DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Mercedes-Benz in Darmstadt Seit mindestens 1928 existiert eine "Mercedes-Benz Personen- u. Lastwagen Vertretung" in Darmstadt. Sie war ansässig in der Holzhofallee 27 (siehe Abbildung).

Adressbuch 1928
Eintrag im Darmstädter Adressbuch 1928 [1]

Adressbuch ca. 1950
Eintrag im Darmstädter Adressbuch ca. 1950 [1]

Damit gehörte die Darmstädter Daimler-Benz Niederlassung wohl zu den ersten Werksvertretungen im Deutschen Reich, denn die Daimler-Benz AG entstand erst am 26. Juni 1926 durch den Zusammenschluss der Daimler-Motoren-Gesellschaft mit dem Unternehmen Benz & Cie.

Wir erinnern uns: Carl Benz (25.11.1844 - 4.4.1929) und Gottlieb Daimler (17.3.1834 - 6.3.1900) arbeiteten unabhängig voneinander an der Entwicklung von Automobilen, auch Motorwagen genannt. Die frühe Niederlassung in Darmstadt könnte auch damit zusammenhängen, dass der Darmstädter Arnold Joseph Wilhelm Freiherr Gedult von Jungenfeld (1886-1962) 1926 Direktor der Daimler-Benz AG Berlin und der Benz-Sendling-Motor-Pflüge GmbH Berlin wurde.

Ab 1929 nannte sie sich "Kraftfahrzeug Mercedes-Benz-Vertretung für Personen- und Lastwagen" mit Adresse in der Elisabethenstraße 34 und der Holzhofallee 27. Ab 1932 nannte sie sich "Mercedes-Benz Vertragswerkstatt" in der Heidelberger Straße 59, geleitet von Joh. Zimmermann, Direktor in Firma "Mercedes-Benz Vertragswerkstätte", wohnhaft im Fiedlerweg 3. Ab 1933 lag die "Fabrikwerkstätte" in der Frankfurter Straße 97/99. Betrieben wurde sie von den Brüdern Ernst und Peter Prieger, die in der Dieburger Straße 199 wohnten.

Auch nach dem Krieg blieb die Frankfurter Straße 97 die gute Adresse von Mercedes in Darmstadt (siehe Abbildung).

Mitte der 1950er Jahre fand der Verkauf in der Elisabethenstraße 34 statt, die Werkstätte mit Ersatzteilen befand sich weiter in der Frankfurter Straße 97. Erst um 1955 bezog die Niederlassung ihren heutigen Standort in der Rheinstraße 100. Seit März 2019 ist sie dort mit einem repräsentativen Neubau vertreten.

Wir fragen,

Daimler-Benz im Nationalsozialismus

In mehreren Veröffentlichungen hatte sich die Daimler-Benz AG auch mit ihrer Geschichte befasst. Es wurde konstatiert, dass Benz "von der allgemeinen Aufrüstung und dem staatlich geförderten Aufschwung der Autoindustrie" profitiert habe. Mit dem "Kriegsausbruch im September 1939") sei nur noch "die als kriegswichtig erachtete Produktion erlaubt" gewesen. Daimler-Benz habe "insgesamt knapp 1.300 Panzerkampfwagen I-IIII gebaut". Erste Vorbereitungen zur Produktion von "Rüstungsgütern" seien bei Daimler-Benz bereits vor Kriegsbeginn getroffen worden. So seien Grundstücke gekauft, Fabrikanlagen erweitert und neue Werke errichtet worden, wie z. B. das Flugmotorenwerk Genshagen bei Berlin. Mit der Konstruktion und Produktion von Panzerwagen bzw. gepanzerten Fahrzeugen sei im Werk Berlin-Marienfelde bereits vor 1933 auf Wunsch der Reichsregierung begonnen worden und die Herstellung "kleiner Panzertypen" sei unter den Nazis forciert worden. Wegen des Einzugs von Mitarbeitern zum "Wehrdienst" habe das "Unternehmen verstärkt Frauen und Zwangsarbeiter, also Kriegsgefangene und Konzentrationslagerhäftlinge" beschäftigt. Die Vorstandsmitglieder hätten größtenteils der NSDAP angehört. "Der Vorstandsvorsitzende Dr. Wilhelm Kissel wurde am 1. März 1934 Parteimitglied. Vorher war er allerdings bereits in die SS und das Nationalsoziallistische Kraftfahr-Korps eingetreten" schreibt Pohl [11].

