DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Grein, Karl
(21.11.1881 - 27.7.1957) wurde 1881 als Sohn des Hofpredigers Ernst Grein und seiner
Frau Antonie geb. Leydhecker in Darmstadt geboren. Nach dem Abitur, das
er 1899 auf dem Ludwig-Georgs-Gymnasium ablegte, studierte er Theologie
in Halle und Gießen und absolvierte ein einjähriges Praktikum in den
Bodelschwinghschen Anstalten in Bethel. 1907 erhielt er die Ordination
und trat seine ersten Pfarramtsstellen als Pfarrassistent und Vikar
unter anderem in Mainz und Darmstadt an. 1912 erhielt er seine erste
Pfarrstelle in Kaichen bei Friedberg.
-
- Pfarrer Karl Grein aus Darmstadt-Arheilgen [5]
Im Ersten Weltkrieg diente
er als Feldgeistlicher in Frankreich und Belgien. Zu Beginn des
Krieges, wie die meisten Menschen seinerzeit noch kriegsbegeistert,
kamen ihm im Verlauf des Krieges immer mehr Zweifel an der
Sinnhaftigkeit. Nach dem Krieg schloss er sich der Demokratischen
Partei Deutschlands an, die von dem sozial engagierten Pfarrer
Friedrich Naumann gegründet worden war.
Im Jahr 1919 wurde er
Pfarrer in Arheilgen, das zu dieser Zeit noch größtenteils unter
französischer Besatzung stand. Durch sein großes soziales Engagement
verschaffte er in dem überwiegend aus Arbeitern bewohnten Ort der
Evangelischen Kirche in Arheilgen einen großen Rückhalt.
Mit
Beginn des aufkommenden Nationalsozialismus Anfang der dreißiger Jahre
änderte sich die Situation in Arheilgen sehr schnell. Schon bald nach
der Machtübernahme durch die Nazis wurden alle Jugendgruppen aufgelöst
bzw. zwangsweise in die Hitlerjugend eingegliedert. Grein wandte sich
daraufhin am 21. November 1933 in einem Brief an den Landesbischof
Müller mit den Worten:
Die evangelische Jugend wird "… mit
allen Mitteln bekämpft, in unerhörter Weise deklassiert, auf kaltem Weg
vernichtet…. Es ist uns unverständlich, wie ein junger Mann, Baldur von
Schirach, die gesamte Kirche so brüskieren kann, ein Mann, der für die
künftige geistliche (geistige !) Haltung der Jugend u. E. eine
ungeheure Gefahr bedeutet." Fast alle Jugendlichen über
achtzehn seien
in der SA und die Eltern stünden in einem großen Konflikt, ob sie ihre
Kinder an der Gemeindearbeit teilnehmen lassen könnten.
Pfarrer
Grein bat deshalb beim Landesbischof um eine "Beendigung des grausamen
Spiels". Er sollte ein erlösendes Wort sprechen und ein "klärendes Wort
des Führers" herbeiführen, das die Freiheit zur
Selbstauflösung der
Evangelischen Jugend bewirken sollte.
Dieser Wunsch wurde ihm nicht
gewährt, zumal die kirchlichen Strukturen nicht abgeschafft, sondern
die Kirchenmitglieder, die diese mit Leben erfüllten, in die neuen
faschistischen Strukturen assimiliert werden sollten.
Dem versuchte
Grein sich allerdings zu widersetzen. Nach einer kritischen Predigt
Greins im November 1934 wurde vom Landesbischof eine "einstweilige
Beurlaubung vom Dienst" angeordnet. Doch die Gemeinde
wehrte sich gegen
diese Amtsenthebung. Über 600 Arheilger unterschrieben ihren Beitritt
zur Bekennenden Kirche. Die Beurlaubung wurde im März 1935
wieder
aufgehoben, allerdings unter der Bedingung, dass "..., er (der
Landesbischof) das Vertrauen haben möchte, dass er (Grein) den Weg zur
recht- und gesetzmäßigen kirchlichen Obrigkeit zurückfindet. ...
