DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Standortpfarrer Militärseelsorge hat ihre Rechtsgrundlage im Grundgesetz und dem Soldatengesetz. So bestimmt Artikel 141 (Weimarer Verfassung):

"Soweit das Bedürfnis nach Gottesdienst und Seelsorge im Heer, in Krankenhäusern, Strafanstalten oder sonstigen öffentlichen Anstalten besteht, sind die Religionsgesellschaften zur Vornahme religiöser Handlungen zuzulassen, wobei jeder Zwang fernzuhalten ist."

Gemäß Artikel 140 Grundgesetz ist diese Bestimmung der Weimarer Verfassung Bestandteil dieses Grundgesetzes.

Das Soldatengesetz vom 19. März 1956 bestimmt im §36:
"Der Soldat hat einen Anspruch auf Seelsorge und ungestörte Religionsausübung. Die Teilnahme am Gottesdienst ist freiwillig."

Auf dieser rechtlichen Grundlage sind Militärseelsorgeverträge zwischen den Kirchen und dem Bundesverteidigungsministerium geschlossen.

Konkrete Auswirkung ist, dass die beiden christlichen Kirchen auf unterer Ebene sogenannte Standortpfarrer einsetzen.

Die enge Verbindung zwischen Militär und Kirche ist historisch, und wir erinnern an die Segnungen der Soldaten und ihrer Kämpfe durch die Kirchen und ihre Pfarrer. Sie hießen auch mal Feldgeistliche.

Der bekannte evangelische Theologe Heinrich Rendtorff (1888-1960), er wurde nach 1945 wieder Theologie-Professor in Kiel, verfasste 1937 ein kleines Buch mit dem Titel "Soldatentum und Gottesglaube". In ihm hat er "Worte der Heiligen Schrift für den Soldaten" zusammengetragen:

"Worte der Heiligen Schrift für den Soldaten" (Heinrich Rendtorff 1937)
"Worte der Heiligen Schrift für den Soldaten" (Heinrich Rendtorff 1937)
Sarkastisch formuliert: Wie sonst sind Soldaten von Seelenqualen zu befreien, die sie erleiden, wenn sie im "Ernstfall" ständig gegen das fünfte Gebot verstoßen müssen? Hier sind die Theologen gefordert. Schwerpunkte der Tätigkeit der Standortpfarrer ist die seelsorgerische Beratung und Betreuung von Angehörigen der Bundeswehr und der "Lebenskundliche Unterricht" bei den Einheiten der Bundeswehr im In- und Ausland. Die Standortpfarrer Darmstadts veranstalteten außerdem mehrtägige Seminare in kirchlichen Bildungshäusern, Rüstzeiten, Familienwochenenden und Exerzitien für Soldatenfamilien. Monatlich fanden ökumenische Standortgottesdienste statt, abwechselnd in der evangelischen Paul-Gerhardt-Kirche in der Waldkolonie und in der katholischen St. Georg-Kirche in Eberstadt.

Als die Bundeswehr in Darmstadt noch ein relevanter Standort (Fachschule des Heeres für Erziehung und Wirtschaft, das Systeminstandsetzungszentrum 850, das Verteidigungsbezirkskommando 43, mehrere Gerätedepots, Gerätehauptdepot, das Amt für Flugsicherung Frankfurt am Main und das Luftwaffenbataillon in Schöneck) war, befanden sich die Diensträume in der Starkenburg-Kaserne.

Es existieren Aufzeichnungen über die Besetzung des Amtes eines evangelischen Standortpfarrers bis 1920 und dann wieder ab 1939. Im Zuge der Wiederbewaffnung wurde 1956 sofort auch wieder die Betreuung der Soldaten durch evangelische Seelsorger wahrgenommen:

Infolge des Anschlusses der sogenannten Beitrittsländer der ehemaligen DDR entstand vor allem in den östlichen Landeskirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) eine Diskussion über die nach Ansicht der Kritiker der Militärseelsorge zu enge Anlehnung der Seelsorge an das Militär, die jedoch zu keiner grundsätzlichen distanzierenden Haltung der EKD führte.

2012 wandte sich erneut eine "Ökumenische Initiative zur Abschaffung der Militärseelsorge" an die Öffentlichkeit. Darin heißt es u. a.:

"Es gibt in Deutschland circa 100 evangelische und 100 katholische Militärpfarrämter, dazu 5 evangelische und 4 katholische Militärdekanate und je einen Militärbischof.

Der Staat gibt circa 30 Millionen Euro pro Jahr für die Militärseelsorge aus.

