr 2003 wurde der Sitzungssaal des Betriebsrates der Firma Merck nach Ludwig Müller benannt. Seine Tochter Christine Hella Wenzel erfuhr zufällig über die örtliche Presse von einer dort geplanten Ausstellung und der Anbringung einer Gedenktafel. Eine persönliche Einladung hatte Sie zur offiziellen Ehrung nicht erhalten und lud sich deshalb selber ein - sie meldete sich, weil sie dort auch sprechen wollte. Aus Rührung über die Ehrung ihres Vaters fand sie keine Worte, ihre Empfindung auszudrücken.

Q: [1] [2], Faksimile: [2]

 

zurück zur Übersicht