Vorsorglich muß ich mir leider wegen ihres bisherigen Verhaltens in
Sachen der Zugehörigkeit zur sogenannten Bekenntnisgemeinschaft usw.
alle Schritte gegen Sie vorbehalten".
Diese Schritte sollten bald
folgen. Bereits am 5. August des gleichen Jahres wurde ein offizielles
Dienststrafverfahren gegen Grein eingeleitet, das eine sofortige
Enthebung aus dem Amt beinhaltete. Grein wehrte sich gegen diese
Enthebung und setzte seine seelsorgerische Tätigkeit gegen den Willen
der Landeskirche weiter fort. Auch eine Schließung der Kirche und des
Gemeindehauses konnten ihn und seine Gemeinde nicht aufhalten. Zum
Erntedankfest öffneten sie sich zunächst gewaltsam das Gemeindehaus, am
17. November dann auch ihre Kirche. Damit war der Kampf entschieden.
Die
Kirchenleitung verzichtete fortan auf eine offene Auseinandersetzung
mit Pfarrer Grein, entzog ihm allerdings auch jegliche personelle
Unterstützung.
In der so genannten "Reichskristallnacht" vom 9.
auf den 10. November 1938 war Pfarrer Grein der einzige in Arheilgen,
der es wagte, sich den braunen Horden in den Weg zu stellen. Er
"lieferte am Tag der von
den Nazis höhnisch als "Reichskristallnacht"
bezeichneten Pogromnacht einen besonderen Beweis seiner Zivilcourage,
indem er als einziger einem Opfer der durch SA-Leute am 10. November
inszenierten Verfolgung der Arheilger Juden zu Hilfe kam und für dessen
Transport in ein Krankenhaus sorgte.… Die durch die rücksichtslose
Gewaltanwendung verängstigte und völlig verstörte Hanna Reinhardt
sprang in ihrer Todesangst aus dem Fenster und erlitt dabei
lebensgefährliche Verletzungen. Die gesamte Nachbarschaft hatte sich in
ihren Häusern bedeckt gehalten. Karl Grein verständigte einen Arzt und
ließ einen Krankenwagen holen, mit dem die Überführung der tödlich
Verletzten in ein Krankenhaus bewerkstelligt wurde. Hanna Reinhardt
starb nach wenigen Tagen, ihr Vater erhängte sich im Krankenzimmer
seiner Tochter." Hanna Reinhardts Vater ist Aron
Reinhardt, nach dem eine Straße in Arheilgen benannt ist
(Aron-Reinhardt-Straße). Für beide ist in Arheilgen
ein Stolperstein verlegt.
Als Reaktion der Nazibande auf diese mutige Tat
wurde das Pfarrhaus und die angrenzende Mauer zur Kirche in einer
Nacht- und Nebelaktion mit der Parole: "Schwarzer Karl, Judenhirte,
Volksverräter, Sabotage gegen Volksgemeinschaft"
beschmiert.
Im März
1945 verhinderte er mit einer Schar mutiger Frauen, die sich einfach
vor die Geschütze stellten, dass die letzten zum Widerstand
entschlossenen deutschen Soldaten gegen die anrückenden US-Streitkräfte
ein sinnloses Blutvergießen anrichten konnten.
Nach dem Krieg
war Grein maßgeblich am Aufbau der Evangelischen Kirche von Hessen und
Nassau beteiligt. 1950 wird er auf der Mainzer Synode zum
hauptamtlichen Oberkirchenrat gewählt. 1952 geht er in den Ruhestand.
Als Anerkennung seiner unermüdlichen sozialen und karitativen Arbeit
wird ihm im gleichen Jahr das Bundesverdienstkreuz verliehen. Am
27. Juli 1957 stirbt Karl Grein nach längerer Krankheit im
Elisabethenstift und wird am 30. Juli auf dem Alten
Friedhof in
Darmstadt beigesetzt. In Erinnerung an ihn wurde in Arheilgen eine
Straße benannt (Greinstraße).
siehe auch: Kirchen im Faschismus
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