DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Reichsbahn Die Deutsche Reichsbahn war die staatliche Eisenbahn in der Weimarer Republik und der Zeit
des Nationalsozialismus. Die uns hier interessierende Frage lautet, welche Funktion die Reichsbahn, außer der
primären Aufgabe, die Mobilität der Bevölkerung zu unterstützen, bei der Ermordung der Juden
und des Transports der Soldaten, Polizei und anderen in die Verfolgung und Ermordung von Regimegegnern hatte. Die
Deutsche Reichsbahn leistete für die nationalsozialistische Verfolgungs-, Vernichtungs- und Ausrottungspolitik
wichtige Unterstützungsarbeit, ohne die der Holocaust so nicht hätte realisiert werden können. So wurden ab der
Machtübertragung an die Nazis bis 1935 sämtliche jüdischen Beschäftigten entlassen. Ab 1938 transportierte sie
tausende jüdische Menschen, aber auch andere Regimekritiker und -gegner in die Konzentrationslager Buchenwald,
Dachau und Sachsenhausen. Mehr als 130.000 Juden transportierte sie in den Jahren 1941 bis 1945 in die
Vernichtungslager.
So wurde für die Rolle der Reichsbahn als Teil der Vernichtungsmaschinerie geworben:
-
- Anzeigen der Reichsbahn im Völkischen Beobachter 1942 [11]
-
- ...täglich ein Zug mit je 5.000 Angehörigen des auserwählten Volkes...
(Schreiben des persönlichen Adjutanten Heinrich Himmlers,
Karl Wolff, an die Reichsbahn 1942)
[7]
Nach dem Krieg wollte die Deutsche Bundesbahn wie das zuständige Bundesverkehrsministerium von der Mitwirkung
der Reichsbahn am Völkermord nichts wissen. Die Frage, ob es unter den ca. 280.000 Beamten und über 400.000
Arbeitern und Angestellten nicht auch so etwas wie offenen oder verdeckten Widerstand gab, liegt nahe. Im Vorwort
zu der Untersuchung von Gottwaldt, Alfred, "Eisenbahner gegen Hitler ..." (2009) schreibt Bundesminister
Tiefensee:
"Auch und gerade bei der Deutschen Reichsbahn und vielfach wieder bei den ganz normalen Beamten, Arbeitern und
Angestellten gab es Widerstand. Sie gingen ein hohes Risiko im Kampf für ihre Überzeugung und gegen das
nationalsozialistische Regime ein. Manch Einer bezahlte seinen Einsatz mit dem Leben. Widerstand gab es an vielen
Stellen und in unterschiedlichen Formen. Die einen beschafften Informationen, andere halfen jüdischen
Mitbürgern, wieder andere verteilten Flugblätter gegen den Nationalsozialismus und selbst Sabotage gegen den
Bahnbetrieb kam vor. Letzteres bedeutete für die Eisenbahner einen tiefen Konflikt, zumal die damals wie heute
selbstverständliche »Eisenbahnerehre« eine große Rolle spielte. ... Einige kamen zu dem Schluss, ihr Gewissen, ihre
Menschlichkeit und ihre Moral höher zu bewerten. Deshalb streuten sie Sand in das Getriebe des Bahnbetriebes und
damit in die Maschinerie der Kriegs- und Genozidtransporte. ... . Naturgemäß finden sich unter denen, die
Widerstand leisteten und die vom Hitlerregime verfolgt wurden, viele
Gewerkschaftler, Sozialdemokraten und
Kommunisten. Unter den Gewerkschaftern stellten die Eisenbahner die vermutlich größte organisierte Gruppe dar, die
Widerstand leistete. Aber auch Menschen, die keine feste Bindung an eine politische Organisation hatten, sondern
die aus christlicher, bürgerschaftlich-demokratischer oder einfach nur aus menschlicher Überzeugung handelten,
finden sich darunter."