Der Militärpfarrer hat unter anderem die Aufgabe der "Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen". Das heißt: Der Militärpfarrer soll helfen, dass ein Soldat nach einem belastenden Einsatz bald wieder funktioniert.

Der Militärpfarrer ist zwar offiziell exemt, das heißt der militärischen Hierarchie enthoben. Er bleibt offiziell seinem kirchlichen Bekenntnis verpflichtet. Er sieht sich selbst nicht als Teil der Bundeswehr.

Aber die Praxis sieht anders aus: Der Militärpfarrer wird von seinem kirchlichen Arbeitgeber freigestellt (beurlaubt). Er wird Bundesbeamter auf Zeit.
    
Er wird vom Staat bezahlt (Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.).
Er bekommt in der Regel ein höheres Gehalt als der Gemeindepfarrer.
Er legt einen Beamteneid ab.
Er unterliegt der Pflicht, militärische Informationen geheim zu halten.
Er wird vor der Anstellung vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) überprüft.
Er bekommt ein Dienstfahrzeug von der Bundeswehr.
Die E-Mail-Adressen der Militärpfarrämter enden auf "bundeswehr.org".
Er trägt im Ausland immer militärische Kleidung. Ebenfalls auf Kriegsschiffen. Im Inland trägt er bisweilen militärische Kleidung. Auf der Schulterklappe befindet sich kein Rangabzeichen, sondern das Logo der Militärseelsorge.

Laut einer Untersuchung des Sozialwissenschaftlichen Institutes der Bundeswehr ist die Funktion der Militärpfarrer in der Praxis nur selten das persönliche Gespräch mit den Soldaten (Militärpfarrer-Paradoxon). Unsere Wahrnehmung: Die Hauptfunktion der Militärpfarrer ist die Begleitung, und damit die moralische Legitimation der Auslandseinsätze. Der Soldat hat den Eindruck: Wenn sogar der Pfarrer mitkommt, dann kann das, was wir hier tun, nicht verwerflich sein.

Wenn ein Pfarrer immer wieder Kasernen betritt oder Soldaten begleitet, färbt dies auf ihn ab. Die meisten Militärpfarrer übernehmen mit der Zeit die Verhaltensweisen, die Gewohnheiten und die Gedanken des Militärs.

Der Militärpfarrer wird von den Soldaten entsprechend seiner Bezahlung wie ein Oberstleutnant wahrgenommen und auch so behandelt.

Die Militärseelsorge ist ein Überrest aus der Zeit, als Thron und Altar, weltliche und geistliche Macht noch gemeinsame Sache gemacht haben. (Konstantinische Wende, 4. Jahrhundert)

Eine "Religion des Friedens" macht sich unglaubwürdig, wenn sie Kriegspfarrer (Militärpfarrer) entsendet".

Seit 15. Juli 2014 wird erstmals das Amt eines Evangelischen Militärbischofs hauptamtlich ausgeübt. Er wurde für sechs Jahre in dieses Amt berufen. Als Argument werden vor allem die Auslandseinsätze und die damit verbundenen erhöhten Anforderungen genannt. Dies ist insofern erstaunlich, als es erstens Auslandseinsätze mindestens seit 1991 gibt und zweitens die Bundeswehr statt über 500.000 nur noch aus rund 180.000 Soldaten besteht. Die Zahl der im Ausland eingesetzten Soldaten liegt bei etwa 4.000 Soldatinnen und Soldaten (Stand 2014). Wegen der in der Bundeswehr dienenden Muslime gibt es gegenwärtig auch Überlegungen, die Einrichtung von Ansprechstellen für Bundeswehrangehörige anderer Glaubensrichtungen zu schaffen.

Erinnert wird in diesem Zusammenhang auch daran, dass der neue Militärbischof aus der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau stammt, dessen erster Kirchenpräsident Martin Niemöller ein dezidierter Gegner der Remilitarisierung war und die Bundeswehr 1959 als die "Hohe Schule für Berufsverbrecher" bezeichnete und sich dafür einen Strafantrag des Bundesverteidigungsministers Franz Josef Strauß einhandelte.

Aber der 1960 geborene Militärbischof Rink, der erst 2008 noch Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau werden wollte, war ja nach eigenen Aussagen friedensbewegt - wie beruhigend!

Gegenwärtig ist Darmstadt kein Sitz eines Standortpfarrers. Das für Darmstadt zuständige Evangelische Militärpfarramt hat seinen Sitz in der Kurmainz-Kaserne in Mainz, das für Hessen zuständige Katholische Militärdekanat hat seinen Sitz ebenfalls in Mainz.


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