Anzeige 1934
Anzeige 1934 [17]

Eine Untersuchung der "Hamburger Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts" von 1987 belegte, dass Daimler "tatsächlich zu den wichtigsten Förderern der deutschen Faschisten gehörte und just in dieser Phase riesige Gewinne auf Kosten der eingesetzten Zwangsarbeiter einstreichen konnte". In der NS-Zeit wurde die Daimler-Benz AG zu einem Rüstungskonzern, der den Anteil der Kriegsgüter von 26 auf 93 Prozent steigerte. Nach dem renommierten Historiker Hans Mommsen hatte der Konzern enge Beziehungen zur NSDAP und eine zentrale Rolle in der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft.

Eine bekannte Darmstädter Persönlichkeit, der Fabrikant Wilhelm Merck (1893-1952), auch er Mitglied der NSDAP ab 1. Mai 1933, auch Mitglied der SS und weiterer NS-Organisationen, war Mitglied im Aufsichtsrat der Daimler-Benz AG. Von den damals 13 Vorstandsmitgliedern gehörten neun der NSDAP an und zwei zusätzlich der SS. Der Vorstandsvorsitzender Wilhelm Kissel hatte den Rang eines SS-Obersturmbannführers und war Träger des "SS-Ehrendolches" und des "SS-Totenkopfringes". Er erhielt 1933 von der Technischen Hochschule (heute: Technische Universität) Darmstadt die Ehrendoktorwürde verliehen. Wilhelm Werlin galt als persönlicher Freund des Führers und erhielt 1942 das goldene Parteiabzeichen und wurde von Hitler zum "Generalinspekteur des Führers für das Kraftfahrwesens" ernannt.

Daimler-Benz und Zwangsarbeiter

In der vom Verlag 2001 im Jahr 1998 herausgegebenen Dokumentation "Das nationalsozialistische Lagersystem" [32] ist dargestellt, wo überall Daimler-Benz Arbeitslager für Zwangsarbeiter betrieben hat:

Häftlingstransporte
Häftlingstransporte [27]
(Bild anklicken zum Vergrößern)
"Im Jahre 1944 waren schließlich 50,5 Prozent aller in den 17 Werken des Konzerns beschäftigten Arbeitskräfte ausländische Zwangsarbeiter - 27.000 Zivilarbeiter, 4.900 Kriegsgefangene und 5.600 KZ-Häftlinge" schreibt Ulrich Herbert, zitierend aus dem 1994 erschienen Band "Zwangsarbeit bei Daimler-Benz" [3]. Bei den Zwangsarbeitern handelte es sich vor allem um Menschen aus Polen, der Sowjetunion sowie KZ-Häftlinge und Kriegsgefangene. Mettke schrieb 1986 im SPIEGEL, dass der Daimler-Konzern einer der größten Nutznießer des Einsatzes von Zwangsarbeitern war. Laut OMGUS-Bericht "Ermittlungen gegen die Deutsche Bank" [36] beschränkte sich die Produktion ab Mitte der 1930er Jahre "fast ausschließlich auf die Aufträge der deutschen Wehrmacht. Seit dem Jahr 1937 stellte die Daimler A.G. Panzer her". Für ihre Leistungen erhielt sie "besondere Anerkennung und Auszeichnungen von der Naziregierung. Auf ihrem Briefkopf stellte sie voller Stolz ein goldgeprägtes Hakenkreuz mit der Aufschrift "Nationalsozialistischer Musterbetrieb" zur Schau".

