DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Hammer, Dr. Richard (7.2.1897 Darmstadt - 3.10.1969 Darmstadt) war ein hessischer Politiker.

Hammer legte am Ludwig-Georgs-Gymnasium in Darmstadt das Abitur ab und nahm danach am Ersten Weltkrieg als Freiwilliger teil. Als Sohn eines Arztes studierte auch er Medizin in Heidelberg und Innsbruck und eröffnete 1924 seine Arztpraxis in der Karlstraße 95 in Darmstadt-Bessungen. Er betrieb sie bis 1939.

Seit seiner Studienzeit war Hammer Anhänger der Lehren Friedrich Naumanns. Bis 1933 war er Mitglied der Deutschen Staatspartei. Nach einer Anzeige im sozialdemokratischen Hessischen Volksfreund vom 14.6.1932 rufen die Hessischen Demokraten (Liste 8) zu einer Öffentlichen Kundgebung zur Landtagswahl am Donnerstag, 16. des Monats, abends 8 Uhr im großen Saal der Krone in der Schustergasse auf. Angekündigt sind die Kandidaten Staatsrat Balser, Dr. med. Hammer und Rektor Reiber. Alle Republikaner und Anhänger der Demokratie seien willkommen.

Während des Krieges war er von 1939 bis 1945 Truppenarzt und Chefarzt verschiedener Sanitätseinheiten. In einem Vermerk des 5. Polizeireviers vom 17.1.1941, in dem es um "Ärztliche Maßnahmen bei Fliegeralarm" ging, heißt es "zur Wehrmacht einberufen".

Nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft war er Präsident der Ärztekammer Darmstadt. Das Haus in der Karlstraße 95, im Zweiten Weltkrieg zerstört, baute er nach 1945 wieder auf und betrieb erneut dort seine Praxis. Zur Rückkehr in die Politik veranlasste ihn nach eigener Aussage die große Bedrohung, die durch das erneute Auftauchen des gefährlichen Planes einer deutschen Einheits-Sozialversicherung im Jahr 1945 für alle deutschen Staatsbürger entstanden war.
Er wurde 1945 Mitglied der hessischen Liberal-Demokratischen Partei (LDP), wurde im gleichen Jahr hessischer Landtagsabgeordneter (1.12.1946 bis 9.12.1949) und zog am 7.9.1949 für die FDP in den Deutschen Bundestag ein.

Bereits 20 Tage nach seinem Einzug bringt Hammer (ein ehemaliges Mitglied der NSDAP-Schlägerbande SA, siehe Ausführungen unten) und die Rechtsstaatspartei FDP den Antrag Nr. 97 betreffend "Wiederherstellung der staatsbürgerlichen Gleichberechtigung" ein, der nichts anderes fordert, als dass "Verfahren der Entnazifizierung im Bundesgebiet mit sofortiger Wirkung beendet wird; ...". Dieser Antrag ist offenbar angenommen worden, denn bereits am 8.11.1949 fragt die FDP mit dem Mitunterzeichner Hammer mittels einer "Interpellation" nach, wann mit der Vorlage eines Gesetzentwurfes über die Regelung dieser Materie auf der Grundlage des Antrags Drucksache Nr. 97 zu rechnen sei. Fürstenau [16] wörtlich: "So war z. B. der Sprecher der FDP bei der Beratung eines einheitlichen Entnazifizierungsabschlusses im Bundestag, Dr. Hammer, ehemaliges Mitglied der SA".

Bundestagsdrucksache Nr. 97 vom 28.9.1949
Bundestagsdrucksache Nr. 97 vom 28.9.1949
Bundestagsdrucksache Nr. 172 vom 8.11.1949
Bundestagsdrucksache Nr. 172 vom 8.11.1949
Das Bundestagsmandat hatte er bis 6.10.1957 inne.

Im Bundestag war er Vorsitzender des Ausschusses für Fragen des Gesundheitswesens. Außerdem war Hammer Mitglied der 1. und 2. Bundesversammlung. In Darmstadt war er Mitglied der Stadtverordnetenversammlung von 1948 bis 1949. Im Darmstädter Echo vom 19. und 20. April 1950 nimmt Dr. Hammer als Darmstädter Bundestagsabgeordneter unter der Überschrift "Dreierlei Demontagen" unter anderem zur "Mitbestimmung - Symbol der Freiheit?" Stellung. Dessen Ausführungen nimmt der Herausgeber und Chefredakteur des Darmstädter Echos Hans J. Reinowski zum Anlass, in dem langen Kommentar "Herrn Hammers Meinung" auf Seite 2 darauf hinzuweisen, dass die Betriebsrätegesetze von den "von Deutschen gewählten Länderparlamenten" beschlossen wurden. "Die Landtage waren zu diesen Beschlüssen auf Grund der vom Volke angenommenen Länderverfassungen nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet", so Reinowski weiter.

