DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Richtzenhain, Walther
Walther Richtzenhain (15.1.1891 Weimar - 23.1.1950)
Walther Richtzenhain (1891-1950)
(15.1.1891 Weimar - 23.1.1950 Darmstadt) war Theologe, Arzt und aktives Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft in Darmstadt und zeitweise der Vorsitzende. Verheiratet war er seit dem 8.3.1924 mit der in Darmstadt am 15.1.1898 geborenen Wilhelmina Christine Schneider (gestorben 26.03.1975 Darmstadt), deren Beruf in den Dokumenten sowohl als Lehrerin, Heilpädagogin, Psychologin und zuletzt als Ärztin angegeben wird.

Richtzenhain studierte Theologie, begann sein Vikariat 1913 in der Königin-Luise-Gedächtnis-Kirchengemeinde in Berlin-Schöneberg und wurde 1915 in Weimar ordiniert. Bereits in dieser Zeit engagierte er sich für die Friedensbewegung und in der Sozialdemokratie. Nach einem Konflikt mit der Amtskirche wurde er 1919 im hessischen Braunfels seines Amtes enthoben und schied aus dem Pfarrdienst aus. 1921 begann er in Frankfurt/Main Medizin zu studieren und schloss 1932 in Münster mit der Dissertation "Gemeingefährlichkeit von Wahnkranken und Entmündigung" ab.

Als Arzt war ist er in Darmstadt in den Adressbüchern 1924 und 1927 verzeichnet. Die Adresse lautete Friedrichstraße 15.

1934 erwarb Richtzenhain, der bereits in Bad Salzuflen als "Facharzt für Nerven- und Seelenleiden" tätig war, in der Parkstraße 3 die "Villa Burmeier" und verlegte dorthin seine Wohnung und Praxis. Er benannte die Villa nach dem Geburtsort seiner Frau in "Haus Darmstadt" um. Im Jahr 1938 verließ er Bad Salzuflen wieder. Der Grund lag wohl darin, dass ihm wegen seiner "politischen Unzuverlässigkeit" Schwierigkeiten gemacht wurden.

Nach seinem Wegzug praktizierte er in Frankfurt am Main und schließlich in Darmstadt. Nach einer 1941 erstellten Ärzteliste betrieb er seine Praxis in der Kasinostraße 2 und wohnte im Alexandraweg 28 ("Haus Olbrich" auf der Mathildenhöhe). Das Adressbuch von 1941 enthält den Eintrag: Richtzenhain, Walther Dr. med., Facharzt für Nerven und Seelenleiden, Alexandraweg 28.

Nach einem 1948 vorgelegten Dokument [16] hat Dr. Richtzenhain während der NS-Zeit auch Juden behandelt. Da dies verboten war, fand die Behandlung außerhalb der Sprechstunden statt, und es wurde auch in der Regel keine Karteikarte angelegt.

Nach dem Bombenangriff der Royal-Air-Force in der Nacht vom 11./12.9.1944 fiel das Wohnhaus in Schutt und Asche.
Wegen der beschränkten Möglichkeiten konnte nach dem Krieg nur das Erdgeschoss mit Keller notdürftig hergerichtet werden. Der Wiederaufbau erfolgte abschließend, jedoch in völlig veränderter Form.

Auch nach dem Krieg ist Richtzenhain weiter in Darmstadt als Arzt und in der Friedensbewegung tätig. Richtzenhain wurde, nachdem er seine ärztliche Praxis nach dem Krieg wieder eröffnet hatte, von der Darmstädter Ärztekammer trotz wiederholter Anträge die Zulassung als praktischer Arzt versagt. Erst auf Grund einer Anfrage der KPD-Fraktion im Hessischen Landtag wurde dies öffentlich. Die Lizenz wurde ihm am 12. Mai 1947 erteilt. "Die eingetretene Verzögerung des Entscheides ist auf Anschuldigungen zurückzuführen, die umfangreiche Erhebungen erforderlich machten" antwortete der damalige Innenminister Zinnkann. Die Ärztekammer stand zum damaligen Zeitpunkt unter der Leitung des Dr. med. Richard Hammer, der von 1939 bis 1945 Kriegsteilnehmer war, zuletzt als Oberarzt. Nach 1945 wurde Hammer Mitglied der FDP und von 1946 bis 1949 Mitglied des Hessischen Landtages. Von seiner Mitgliedschaft in der SA erfuhr die Öffentlichkeit erst durch eine Untersuchung im Jahr 2014.

Politisch verstand sich Richtzenhain wohl weiter als Sozialdemokrat und war Mitglied der Deutschen Friedensgesellschaft, Vorsitzender der Ortsgruppe Darmstadt, Schriftführer im Landesvorstand Hessen 1948-1949 und Beisitzer im Bundesvorstand 1948 bis zu seinem Tod 1950.

Aus Anlass seines Todes erschienen im Darmstädter Echo vom 30.1.1950 und im Darmstädter Wochenblatt am 1.2.1950 Nachrufe, in denen seine Arbeit als Arzt und Friedensarbeiter gewürdigt wurde. (siehe folgende Abbildung)
Nachrufe zum Tode Richtzenhains 1950
Nachrufe zum Tode Richtzenhains 1950


Seine Frau ist weiterhin in der Friedensbewegung aktiv. Detailliert ist dies im Beitrag "Deutsche Friedensgesellschaft" dargestellt.

Von 1954/55 bis 1983/84 wird im Adressbuch, Abschnitt "Vereine", als Adresse für die Deutsche Friedensgesellschaft der Alexandraweg 28 angegeben, also die Wohnung der Familie Richtzenhain.