Spiegel 20/1987
Der Spiegel 20/1987 vom 11.5.1987: Bündnis zwischen Dreizack und Hakenkreuz [14]

Nach Kritik an der vom Unternehmen 1986 herausgegebenen Geschichtsdarstellung kündigte Daimler-Benz am 13. Juni 1988 an, 20 Millionen Deutsche Mark Entschädigung für Zwangsarbeiter zu zahlen - als "humanitäre Geste". Die Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter unter dem NS-Regime erklärte: "Gemessen an der Summe, die Daimler-Benz durch die Ausbeutung der Zwangsarbeiter an Extraprofiten eingestrichen hat und am heutigen Finanzpolster der Firma, sind 20 Millionen Mark entschieden zu wenig." Die Frankfurter Rundschau titelte am 14. Juni 1988 "Entschädigung nicht mehr als ein Almosen".

Im Rahmen Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" hat sich die Firma im Sommer 2000 nochmals mit einem Betrag beteiligt. Die Frankfurter Rundschau hatte schon 1987 berichtet, dass sich die Zusammenarbeit mit den Nazis für Daimler gelohnt habe. Der Auto- und Rüstungskonzern habe seine Umsätze während der Hitler-Zeit verzehnfachen können.

Daimler-Benz und kriegsrelevante Produktion

2007 ließ eine Meldung der DFG-VK aufhorchen: Mit der 15-prozentigen Beteiligung am Rüstungskonzern European Aeronautics Defence and Space Company (EADS) und weiteren Firmenbeteiligungen sei Daimler in die Produktion von Kampfbombern, Militärhelikoptern und in Trägersystemen für Atomwaffen verwickelt. Da man im Konzern äußerst ungern auf das Thema angesprochen wird und die eigene Verwicklung am liebsten in Abrede stellt, ist die Rüstungs-S-Klasse - die der Streumunition bzw. Raketenwerfern für Streumunition - bislang nahezu unbekannt. Das sollte sich mit der DFG-VK unterstützten Kampagne "Wir kaufen keinen Mercedes: Boykottiert Streumunition!" ändern. Bei der internationalen Waffenmesse Eurosatory in Paris präsentierte das rüstungsproduzierende Unternehmen MBDA, an dem Daimler/EADS zu 37,5 Prozent beteiligt ist, Raketenwerfer vom Typ MLRS (Multiple Launch Rocket System) sowie deren Streumunitionsraketen.

In seinem im Jahr 2013 herausgekommenen Buch "Schwarzbuch Waffenhandel" schreibt Jürgen Grässlin über den "Kriegsprofiteur Mercedes Benz". Bei Daimler-Benz sei alles gut geregelt, "dass die Käufer ziviler Fahrzeuge das Entscheidende gar nicht mitbekommen: Die Daimler AG war lange Jahre der größte industrielle Anteilseigner der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS)".

Militärlastwagen
Unter der Adresse
https://mbs.mercedes-benz.com/en/ready-for-future-operations.html
sehen wir dieses Kriegsgerät mit Mercedes-Stern

"Auf der besagten Homepage", schreibt Grässlin, "finden sich all die Mercedes-Militärfahrzeuge, deren technische Fähigkeiten sich Armeechefs in Demokratien, Scheindemokratien und Diktaturen seit Jahrzehnten zunutze machen". Und natürlich ist Mercedes auch auf Rüstungsmessen vertreten, wo das Kriegsgerät angepriesen wird.

Die TAZ berichtete am 8. Juli 2020 unter der Überschrift "Eindeutig ein Mercedes", dass trotz Waffenembargos Daimler-Trucks, bestückt mit israelischen Geschützen, nach Aserbaidschan gelangt seien. Neue Videos belegten entsprechende Vermutungen und die Bundesregierung zeige wenig Aufklärungswillen. Der Konzern habe auf Nachfrage betont, keine Rüstungsgüter nach Aserbaidschan verkauft zu haben.

