DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Orlemann, Heinrich (14.2.1909 Darmstadt - 11.7.1942 im KZ Sachsenhausen ermordet) war Sohn eines Bäckers in Arheilgen, besuchte das Realgymnasium und studierte anschließend Theologie in Tübingen, Göttingen und Gießen, wo er das theologische Examen im November 1933 mit Auszeichnung bestand.

Dissertation Orlemanns
Titelblatt der Dissertation Orlemanns 1935 [6]

Den Justizakten ist zu entnehmen, dass er eine Dissertation verfasst hat, die jedoch nach Bekanntwerden seiner Homosexualität - zu der er sich offen bekannte - und seiner Verurteilung nicht mehr veröffentlicht wurde. Das Thema seiner Doktorarbeit lautete "Die Lehre vom Wort Gottes bei Gabriel Biel". Sie wurde 1935 mit "gut" bewertet, jedoch wegen seiner Homosexualität handschriftlich mit "ausreichend" abgewertet.

Da Homosexuelle von den Nazis verfolgt wurden, geriet Orlemann in den Fokus der Nazi-Justiz, wurde mehrmals angeklagt und auch verurteilt. Seine Kirche, selbst gegenüber der Homosexualität ablehnend eingestellt, half ihm nicht wirklich. Der Pfarrer seiner Heimatgemeinde Arheilgen, Karl Grein, bemühte sich um ihn, konnte ihn aber nicht vor den Schergen der Nazis retten. Und so endete sein kurzes Leben wie das vieler anderer Schwuler im KZ.

In dem Artikel der Arheilger Post vom 19. Dezember 2002 "Gegen das Vergessen eines im KZ ermordeten Mitbürgers" berichtete der bekannte Arheilger Philipp Benz über das Schicksal Orlemanns und fragte, warum er und sein Schicksal in Vergessenheit geraten sei. Herr Philipp Benz regte an, sich des gewaltsamen Todes zu erinnern und ihm ehrend zu gedenken.

"Auch die Evangelische Kirche und speziell die Auferstehungsgemeinde in Arheilgen haben meines Wissen in der Vergangenheit den gewaltsamen Tod Heinrich Orlemanns nicht genügend wahrgenommen - jedenfalls nicht im Sinne einer ehrenvollen Würdigung eines Opfers des NS-Regimes"

schrieb Benz.

Der Darmstädter Gruppe "Homosexuelle und Kirche" ist es zu verdanken, dass zum Gedenken an ihn am 16. Oktober 2015 in der Messeler Straße 32 in Darmstadt-Arheilgen ein Stolperstein verlegt wurde, für den der Kirchenpräsident der EKHN, Dr. Volker Jung, die Patenschaft übernommen hatte. In seiner Rede erwähnte der stellvertretende Dekan im Dekanat Darmstadt-Land, Pfarrer Andreas Schwöbel, dass es "... hier in Arheilgen auch Zweifel und Unmut gegeben (habe), dass dieser Stolperstein für Heinrich Orlemann verlegt werden soll."

Am 6. Dezember 2015 erschien in der Evangelischen Sonntagszeitung der Artikel "Ich bin Menschenfreund - Ich war immer allein" von Marlene Broeckers. Darauf wandte sich unter dem 9. Dezember 2015 Universitätsprofessor a. D. Helmut Castritius in einer E-Mail im Namen des Arheilger Geschichtsvereins an die Verfasserin des Artikels, indem er unter anderem schrieb:

"Das mehrfache polizeiliche und juristische Vorgehen gegen und die Inhaftierung von Heinrich Orlemann erfolgten aufgrund von Vorgängen, die auch heute noch teilweise strafbar sind. Heinrich Orlemann hat seine Homosexualität in einer provozierenden Weise demonstriert, die eine Ehrung eigentlich ausschließen würde, wenn man sich die Strafakte ansieht und vornimmt. Wir vom Arheilger Geschichtsverein sahen jedenfalls - trotz seiner Ermordung durch die Nazis - keinen Anlaß dafür, ihn auf die selbe Stufe wie die Millionenmassen von Gewaltopfern der Nazis zu stellen und haben deshalb auch an der Stolpersteinsetzung überwiegend nicht teilgenommen, jedenfalls haben wir Heinrich Orlemann nicht unter denen aufgenommen, deren wir in unterschiedlicher Weise gedachten oder noch gedenken werden."

