DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Justiz im Nationalsozialismus
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 setzte eine beispiellose
Entrechtung der Gesellschaft ein. Beispielhaft seien erwähnt:
- Verordnung
zum Schutze des deutschen Volkes vom 4.2.1933
- Verordnung
zum Schutz von Volk und Staat vom 28.2.1933
- Gesetz
zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom
24.3.1933
- Gesetz zur Wiederherstellung des
Berufsbeamtentums vom 7.4.1933
- Gesetz über die Neubildung von Parteien vom 14.7.1933
- Gesetz
über die Sicherung der Einheit von Partei und Staat vom 1.12.1933
- Gesetz
über die Vereidigung der Beamten und der Soldaten der Wehrmacht vom
20.8.1934 (Eid auf den "Führer" Adolf Hitler)
Künftig
galt
- "Recht ist, was
dem deutschen Volke nutzt" (Dr. Hans Frank zugeschrieben, 1,54)
- "Der Führer schützt das Recht vor dem schlimmsten Mißbrauch, wenn er im
Augenblick der Gefahr kraft seines Führertums als oberster Gerichtsherr
unmittelbar Recht schafft." (Carl Schmitt, DJZ 1934, S. 946ff, 1,102)
- "Grundlage der Auslegung aller Rechtsquellen ist die
nationalsozialistische Weltanschauung, wie sie insbesondere in dem
Parteiprogramm und den Äußerungen unseres Führers Ausdruck findet.
Gegenüber Führerentscheidungen, die in Form eines Gesetzes oder einer
Verordnung gekleidet sind, steht dem Richter kein Prüfungsrecht zu Auch
an sonstigen Entscheidungen des Führers ist der Richter gebunden,
sofern in ihnen der Wille, Recht zu setzen, unzweideutig zum Ausdruck
kommt" (Frank, in Deutsches Recht 1936, S.10, zit. nach Schorn, Der
Richter im Dritten Reich, Klostermann Frankfurt 1959)
- "Das nationalsozialistische Recht hat der Verwirklichung der
nationalsozialistischen Weltanschauung zu dienen. Ziel dieser
Weltanschauung und damit Zweck des Rechts ist Reinhaltung, Erhaltung,
Schutz und Förderung des deutschen Volkes" (DR 1937, S. 227, 1,110)
Die
Zitate könnten fortgesetzt werden.
Auch in Darmstadt
hatte die Machtübernahme in der Justiz Konsequenzen. Richter und
Staatsanwälte wurden entlassen oder in den Ruhestand versetzt, Anwälte
vertrieben, verfolgt und auch ermordet. "Es kann nicht bestritten
werden, daß sehr viele, wenn nicht die meisten Richter, nach der
Machtübernahme der NSDAP beigetreten sind." Es gab auch Beitritte
bereits vor 1933. Es gab Beitritte aus Überzeugung, aus Opportunismus
und Karrieregründen. Viele weitere Gründe sind möglich. Nicht jeder
Richter, der nach 1933 weiter "Recht" sprach, wird ein überzeugter
Nationalsozialist gewesen sein. Aber er kannte Programm der Partei, er
konnte vor 1933 Zeitung lesen und auch danach die gleichgeschaltete
Presse. Er musste die politischen und rechtlichen Veränderungen
wahrgenommen haben, die Parteiverbote, das Verbot der Gewerkschaften,
die Hetze auf Juden und andere "Andersartige".
Die
Stimmen von Historikern und anderen Fachleuten sind einhellig, wonach
sich die Mehrzahl der Juristen, ohne später dafür strafrechtlich
belangt worden zu sein, zwischen 1933 und 1945 den braunen Machthabern
nur allzu willig und aktiv zur Verfügung gestellt und sich zu einem
Instrument der Diktatur gemacht hat.
Darmstadt
bildet da keine Ausnahme. Es war nicht nur Hauptstadt des Volksstaates
Hessen, sondern auch Sitz des Oberlandesgerichts (siehe OLG-Präsident
Scriba) mit Generalstaatsanwaltschaft (siehe GStA Eckert) sowie des
Landgerichts und des für Stadt und Landkreis zuständigen Amtsgerichts.
"Noch liegen keine genauen Zahlen darüber vor, wie viele Richter,
Staatsanwälte, Justizbeamte der NSDAP angehört haben, aber wir wissen,
daß der Prozentsatz außerordentlich hoch ist, daß es schier unmöglich
erscheint, alle Gerichte wieder einzusetzen", heißt es im
Mitteilungsblatt der Deutschen Regierung des Landes Hessen vom 9.
August 1945 (siehe "Darmstädter
Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte vor 1945 und solche vor 1945 und nach 1945")
-
- Nazi-Kundgebung im Darmstädter Amtsgericht (ca. 1935)
Schon
im März 1933, also kurz nach der Machtergreifung, holten die Nazis zu
einer großen Säuberungswelle aus und vertrieben auf Anordnung des
Gauleiters Sprenger alle "nichtarischen", unzuverlässigen oder
missliebigen Juristen aus ihren Ämtern. Auch Wachtmeister, Referendare,
Gerichtsvollzieher, Schöffen und Geschworene mussten gehen. 1933 wurden
allein in Hessen-Darmstadt 37 Richter und Beamte sowie acht Notare
(auch sie waren Beamte) aus ihren Positionen entfernt. 21 Rechtsanwälte
verloren ihre Zulassung.