Und wie läuft das Geschäftsgebaren mit Diktaturen?

2002 meldeten die Medien, dass "im Zusammenhang mit der Entführung und mutmaßlichen Ermordung von 14 Betriebsräten unter der Militärdiktatur Ende der 1970er Jahre in Argentinien gegen Daimler-Chrysler Anzeige erstattet" wurde. Weiter heißt es in einem Artikel der Frankfurter Rundschau vom 29.10.2002: "Die Hinterbliebenen in Argentinien präsentierten auch einen Brief des Mercedes-Benz-Managers Hanns Martin Schleyer, der später ermordet wurde. Im Anhang seines Schreibens versicherte Schleyer am 19. Mai 1976 gegenüber IG-Metall-Chef Eugen Loderer, dass die argentinische Filiale des Unternehmens das Bestreben vom Arbeitsministerium und Smata, subversive Elemente in den Fabriken auszuschalten, unterstützen wollte". In Deutschland ermittelte die Staatsanwaltschaft seit drei Jahren gegen Daimler-Chrysler in Argentinien.

Der Völkerrechtler Tomuschat sei in seiner im Auftrag von Daimler-Benz angestellten Untersuchung über die Verstrickungen von Mercedes in die Verbrechen der Diktatur zu dem Schluss gekommen, dass sich der Konzern nichts zu Schulden habe kommen lassen, berichtete die TAZ vom 10. Dezember 2003.

Während der argentinischen Militärdiktatur wurden 18 Mitglieder des unabhängigen Betriebsrats von Mercedes-Benz entführt, 15 davon wurden von den Militärs ermordet. Die Gruppe der ehemals entführten Mercedes-Arbeiter wirft dem Konzern vor, mit den Militärs zusammengearbeitet zu haben. Die Frankfurter Rundschau vom 8.12.2003 titelt hierzu in der Überschrift: "Gutachten spricht Daimler trotz Kollaboration mit Folterern frei"

2011 meldeten die Medien, dass sich der Automobilkonzern in den USA wegen des Vorwurfs der Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur in Argentinien in den 1970er Jahren vor Gericht verantworten müsse. 22 Argentinier klagten, dass der Konzern für das Verschwindenlassen von mindestens 14 Betriebsräten in den Jahren 1976 und 1977 verantwortlich sei.

Im gleichen Jahr verbreitete REPORT MAINZ am 9. Mai, dass "die Daimler AG noch vor kurzem Rüstungsgüter an Gaddafi & Co. geliefert" hatte. In diesem Fall handelte es sich um LKWs, "die schnell und zuverlässig" Gaddafis Panzer dorthin bringen, "wo er Aufständische zusammenschießen will".

2013 berichtete die Frankfurter Rundschau über ein Verfahren in den USA, in dem es um Vorwürfe der südafrikanischen Menschenrechtsorganisation Khulumani ging, wonach mit umgebauten Mercedes-Unimogs sogenannte Sicherheitskräfte des Apartheids-Regimes gegen Anti-Apartheids-Demonstranten vorging. Ein US-Gericht wies die Klage gegen Daimler ab.

Abschlussbemerkung:

Bei dieser intensiven Beteiligung und Förderungen am nationalsozialistischen Vernichtungskrieg ist es für uns mehr als verwunderlich, dass Daimler-Benz praktisch unbeschadet seine wirtschaftlichen Unternehmungen nach 1945 weiter betreiben konnte. Das Unternehmen selbst schreibt: "Die Alliierten im Westen lassen jedoch die Bänder bald wieder laufen, damit Daimler-Benz beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes helfen kann ... ." [38]


Q: [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [36] [37] [38], Abbildungen: [5] [8] [14]

 

zurück zur Übersicht