DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Landgerichtsgefängnis Rundeturmstraße
Nach der sogenannten Machtergreifung in
Hessen im März 1933 durch die Nazis inhaftierte man in diesem Gefängnis
als erstes die politische Opposition (Kommunisten, Sozialdemokraten und
Gewerkschafter). Aber auch inhaftierte Juden warteten hier auf ihre
Verurteilung und/oder den Transport in ein Arbeits- oder
Konzentrationslager. Ernst Trier, Möbelfabrikant (siehe Arisierung),
von den Nazis willkürlich verhaftet, beging dort am 17.9.1938
Selbstmord.
-
- Landgerichtsgefängnis Rundeturmstraße Eingangsportal 1970 [7].
Ein Mauerrest mit einer Gedenktafel steht heute noch.
-
- Landgerichtsgefängnis Rundeturmstraße 1960/1961 [7],
unten: Rundeturmstraße, rechts: Merckstraße, oben: Alexanderstraße
Später wurde das
Gefängnis auch für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene genutzt, die
versucht hatten zu fliehen oder "widerrechtlich" Kontakt zu Deutschen
hatten. Mehrere Gefangene berichteten unabhängig voneinander von einem
jungen polnischen Zwangsarbeiter, der, nachdem er schwer misshandelt
worden war, ohne ärztliche Versorgung und Nahrungszuteilung tagelang
auf dem Gang liegen gelassen wurde, bis er schließlich seinen schweren
Verletzungen erlegen sei.
Seit Ende 1939 bis 1945
befand sich in der Rundeturmstraße Nr. 6 im Nordbau auch das
Darmstädter Gestapo-Gefängnis, das sich
zuvor in der Riedeselstraße 64 befand.
Im Gefängnis Rundeturmstraße wurden nicht
nur Deutsche, sondern seit Beginn des Zweiten Weltkrieges auch
Ausländer inhaftiert. Es lassen sich Insassen aus 24 Nationen
nachweisen, wobei die Mehrheit der Inhaftierten aus Polen (716
Personen), aus der Sowjetunion (437 Personen) und aus Frankreich (147
Personen) stammte. Der Grund der Verhaftungen war häufig Kontakte zur
deutschen Bevölkerung oder aber sogenannte Arbeitsverweigerung. Einer
der verhafteten polnischen Zwangsarbeiter, der aufgrund von
Lebensmitteldiebstahl inhaftiert worden war, erhängte sich im April
1942 in diesem Gefängnis.
Viele Häftlinge der Gestapo Darmstadt wurden in Arbeitskommandos eingesetzt.
Sogenannte "Priviligierte" und Juden aus "Mischehen" kamen in das AEL
(Arbeitserziehungslager) Heddernheim in Frankfurt. Dort starben aus
diesem Kreis wahrscheinlich 10 Personen, weitere 30 bis 40 Personen
wurden weiter nach Auschwitz oder Buchenwald deportiert.
Selbst
wer von den Verfolgten das Glück hatte zu überleben, wird die
Verachtung, Misshandlung und Folter nicht vergessen haben, denen sie im
Gefängnis Rundeturmstraße durch das Naziregime ausgesetzt waren.
Neuere
Untersuchungen zeigten, dass Inhaftierte dieses Gefängnisses auch als
Zwangsarbeiter verpflichtet wurden, so zum Beispiel in der
Rüstungsfirma Hans Georg Heymann. Diese Tatsache rechtfertigt, dass das
Gefängnis in der Rundeturmstraße in der Literatur auch als eines von 42
Außenlagern des im Elsaß gelegenen Konzentrationslagers
Natzweiler-Struthof bezeichnet wird. Heymanns Betrieb - Heymann hat
Werke am Exerzierplatz, in der Neckarstraße und in Griesheim betrieben
- wurde in der Darmstädter Brandnacht
am 11./12. September 1944
zerstört. Heymann, so die neueren Erkenntnisse, habe die Einrichtung
dieses Konzentrationslagers betrieben. Wegen der Zerstörungen seiner
Betriebe wurden die Produktionsstätten in ein unterirdisches
Marmoritwerk bei Bensheim-Auerbach verlegt. Dort sei auch das
ursprünglich in Darmstadt geplante und provisorisch betriebene KZ
errichtet worden. Hören
Sie hier
eine Radiosendung
von Wolfgang Stapp aus dem Jahre 2007 zu diesem Thema [8].
Das Gefängnis, von Georg Moller
und Franz Heger um 1830 erbaut, wurde auch nach 1945 weiter als solches
genutzt und schließlich 1970 abgerissen. Die freie Fläche war bis 1995
ein Parkplatz der Technischen Hochschule (heute Technische Universität
Darmstadt). Heute stehen dort Forschungsinstitute.
Seit
3. Februar 1995 weist eine Gedenktafel
an einem alten Mauerrest in der
Rundeturmstraße 12 auf die hier begangenen Verbrechen hin.
Q:
[1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6],
Fotos:
[7],
Mp3: [8]
zurück zur Übersicht