DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Denkzeichen Güterbahnhof
Standort: Bismarckstraße, Ecke Kirschenallee
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- Denkzeichen Güterbahnhof (2013)
Das "Denkzeichen Güterbahnhof" erinnert an die Menschen, die vom Güterbahnhof
Darmstadt aus mit Zügen der Reichsbahn während des Zweiten Weltkriegs
deportierten wurden. Es besteht aus einem Glaswürfel (ca. 1,50 m Kantenlänge), in dem Scherben zu sehen sind.
Auf den Scherben sind 350 Namen stellvertretend für alle von hier deportierten Menschen zu lesen.
Der Würfel steht auf einem Stück Schienenstrang, der in einen
Prellbock mündet.
Das Denkmal wurde 2004 von den Künstlern
Ritula Fränkel und Nicholas Morris konzipiert und am 7.11. des gleichen
Jahres eingeweiht. Es kostete insgesamt 80.000 Euro. Rund
die Hälfte der Kosten übernahmen die Stadt Darmstadt und die
Sparkassenstiftung.
Darmstadt war "nur" der Sammel- und
Ausgangspunkt der deportierten Menschen aus vielen südhessischen
Städten und Gemeinden. Daher sprach die Initiative 50 hessische
Gemeinden wegen einer Unterstützung des Denkmals an. Die Mehrzahl habe
nichts von sich hören lassen - so die Frankfurter Rundschau am
30.9.2003. Drei Kommunen haben 50 Euro geschickt, eine andere 100. Das
evangelische Stadtdekanat beteiligte sich mit 1.000 Euro und sagte die
November-Kollekte dem Projekt zu. Fünf Kommunen haben laut Presse mit
zum Teil erstaunlichen Begründungen ausdrücklich abgesagt. Die Gemeinde
Fischbachtal etwa lehnte eine Spende mit dem Verweis darauf ab, dass
man übers Jahr schon ausreichend an die Opfer der Weltkriege erinnere.
Aus Erzhausen wurde die Ablehnung mit unklaren "grundsätzlichen
Überlegungen" begründet. Die Mehrheit des Dieburger Stadtparlaments
etwa wollte nicht einmal einem SPD-Antrag zustimmen, der das Vorhaben
mit 1.000 Euro unterstützen wollte.
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- Detail (2013)
In der Nacht vom 9. auf 10.7.2006 wurde das Denkzeichen schwer beschädigt. In einem
Bericht der Frankfurter Rundschau vom 22.2.2007 heißt es: "Die frustrierten
Jugendlichen waren nach Angaben der Polizei keine Neonazis, die dicken
Scheiben haben sie dennoch fast vollständig zertrümmert".
Nach einem
Bericht im Darmstädter Echo vom 28.4.2012 ist das Denkzeichen "Opfer eines mutwilligen (aber
nicht politischen) Zerstörungsfeldzuges
von vier alkoholisierten Jugendlichen …, die rund um den Hauptbahnhof
mit einem aus einem DB-Zug entwendeten Notfallhammers einen Sachschaden
von rund 150.000 Euro anrichteten - an Gebäuden, an geparkten Autos und
schließlich dem aus Panzerglas gefertigten Denkzeichen".
Die
Presseberichte beziehen sich erkennbar auf Angaben der Polizei. Die
Autoren
wissen nicht, aufgrund welcher Ermittlungen die Polizei zu der
Erkenntnis kam, dass es sich bei den Jugendlichen nicht um Neonazis
gehandelt habe. Und weshalb sie frustriert waren? Auf jeden Fall
manifestierte sich in ihrem Handeln eine erhebliche kriminelle Energie.
Den Autoren ist nicht bekannt, welche strafrechtlichen und
zivilrechtlichen
Folgen ihre Taten hatten.
Jahrelang blieb der Würfel
so stehen.
Auch
ein zerstörtes Denkzeichen ist ein Mahnmal! Als sich jedoch
durch Wassereintritt Algen bildeten, musste zu Jahresbeginn
2013
eine
Sanierung erfolgen. Danach wurde es im März 2013 wieder aufgestellt.
Ein Drittel der 41.000 Euro teuren Sanierung wurden durch Spenden
aufgebracht.
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- Gesamtansicht (2013)
Bereits im Mai 2013 wurde das Denkmal erneut beschädigt. Auf eine am 6.11.2013 erfolgte Nachfrage der Autoren bei der Stadt, der
Anzeigenerstatterin, nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens gab es
folgende Antwort:
Das Polizeipräsidium Südhessen
teilte dem Kulturamt auf Anfrage folgenden Ermittlungsstand mit: "Die
am Mahnmal durchgeführten
umfangreichen
Spurensicherungsmaßnahmen ergaben keine verwertbaren und einzelnen
Personen zuordenbaren Spuren. In den Folgetagen/-nächten wurden
Befragungen vorgenommen von Personen, die im Bereich Güterbahnhof
angetroffenen wurden. Bei angrenzenden Firmen und Geschäftshäusern
erfolgte ein Zeugenaufruf per Flyer. Von der Polizei wurden
Nachbarschaftsbefragungen und Vorsprachen bei Sicherheits- und
Pförtnerdiensten der angesiedelten Firmen im Umfeld durchgeführt. Es
konnten jedoch keine Hinweise erlangt werden. Des weiteren erfolgten
Abprüfungen möglicher Tatzusammenhänge bei anderen Vorkommnissen, auch
dieses Ergebnis war negativ. Etwaige Hinweise nimmt die Polizei weiter
entgegen. Der Vorgang wurde der Staatsanwaltschaft übergeben."
Mag
man den 1. Akt der Zerstörung im Jahr 2006 noch als Vandalismus
einordnen, so scheint doch der zweite Zerstörungsakt im Jahr 2013 eher
eine bewusste politische Handlung gewesen zu sein, die auch im Kontext
gesellschaftlicher Entwicklungen zu sehen ist.
Das Berliner
Mahnmal, das an die Vernichtung der Sinti und Roma im
Nationalsozialismus erinnert, war 2012 kaum eingeweiht, da warnen
Vertreter der Politik zeitnah vor angeblich massiver Einwanderung aus
Südosteuropa. Ist ausgeschlossen, dass solche Aussagen zu bestimmten
Handlungen ermuntern?
Aufgrund von Straßenbaumaßnahmen in der Bismarckstraße, die im Jahr 2013 begannen, wurde der Kubus
eingelagert und nach Abschluss der Bauarbeiten im Februar 2017 wieder aufgestellt. Außerdem wird darüber diskutiert,
wie dieser Standort künftig sicherer gestaltet werden kann.
Vom
Güterbahnhof wurden mehr als 3.000 Juden und fast 600 Sinti und Roma
aus Darmstadt und Umgebung deportiert. Zur
vertieften Information wird auf die Broschüre der Initiative "Gedenkort
Güterbahnhof Darmstadt" (Hrsg.), Darmstadt als Deportationsort - Zur
Erinnerung an die unter dem Naziregime aus dem ehemaligen Volksstaat
Hessen deportierte Juden und Sinti, erschienen im April 2004,
verwiesen. Die Initiative verfügt auch über eine Homepage.
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