Dr. Hammer wurde mir dem Silbernen Verdienstkreuz der Stadt Darmstadt und dem Großen Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Außerdem war er Träger der Paracelsus-Medaille der deutschen Ärzteschaft.

Was die ganzen Quellen, Nachrufe und Biographien verschweigen, wird erst öffentlich durch eine vom Hessischen Landtag in Folge der von der Fraktion der Linken vorgelegten Untersuchung "Braunes Erbe - NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter der 1. - 11. Wahlperiode (1946-1987)" von Hans Peter Klausch. Diese 2013 vorgelegte Untersuchung fand u. a. heraus, dass Dr. Hammer Mitglied der SA (Sturmabteilung) der NSDAP war (Reserve II). Zur Erinnerung: Die SA wurde als parteieigener Ordnerdienst zum Schutz von Veranstaltungen der NSDAP aufgestellt. Mannschaften der SA kamen in Konzentrationslagern (KZ) zum Einsatz wie auch beim Boykott jüdischer Geschäfte zum Beispiel am 1. April 1933.
Die Frage, was ihn von den Demokraten zur SA führte, bleibt leider unbeantwortet. Auch relativ neu ist die Information, dass offenbar Dr. Hammer als Präsident der Darmstädter Ärztekammer die Zulassung des Arztes, Theologen und in der Friedensarbeit Aktiven Dr. Richtzenhain als praktischer Arzt trotz wiederholter Anträge versagte. Erst auf Grund einer Anfrage der KPD-Fraktion im Hessischen Landtag wurde dies öffentlich. Die Lizenz wurde ihm am 12. Mai 1947 erteilt. "Die eingetretene Verzögerung des Entscheides ist auf Anschuldigungen zurückzuführen, die umfangreiche Erhebungen erforderlich machten" antwortete der damalige Innenminister Zinnkann.

Hammer hat auch im Meldebogen (auf Grund des "Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" vom 5.3.1946) falsche Angaben gemacht. So gibt er dort wahrheitswidrig an, in keiner NS-Organisation Mitglied gewesen zu sein. Er bezeichnete sich selbst als "stadtbekannter Antifaschist" (!). In einem Personalbogen der Nationalsozialisten jedoch ist zu lesen, dass seine Abstammung "deutschblütig" sei, er der "Parteigliederung SA Res. II" angehöre und "Anwärter seit 16.1.1939" sei. Verständlich, dass Hammer im Bundestagswahlkampf 1953 mit einem Flugblatt wirbt, in dem, überschrieben mit "Darmstadts Kandidat erklärt:" in Punkt 2 (von 7 Punkten) fordert:

"Der Entnazifizierungsrummel ist noch nicht ganz vorüber. Auch Spruchkammer-Akten gehören in den Ofen! Viele Nachkommen der Überlebenden werden noch hundert Jahre lang die männlichste Empfindung entbehren: Politische Begeisterung!"

Und in Punkt 6 fordert er "Die Wiedererrichtung des Deutschen Reiches mit der Reichshauptstadt Berlin...".

Wenn das mal kein klares Signal an die ganzen ehemaligen braunen Schergen in der Stadt Darmstadt war, die in der Nazi-Zeit eine braune Hochburg war, worauf Oberbürgermeister Jochen Partsch völlig berechtigt wiederholt hingewiesen hat.

Aus Anlass seines Todes erschienen Zeitungsartikel und viele Nachrufe. Für den FDP-Landesverband Hessen bleibt das Ehrenmitglied der FDP "ein Vorbild eines liberalen Menschen und Politikers". Der FDP-Kreisverband trauert "um unseren Ehrenvorsitzender. Er war uns Mentor und Vorbild der Darmstädter Liberalen. Sein aufopferungsvolles Wirken für die Bürger strahlte weit über seine engere Heimat hinaus". Im von Oberbürgermeister Dr. Engel und Stadtverordnetenvorsteher Otto Schmitt unterzeichneten Nachruf heißt es u. a. er "hat entschiedenen Anteil daran, nach der Diktatur, dem Terror und dem Chaos des Krieges unserem Staat eine freiheitlich-demokratische Ordnung zu geben. ... Die Bürgerschaft wird seiner stets in Dankbarkeit und Anerkennung gedenken."

Zehn Jahre nach seinem Tod wurde der Hammerweg in Bessungen nach diesem verdienten "liberalen Politiker" - so zu lesen in "Darmstadts Straßennamen" von Georg Schäfer [20] - benannt.

Im 2006 erschienenen Stadtlexikon Darmstadt [19] wird Hammer unter Ausblendung seiner SA-Mitgliedschaft mit einem längeren Artikel gewürdigt.

Hammers Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Darmstadt.

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