Insbesondere
Justizangehörige jüdischer Abstammung konnten sich nur durch Flucht ins
Ausland dem Zugriff der Nazis entziehen. Drei Darmstädter Juristen, die
Richter Dr. Carl Peter Callmann und Dr. Ernst Mayer sowie der Notar
Otto Sturmfels wurden zwischen 1943 und 1945 in Konzentrationslagern
ermordet (siehe "Schicksale jüdischer Anwälte in
Darmstadt" und "Schicksale jüdischer Richter in Darmstadt").
Eine schlimme Rolle spielten die
Sondergerichte. Auch in Darmstadt bestand ein solches ab dem 12. April
1933. Vor ihm fanden bis 1945 etwa 2.000 Verfahren statt, wie der
ehemalige Darmstädter Landgerichtspräsident Gerhard Wenzel 1983 in
seinem Aufsatz "Chronik einer Metamorphose" schrieb. Von 1.500 dieser
2.000 Prozesse existieren noch Dokumente, die im Staatsarchiv lagern.
Beim Sondergericht wurde kurzer Prozess gemacht: Verhandlungstage mit
sieben bis acht Sachen und gegen 15 Angeklagte waren keine Seltenheit,
die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten massiv eingeschränkt.
Bis
1934 wurden regimeabträgliche Äußerungen und oppositionelle Handlungen
verfolgt. Dazu zählten auch Verstöße gegen Demonstrations- und
Versammlungsverbote.
Zwischen 1934 und 1939 wurden
nach dem sogenannten "Heimtückegesetz" vom 20. Dezember 1934 auch
Werturteile bestraft. Jeder musste mit einem Verfahren rechnen, der
unwahre, gehässige oder "von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen"
machte oder verbreitete, die sich gegen das Wohl des Reiches, das
Ansehen der Regierung oder der NSDAP richteten. In dieser Zeit
etablierten sich die ursprünglich nur als vorübergehend gedachten
Sondergerichte zu einer festen Einrichtung mit dem Ziel der
Unterdrückung der alltäglichen Meinungsbekundung.
Von
1939 bis 1945 wurden die Rechte der Sondergerichte noch weiter
ausgedehnt. Fortan konnten Verbrechen, die bislang von normalen
Strafgerichten verhandelt wurden, vom Sondergericht verfolgt werden,
wenn "die Schwere der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene
Erregung" dies geboten. Die Entscheidung darüber lag bei der Gestapo
und der Staatsanwaltschaft.
Jedes Vergehen oder
Verbrechen konnte zu einer "todeswürdigen Volksschädlingstat" erklärt
und dementsprechend bestraft werden. Das Darmstädter Sondergericht
fällte zwischen 1933 und 1945 mehr als 20 Todesurteile, die alle in
Frankfurt-Preungesheim vollstreckt wurden.
Die
Tätigkeit der Justiz kam nach dem Bombenangriff auf Darmstadt am 11.
September 1944 weitgehend zum Erliegen, denn das Landgericht wurde
zerstört, das benachbarte Amtsgericht schwer beschädigt. Mit dem
Einmarsch der Amerikaner 1945 stellten die Gerichte ihre Arbeit
vorübergehend ein.
Am 28. Juli 1967 endete vor dem
Schwurgericht Darmstadt der sogenannte "Kolonea-Prozeß" mit hohen
Zuchthausstrafen für die Angeklagten der SS-Einsatzgruppen, denen die
Ermordung von mindestens 30.000 Menschen in den im Krieg "besetzten
Ostgebieten" zur Last gelegt wurden.
Im sogenannten
"Tomasow-Prozeß" verhängte das Darmstädter Schwurgericht am 7. Dezember
1972 nach mehr als dreijähriger Verhandlung gegen drei ehemalige
Polizeibeamte wegen Beteiligung an der Erschießung von "Polen jüdischer
Abstammung " Gefängnisstrafen zwischen sechs und acht Jahren.
Wie die Justiz der frühen Bundesrepublik Deutschland mit NS-Gewalttätern umging, verdeutlicht ein Artikel von Joachim Perels, erschienen in der "Zeit" am 24.Januar 2013.
Dies
voran geschickt zeigen wir die konkreten Veränderungen der Justiz in
Darmstadt, indem wir
a. die "Darmstädter
Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte vor 1945
und solche vor 1945 und nach 1945" benennen.
b. die "Schicksale jüdischer Anwälte in Darmstadt" darstellen.
c. die "Schicksale jüdischer Richter in Darmstadt" darstellen.
d. auf die
vor dem Landgerichtsgebäude angebrachte Bronzeplatte zur Erinnerung an
die Justiz in der Nazizeit hinweisen.
e. auf die
unterschiedliche Rechtsprechung bei politischen Delikten in der
Weimarer Republik [4] hinweisen.
f. auf die
unterschiedliche Rechtsprechung bei politischen Delikten in der Bundesrepublik Deutschland [5] hinweisen.
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