DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Akademie für Tonkunst Die Akademie für Tonkunst, die sich heute in der Ludwigshöhstraße 120
befindet, ist eine der ältesten Musikschulen in Deutschland. Sie wurde
im September 1851 von Karl Philipp Schmitt gegründet. In den zwanziger
Jahren, so heißt es in der Festschrift von 1987, "blühte die Schule
auf, begünstigt vor allem auch durch das Heranziehen namhafter Künstler
als Lehrkräfte. Unter ihnen befinden sich immerhin zwei
Georg-Büchner-Preisträger: Prof. Dr. Arnold Mendelssohn (1923) und
später Hans Simon (1933)." Nach einer Auflistung der Deutschen Akademie
für Sprache und Dichtung erhielt Simon den Büchner-Preis jedoch schon 1931.
Die Machtergreifung und Gleichschaltung aller Lebensbereiche durch die
NSDAP wird in der Festschrift der Akademie für Tonkunst von 1987 im
wesentlichen mit folgenden, eher bagatellisierenden Sätzen beschrieben:
"Es kam das Jahr 1933 und mit ihm die `Gleichschaltung´ ... Wilhelm
Schmitt und Willy Hutter, die mit der Schule ja in einer ganz
persönlichen Bindung durch den Gründer, Vater und Schwiegervater
Philipp Schmitt standen, gaben nach 24 Jahren, in denen sie die Schule
zu einem nie für möglich gehaltenen Aufschwung führten, die Leitung ab.
Die Gründe dafür sind sicher auch in der veränderten politischen
Situation zu sehen. Nachfolger wurde der Komponist und Dirigent Hans
Simon, der aber nach einem halben Jahr schon ein Engagement am
Landestheater Braunschweig annahm."
In der Festschrift "150 Jahre Akademie für Tonkunst Darmstadt" aus dem
Jahr 2001 wird diese Zeit auch eher nur gestreift. Es heißt dort:
"Einschneidende Veränderungen brachte auch die nationalsozialistische
Machtergreifung. Die Direktoren Schmitt und Hutter wurden aus
fadenscheinigen Gründen entlassen. Man warf ihnen vor, in den Jahren
1928/29 angeblich Bestechungsgelder vom Darmstädter Musikhaus Arnold
entgegengenommen zu haben. ... Dass der längst erledigte Vorgang nach
Jahren wieder ausgegraben und von "Parteigenosse Stadtrat und
Motorstaffelführer Schneider" zur Anzeige gebracht wurde, zeigt, dass
man nur einen Vorwand suchte, um die beiden Direktoren entlassen zu
können. ... Zunächst wurde der Komponist Hans Simon zum kommissarischen
Akademieleiter ernannt."
Leider wird in beiden Festschriften auch nicht der aus "rassischen"
Gründen entlassenen Mitarbeiter gedacht.
Wer war aber Hans Simon? Dieser am 18. Dezember 1897 in Darmstadt
geborene Hans Simon ist es, den die Stadt als so würdig betrachtet,
dass sie ihm ein Ehrengrab widmete.
Simon lebte bis 1933 in Darmstadt, begann seine Laufbahn am Hessischen
Landestheater, wo er aber nur bis 1922 blieb. Nach Engagements in
anderen Städten kehrte er 1928 nach Darmstadt zurück, widmete sich der
Komposition und wurde nach der nationalsozialistischen Machtergreifung
1933 kommissarischer Leiter der städtischen Akademie für Tonkunst.
Simon trat am 1. Mai 1933 der NSDAP bei und hatte die Mitglieds Nr.
2291107, nach dem er bereits zuvor die Position des Dirigenten des
Kammerorchesters des "Kampfbundes für deutsche Kultur" innehatte. Nach
seinem Weggang noch im Jahr 1933 nach Braunschweig nahm er nie wieder
seinen Wohnsitz in Darmstadt. Simon starb am 14. Dezember 1982 in saarländischen St. Ingbert.
Friedrich Noack, der die Monate unter Simons Leitung in der Akademie
miterlebt hat und 1946 vom damaligen Oberbürgermeister Ludwig Metzger
mit dem Wiederaufbau der Akademie betraut wurde, beschrieb 1951 im
Programmheft zur 100-Jahr-Feier der Akademie die Vorgänge im Jahr 1933
und die Funktion Simons deutlicher:
"Wesentliche Veränderungen brachte
das Jahr 1933 mit dem Systemwechsel. Viele Lehrkräfte, darunter auch
Wilhelm Schmitt mussten ausscheiden. Zunächst übernahm Hans Simon die
Leitung, dem vor allem die Aufgabe der Gleichschaltung zufiel...".
Nachdem dies erledigt war, berichtete am 15. Oktober 1933 das
Darmstädter Tagblatt:
"Die gesamte Arbeit der Städt. Akademie für
Tonkunst steht unter dem alles durchdringenden Geist des neuen
Deutschland".
Zugleich wurden mit dem Einzug des neuen Geistes einige
Lehrkräfte entlassen. Am 12. Oktober 1933 hieß es in der Darmstädter
Zeitung anlässlich des Weggangs von Simon:
"Wie viele deutsche Männer ... lebte er unter Opfer außen und innen sein Künstler- und
Schöpferdasein für sich; bis er den Kreis junger deutscher Männer fand,
dem er Führer sein konnte: Das Kammerorchester des Kampfbundes für
deutsche Kultur gab ihm eine Wirkungssphäre...".
Wenige Zeilen weiter heißt es:
"...als kommissarischer Leiter der Städtischen Akademie für
Tonkunst hat er aus dem Durcheinander eines liberalistisch gelockerten
Instituts ein straff geformtes Ganzes gemacht, das vom Geist des neuen
Deutschland durchflutet ist und diesem Geiste dient."
Bei diesen offensichtlichen "Verdiensten" Simons für die neuen
Machthaber ist die Frage nach der Mitgliedschaft Simons in der NSDAP
fast nachrangig. Für den Magistrat der Stadt Darmstadt ist Simon
ehrengrabwürdig bis zum heutigen Tag. Wie lange aber lässt sich das
eine aufgeklärte Zivilgesellschaft noch gefallen?
Insoweit ist es nur konsequent, wenn auf der Homepage der Akademie für
Tonkunst (Stand 16.02.2010) die historische Aufarbeitung 1922 endet.
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