Es vergingen viele Jahre, bis sich die Haltung der Bundesbahn zur Vergangenheit der Reichsbahn änderte. Hierzu
bedurfte es vieler wissenschaftlicher Beiträge. Erinnert sei an:
Heiner Lichtenstein: Räder rollten für den Tod - Die Deutsche Reichsbahn und der Holocaust, in: Tribüne, Heft 82/1982
Heiner Lichtenstein: Mit Sonderzügen in den Tod, Die Rolle der Reichsbahn beim Holocaust, in: Frankfurter Rundschau, 13.11.1982
In einem Flyer von 2008 erklärte die Deutsche Bahn AG:
"Seit ihrer Gründung 1994 hat sich die Deutsche Bahn AG dazu verpflichtet, an die Verbrechen während der
NS-Herrschaft zu erinnern und über die Rolle der Deutschen Reichsbahn im Nationalsozialismus zu informieren.
Mit dem Mahnmal Gleis 17 am Bahnhof Grunewald in Berlin hat die DB AG einen Ort der Erinnerung und des Gedenkens
gestaltet. Von diesem Bahnhof ging ab 1941 ein großer Teil der Deportationszüge aus Berlin ab. Mit dem DB Museum in
Nürnberg wurde ein Ort der Information und Auseinandersetzung für Besucher, Mitarbeiter und Auszubildende
geschaffen. Mit der Wanderausstellung »Sonderzüge in den Tod. Die Deportationen mit der Deutschen Reichsbahn« setzt
die Deutsche Bahn AG ihr Engagement für ein dauerhaftes Erinnern, Darstellen und Gedenken fort."
Zwischen November 2007 und Mai 2008 fuhr der "Zug der Erinnerung" durch Deutschland und Polen und legte an jenen
über 70 Bahnhöfen an, von denen Deportationen mit Zügen der Deutschen Reichsbahn ausgingen. Über 240.000 Besucher
informierten sich in den Zugwagen. Ein vom "Zug der Erinnerung" in Auftrag gegebenes Gutachten errechnete,
"dass die von der Deutschen Reichsbahn zwischen 1938 und 1945 vereinnahmten Fahrteinnahmen für die Deportationen
in Zwangs-, Konzentrations- und Vernichtungslager sowie zwischen diesen Lagern einen heutigen Wert von mindestens
445 Millionen Euro erreichen".
Die Deutsche Bahn hatte sich geweigert, die bereits in Frankreich gezeigte Ausstellung auch auf deutschen Bahnhöfen
zu zeigen. In einem Interview im November 2006 begründete DB-Vorstandsvorsitzender Hartmut Mehdorn seine Ablehnung
der Wanderausstellung: "Auf Bahnhöfen herrscht Hast und Eile. Es sind keine Orte für ein derart ernstes Thema
wie den Holocaust. Es kann dort keine seriöse, tiefgehende Befassung mit solch einem Thema geben."
Nach Angaben in einer Bundestagsanfrage habe die "Deutsche Bahn AG, Rechtsnachfolgerin der Deutschen
Reichsbahn, für die Benutzung des deutschen Schienennetzes hohe Summen, sogenannte Trassengebühren, verlangt. Für
den Zugang zur Ausstellung über die deportierten Kinder auf den deutschen Bahnhöfen sollen weitere Gelder an die
Deutsche Bahn AG gezahlt werden, sogenannte Stationsgebühren. Selbst sogenannte Anschlussgebühren für die
Beleuchtung der letzten Fotos und Briefe der Kinder und Jugendlichen werden dem Verein in Rechnung gestellt. Einen
Erlass dieser Forderungen hat die Deutsche Bahn AG grundsätzlich abgelehnt."
Die Bundesregierung berief sich in ihrer Antwort auf die Autonomie der Deutschen Bahn. Sie schämte sich nicht, für
die Ausstellung "Zug der Erinnerung" vom November 2007 bis Januar 2008 Entgelte für: Trassenentgelte in Höhe von
insgesamt 6.549,21 Euro, für Stationsentgelte in Höhe von insgesamt 20.817,57 Euro und für Nebenkosten für Strom und
Wasser in Höhe von insgesamt 507,10 Euro zu berechnen.
In Darmstadt machte der "Zug der Erinnerung" im November 2007 Station und wurde von vielen Darmstädtern besucht.
Da auch Menschen aus Darmstadt Züge der Deutschen Reichsbahn in die Vernichtungsanstalten transportierten, erinnert
auf Initiative "Gedenkort Güterbahnhof Darmstadt" am Güterbahnhof seit 2004 ein
Denkmal an die Deportation der mehr
als 3.000 Juden und fast 600 Sinti und Roma aus Darmstadt und Umgebung.
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