DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Justiz im Nationalsozialismus Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 setzte eine beispiellose Entrechtung der Gesellschaft ein. Beispielhaft seien erwähnt:

Künftig galt

Die Zitate könnten fortgesetzt werden.

Auch in Darmstadt hatte die Machtübernahme in der Justiz Konsequenzen. Richter und Staatsanwälte wurden entlassen oder in den Ruhestand versetzt, Anwälte vertrieben, verfolgt und auch ermordet. "Es kann nicht bestritten werden, daß sehr viele, wenn nicht die meisten Richter, nach der Machtübernahme der NSDAP beigetreten sind." Es gab auch Beitritte bereits vor 1933. Es gab Beitritte aus Überzeugung, aus Opportunismus und Karrieregründen. Viele weitere Gründe sind möglich. Nicht jeder Richter, der nach 1933 weiter "Recht" sprach, wird ein überzeugter Nationalsozialist gewesen sein. Aber er kannte Programm der Partei, er konnte vor 1933 Zeitung lesen und auch danach die gleichgeschaltete Presse. Er musste die politischen und rechtlichen Veränderungen wahrgenommen haben, die Parteiverbote, das Verbot der Gewerkschaften, die Hetze auf Juden und andere "Andersartige".

Die Stimmen von Historikern und anderen Fachleuten sind einhellig, wonach sich die Mehrzahl der Juristen, ohne später dafür strafrechtlich belangt worden zu sein, zwischen 1933 und 1945 den braunen Machthabern nur allzu willig und aktiv zur Verfügung gestellt und sich zu einem Instrument der Diktatur gemacht hat.

Darmstadt bildet da keine Ausnahme. Es war nicht nur Hauptstadt des Volksstaates Hessen, sondern auch Sitz des Oberlandesgerichts (siehe OLG-Präsident Scriba) mit Generalstaatsanwaltschaft (siehe GStA Eckert) sowie des Landgerichts und des für Stadt und Landkreis zuständigen Amtsgerichts. "Noch liegen keine genauen Zahlen darüber vor, wie viele Richter, Staatsanwälte, Justizbeamte der NSDAP angehört haben, aber wir wissen, daß der Prozentsatz außerordentlich hoch ist, daß es schier unmöglich erscheint, alle Gerichte wieder einzusetzen", heißt es im Mitteilungsblatt der Deutschen Regierung des Landes Hessen vom 9. August 1945 (siehe "Darmstädter Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte vor 1945 und solche vor 1945 und nach 1945")
Nazi-Kundgebung im Darmstädter Amtsgericht
Nazi-Kundgebung im Darmstädter Amtsgericht (ca. 1935)

Schon im März 1933, also kurz nach der Machtergreifung, holten die Nazis zu einer großen Säuberungswelle aus und vertrieben auf Anordnung des Gauleiters Sprenger alle "nichtarischen", unzuverlässigen oder missliebigen Juristen aus ihren Ämtern. Auch Wachtmeister, Referendare, Gerichtsvollzieher, Schöffen und Geschworene mussten gehen. 1933 wurden allein in Hessen-Darmstadt 37 Richter und Beamte sowie acht Notare (auch sie waren Beamte) aus ihren Positionen entfernt. 21 Rechtsanwälte verloren ihre Zulassung.

Insbesondere Justizangehörige jüdischer Abstammung konnten sich nur durch Flucht ins Ausland dem Zugriff der Nazis entziehen. Drei Darmstädter Juristen, die Richter Dr. Carl Peter Callmann und Dr. Ernst Mayer sowie der Notar Otto Sturmfels wurden zwischen 1943 und 1945 in Konzentrationslagern ermordet (siehe "Schicksale jüdischer Anwälte in Darmstadt" und
"Schicksale jüdischer Richter in  Darmstadt").