Frau Richtzenhain starb am 26.3.1975. Da das Ehepaar keine Kinder hinterließ, schenkte Frau Richtzenhain das Haus Alexandraweg 28 der Stadt Darmstadt mit Auflagen. Im Testament heißt es:

"Das Haus Darmstadt, Alexandraweg 28, sogenanntes Olbrichhaus, stifte ich einschließlich des Brunnens der Stadt Darmstadt für einen wissenschaftlichen, kulturellen, der Friedensarbeit gewidmeten Zweck gemeinnütziger Art".

Ein der Familie gehörendes Haus in der Viktoriastraße wurde dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg übergeben, ein weiteres Haus in der Gutenbergstraße dem Diakonischen Werk.

Ab 1980 konnte das neu gegründete "Deutsche Poleninstitut" seine Tätigkeit im Haus Alexandraweg 28 aufnehmen. Nach einer aufwändigen Sanierung ist seit 2021 die "Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung" neue Nutzerin des Hauses.

Zu dem Haus Viktoriastraße heißt es im Testament von Frau Richtzenhain:

"Da laufend eine Kapitalminderung eintritt, darf das Haus nicht verkauft werden, sondern soll als Dauerkapital für viele Jahre der Forschung dienen. Der Ertrag dieses Hauses soll als Walther-und-Christine-Richtzenhain-Stiftung abwechselnd 1 Jahr für eine wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Krebsforschung im Deutschen Ärzteblatt ausgeschrieben werden und im darauffolgenden Jahr für Dissertationsarbeiten auf demselben Gebiet verteilt werden".

Auf Grund der Schenkung hat das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg einen Walther-und-Christine-Richtzenhain-Preis geschaffen. In der der Zeitschrift "Chemie in unserer Zeit", 27. Jahrg. 1993/Nr. 3 auf S. 109 heißt es:

"Walther-und-Christine-Richtzenhain-Preis 1993
Der Walther-und-Christine-Richtzenhain-Preis geht auf das Vermächtnis des Nervenarztes Walther Richtzenhain und seiner Frau zurück. Der Preis wird vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) für eine herausragende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der Krebsforschung vergeben. Die Auszeichnung ist mit 15.000 DM dotiert."

Im Jahr 2010 war der Preis mit 10.000 Euro dotiert.
Familiengrab der Familie Richtzenhain auf dem Waldfriedhof
Familiengrab der Familie Richtzenhain auf dem Waldfriedhof (2014)

Das Familiengrab der Familie Richtzenhain befindet sich auf dem Waldfriedhof L 3 c 2. Im Testament heißt es zur Pflege des Grabes:

"Außerdem soll die Stadt Darmstadt 10.000,-- DM bekommen und dafür unser Grab auf dem Waldfriedhof einer einfachen Pflege unterziehen. Auch bitte ich die Stadt Darmstadt, dieses Grab auf meine Kosten um einige Jahrzehnte zu verlängern".

Im Magistratsbeschluss von 1975 [3] heißt es dann: "Die Stadt Darmstadt übernimmt für 25 Jahre die Pflege der Grabstätte Dr. Richtzenhain".

Im Jahr 2021 hat die Stadt Darmstadt auf Anregung der DFG-VK Darmstadt das Richtzenhain-Grab zu einem Ehrengrab erklärt [17].

Der Text aus der Magistratsvorlage lautet:

"Walther und Wilhelmine Christine Richtzenhain waren seit den 1920er Jahren in Darmstadt und anderen Orten als Ärzte tätig. Die Eheleute lebten zuletzt im von ihnen erworbenen Haus Olbrich (Alexandraweg 28) auf der Mathildenhöhe.

Das Ehepaar Richtzenhain war schon vor 1933 in der Friedensbewegung aktiv und hat diese Tätigkeit nach 1945 in der Deutschen Friedensgesellschaft fortgesetzt. Aus Anlass seines Todes erschienen im Darmstädter Echo vom 30.01.1950 und im Darmstädter Wochenblatt am 01.02.1950 Nachrufe, in denen Walter Richtzenhains Arbeit als Arzt und Friedensarbeiter gewürdigt wurde. Nach der übereinstimmenden Mitteilung der Nachrufe hat sich Richtzenhain mit den Nationalsozialisten angelegt und aus humanitären Gründen auch Juden und Zwangsarbeiter behandelt, die sonst keine Möglichkeiten der ärztlichen Behandlung fanden. Hierfür gibt es zwar keine anderen Quellen als die Nachrufe, diese stimmen aber hierin überein. Zudem lag die NS-Zeit, als die Nachrufe verfasst wurden, erst kurze Zeit zurück.

Frau Richtzenhain stiftete einige Jahre vor ihrem Tod den „Walther-und-Christine-Richtzenhain- Preis“, der im Wechsel für wissenschaftliche Arbeiten im Schwerpunkt Transfer von Forschungsergebnissen in klinische Anwendungen und herausragende Dissertationen auf dem Gebiet der Krebsforschung zunächst von der Uni Heidelberg und seit 1975 vom DKFZ verliehen wird. Das Wohnhaus im Alexandraweg 28 vermachte sie der Stadt für einen wissenschaftlichen, kulturellen, der Friedensarbeit gewidmeten Zweck gemeinnütziger Art.

Aufgrund seiner Tätigkeit in der Friedensbewegung und seines humanitären Engagements wird die Aufnahme der Grabstätte des Ehepaares Richtzenhain in die Liste der Ehrengräber befürwortet." [17]


Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] , Foto: Autoren

 

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