DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"

Liberale Synagoge Darmstadt
Liberale Synagoge in der Friedrichstraße, ca. 1900 [10]

Übereste
Übereste der Liberalen Synagoge im Jahr 2003 [8]

Liberale Synagoge und Krankenhauserweiterung Als erste Synagoge der Juden in Darmstadt gilt das 1735 gekaufte Haus in der Kleinen Ochsengasse 12 (heute etwa Landgraf-Georg-Straße 14), das 1737 als Gebetshaus geweiht wurde. Das Haus wurde bis 1875/76 als Synagoge genutzt und dann von der neu gebauten Synagoge in der Friedrichstraße abgelöst.

In Darmstadt gab es in den ehemals selbständigen Gemeinden Eberstadt und Arheilgen jeweils eine Synagoge und in der Kernstadt Darmstadt die Synagogen in der Bleichstraße 4 (Orthodoxe Synagoge) und in der Friedrichstraße 2 (Liberale Synagoge).

1875/76 wurde die Synagoge der liberalen "Israelitischen Religionsgemeine" in der Friedrichstraße 2 erbaut und am 23. Februar 1876 eingeweiht. Es wurde ein großer prachtvoller Bau.

Die beiden Synagogen in der Kernstadt wurden in der Reichspogromnacht am 9./10. November 1938 zerstört. Auch die Synagoge in Eberstadt fiel dem Terror der Nazis im November 1938 zum Opfer. Die Synagoge in Arheilgen brannte am 8. September 1944 durch ein Feuer nieder.

In Erinnerung an die Liberale Synagoge wurde 1967 in der Gartenanlage der Städtischen Kliniken eine von Helmut Lortz und Fritz Hausmann gestaltete Menora aufgestellt.

Anfang der 2000er Jahre sollte das Städtische Klinikum durch einen Neubau erweitert werden. Als man bei Bauarbeiten im Oktober 2003 Reste der 1938 von den Nazis zerstörten Synagoge fand, war die Aufregung groß. Der Erweiterungsbau war geplant und nun dieser Fund!

Am 2. Oktober 2003 besuchte ein Mitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine im Städtischen Klinikum liegende Freundin, schaute zufällig aus dem Fenster des Krankenzimmers und sah auf die Baustelle für die Erweiterung des Klinikum und dort, wie gerade bei Baggerarbeiten Trümmerstücke der ehemaligen Synagoge "freigelegt" wurden.[2]

Erregte Diskussionen und Gespräche, auch erste Sicherungen der Funde durch engagierte Menschen folgten. Am 8. Oktober ordnete Oberbürgermeister Peter Benz einen einwöchigen Baustopp an. Benz entschied, "die gefundenen Mauerreste der Liberalen Synagoge zu erhalten und sie zu einer öffentlichen Erinnerungsstätte gestalten zu lassen". Es gab einen Runden Tisch und Diskussionen, wie mit diesem Fund umzugehen sei. Benz entschied, den Fund komplett freizulegen. Es fehlte nicht an Stimmen von Bürgern, die die hiermit verbundene Verzögerung des Bauvorhabens mit deutlich antisemitischen Tönen kritisierten.

Es erfolgten Umplanungen, und nach zweieinhalbjähriger Unterbrechung wurden die Arbeiten am Neubau unter Berücksichtigung einer städtischen Gedenkstätte wieder aufgenommen. Durch Baustopp und Neuplanung sei das Bauvorhaben um 8,2 Millionen Euro teurer geworden.

In der Krankenhauskommission warf ein Mitglied der CDU-Fraktion die Frage auf, wie viel die Jüdische Gemeinde zu den Mehrkosten beisteuere. Diese Frage zeugte nicht nur von einem mangelnden und fragwürdigen Geschichtsverständnis, sondern erinnert darüber hinaus auch noch an die Praxis der Nazis, die für die Fahrten in die Vernichtungslager den Opfern auch die Fahrtkosten auferlegten.

Am 9. November 2009, 71 Jahre nach der Zerstörung durch die Nationalsozialisten, konnte schließlich der "Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt" würdevoll eröffnet werden.

Trotz alledem stellt sich Frage, wieso bei der Planung der Klinikerweiterung nicht von Anbeginn an die Tatsache von Resten der zerstörten Synagoge eingeplant war und daraus folgernd Planungen für eine ehrenvolle Berücksichtigung der Funde stattgefunden haben. Dass es dort eine große Synagoge gegeben hatte, war bekannt, zumindest dem Städtischen Denkmalamt, aber auch der Leitung des Klinikums. Schließlich erinnerte seit 1967 die dort errichtete Menora daran. Man mag es kaum aussprechen, aber hoffte man, 60 Jahre nach der Zerstörung nichts mehr vorzufinden und hierüber den "Mantel der Geschichte" ausbreiten zu können? Auch zehn Jahre nach der Eröffnung der "Erinnerungsort Liberale Synagoge Darmstadt" ist diese Frage nicht beantwortet.


Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10], Abbildungen: [4] [10]

 

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