Eine schlimme Rolle spielten die Sondergerichte. Auch in Darmstadt bestand ein solches ab dem 12. April 1933. Vor ihm fanden bis 1945 etwa 2.000 Verfahren statt, wie der ehemalige Darmstädter Landgerichtspräsident Gerhard Wenzel 1983 in seinem Aufsatz "Chronik einer Metamorphose" schrieb. Von 1.500 dieser 2.000 Prozesse existieren noch Dokumente, die im Staatsarchiv lagern. Beim Sondergericht wurde kurzer Prozess gemacht: Verhandlungstage mit sieben bis acht Sachen und gegen 15 Angeklagte waren keine Seltenheit, die Verteidigungsmöglichkeiten der Angeklagten massiv eingeschränkt.

Bis 1934 wurden regimeabträgliche Äußerungen und oppositionelle Handlungen verfolgt. Dazu zählten auch Verstöße gegen Demonstrations- und Versammlungsverbote.

Zwischen 1934 und 1939 wurden nach dem sogenannten "Heimtückegesetz" vom 20. Dezember 1934 auch Werturteile bestraft. Jeder musste mit einem Verfahren rechnen, der unwahre, gehässige oder "von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen" machte oder verbreitete, die sich gegen das Wohl des Reiches, das Ansehen der Regierung oder der NSDAP richteten. In dieser Zeit etablierten sich die ursprünglich nur als vorübergehend gedachten Sondergerichte zu einer festen Einrichtung mit dem Ziel der Unterdrückung der alltäglichen Meinungsbekundung.

Von 1939 bis 1945 wurden die Rechte der Sondergerichte noch weiter ausgedehnt. Fortan konnten Verbrechen, die bislang von normalen Strafgerichten verhandelt wurden, vom Sondergericht verfolgt werden, wenn "die Schwere der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung" dies geboten. Die Entscheidung darüber lag bei der Gestapo und der Staatsanwaltschaft.

Jedes Vergehen oder Verbrechen konnte zu einer "todeswürdigen Volksschädlingstat" erklärt und dementsprechend bestraft werden. Das Darmstädter Sondergericht fällte zwischen 1933 und 1945 mehr als 20 Todesurteile, die alle in Frankfurt-Preungesheim vollstreckt wurden.

Die Tätigkeit der Justiz kam nach dem Bombenangriff auf Darmstadt am 11. September 1944 weitgehend zum Erliegen, denn das Landgericht wurde zerstört, das benachbarte Amtsgericht schwer beschädigt. Mit dem Einmarsch der Amerikaner 1945 stellten die Gerichte ihre Arbeit vorübergehend ein.

Am 28. Juli 1967 endete vor dem Schwurgericht Darmstadt der sogenannte "Kolonea-Prozeß" mit hohen Zuchthausstrafen für die Angeklagten der SS-Einsatzgruppen, denen die Ermordung von mindestens 30.000 Menschen in den im Krieg "besetzten Ostgebieten" zur Last gelegt wurden.

Im sogenannten "Tomasow-Prozeß" verhängte das Darmstädter Schwurgericht am 7. Dezember 1972 nach mehr als dreijähriger Verhandlung gegen drei ehemalige Polizeibeamte wegen Beteiligung an der Erschießung von "Polen jüdischer Abstammung " Gefängnisstrafen zwischen sechs und acht Jahren.

Wie die Justiz der frühen Bundesrepublik Deutschland mit NS-Gewalttätern umging, verdeutlicht ein Artikel von Joachim Perels, erschienen in der "Zeit" am 24.Januar 2013.

Dies voran geschickt zeigen wir die konkreten Veränderungen der Justiz in Darmstadt, indem wir

a. die "Darmstädter Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte vor 1945 und solche vor 1945 und nach 1945" benennen.
    
b. die "Schicksale jüdischer Anwälte in  Darmstadt" darstellen.

c. die "Schicksale jüdischer Richter in  Darmstadt" darstellen.

d. auf die vor dem Landgerichtsgebäude angebrachte Bronzeplatte zur Erinnerung an die Justiz in der Nazizeit hinweisen.

e. auf die unterschiedliche Rechtsprechung bei politischen Delikten in der Weimarer Republik 
[4] hinweisen.

f. 
auf die unterschiedliche Rechtsprechung bei politischen Delikten in der Bundesrepublik Deutschland [5] hinweisen.


Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9]

 

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