Der Verfasser dieser Zeilen war Professor für Geschichte an einer deutschen Universität!

Der nun entstandene Briefwechsel mit der Kirchengemeinde und der Leitung der Evangelischen Landeskirche zeigte, dass zwischen dem vorbildlichen Verhalten des Kirchenpräsidenten einerseits und der Haltung mancher Kirchengemeinden andererseits offenbar noch immer Differenzen existieren bis hin zu einer subtilen Vorurteilshaltung gegen über Homosexuellen.

Unter Hinweis auf den bereits erwähnten Artikel in der Arheilger Post wandte sich die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) am 25. Februar 2016 an die Auferstehungsgemeinde in Arheilgen mit der Frage, warum die Evangelische Kirchengemeinde die Anregung von Herrn Benz nicht aufgegriffen habe. Die am 1. März 2016 an die DFG-VK erfolgte Antwort lautete:

"Von diesem ganzen Vorhaben hat unsere Gemeinde eher zufällig erfahren: Das Dekanat hat uns informiert, dass die Stolpersteinverlegung an diesem Termin stattfinden soll. Sie sind nicht an uns herangetreten. Wir meinen, dass es angemessen gewesen wäre, sich mit uns zusammenzusetzen. Dann wäre manches möglich gewesen, was Sie jetzt anfragen. Wir haben uns bei Prof. Castritius informiert und festgestellt, dass man die ganze Sache sehr unterschiedlich betrachten kann. Ein Urteil können wir uns nicht erlauben - wir beabsichtigen das auch nicht. Wir wünschen Ihnen für Ihre Arbeit Gottes Segen!"

Der von der DFG-VK eingeschaltete Kirchenpräsident antwortete prompt im Sinne einer Aufklärung durch die zuständige Dekanin. Auf eine schriftliche Nachfrage nach Ablauf eines Vierteljahres bat die Dekanin die DFG-VK in einem Telefongespräch um noch etwas Geduld. Es entstand eine Pause und nichts passierte. Doch dann kam am 2. November 2016 eine E-Mail der Arheilger Kirchengemeinde folgenden Inhalts:

"Sie hatten vor längerer Zeit in obiger Angelegenheit geschrieben; auf unsere Antwortmail haben Sie sich an den Kirchenpräsidenten gewandt. Wir haben jetzt längere Zeit im Dekanat miteinander diskutiert und möchten Ihnen ergänzend noch folgendes sagen, damit kein Missverständnis aufkommt. Wir begrüßen die Auseinandersetzung mit der Geschichte, insbesondere mit unserer Geschichte hier in Arheilgen. Ich verweise auf die Veranstaltungen aus Anlass des Jubiläums "Karl Grein" vor einigen Jahren und die Publikation, die wir als Gemeinde mit dem Geschichtsverein zusammen veröffentlicht haben. Wäre die Initiative auf uns zugegangen, dann hätte auch hier mehr möglich sein können - das habe ich ja auch schon geschrieben. Den guten Worten von Andreas Schwöbel, die er bei der Verlegung gesagt hat, wollen wir uns in diesem Zusammenhang anschließen."

Die Frage der DFG-VK, warum die Kirchengemeinde den Vorschlag von Philipp Benz nicht aufgegriffen habe, blieb unbeantwortet trotz Einschaltung der Dekanin. Andreas Schwöbel hatte wohl recht, wenn er sagte:

"Ich verschweige nicht: Es hat hier in Arheilgen auch Zweifel und Unmut gegeben, dass dieser Stolperstein für Heinrich Orlemann verlegt werden soll."

Ein schändliches Zeichen für die Haltung manchen "Bodenpersonals" der Evangelischen Kirche und Anerkennung für die Haltung des Kirchenpräsidenten. Und beschämend für einen Geschichtsverein, in dem auch ehemalige Gymnasiallehrer und Oberbürgermeister Mitglied sind.


Q: [1] [2] [3] [4] [5], Abbildung: [6]

 

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