DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Böhm, Bruno
(geb. 30.11.1902 Neuwiese/Erzgebirge) Böhm besuchte nach der
Volksschule von 1917 bis 1920 eine Hotelfachschule in Chemnitz. Danach
arbeitete er 1 ½ Jahre als Grubenarbeiter. Im Mai 1922 begann er eine
Ausbildung an der Polizeischule in Meissen und konnte im Dezember 1922
eine Stelle als Polizeiunterwachtmeister beim Polizeipräsidium Dresden
antreten. Dort wurde er schließlich zum Polizeihauptwachtmeister
ernannt. Auf Grund freiwilliger Meldung wurde er am 1. Mai 1935 zur
Kriminalpolizei versetzt, bei der er nach 9 monatigem Probedienst als
Kriminaloberassistent angestellt wurde. Am 1. August 1938 wurde er zur
Geheimen Staatspolizei nach Darmstadt versetzt.[2] Dort arbeitete er
nach Durchlauf verschiedener Abteilungen als Referent im Judenreferat
bis 1943 und war mit verantwortlich für die Deportationen hessischer
Juden. Danach leitete er das Referat Nachrichten bis März 1945. Dieses
Referat war zuständig für die Verwaltung der "Nachrichten" und die
Bearbeitung der Berichte der V-Leute.
Die Stammkarte
für das Rechnungsjahr 1944 der Landeshauptkasse Darmstadt weist ihn als
verheirateten Kriminalsekretär mit einem am 25.7.1939 geborenen Kind
aus.
Mitglied der NSDAP war er nach eigenen
Angaben vom 1.Januar 1941 an, außerdem gehörte er auch der NSV, dem RKB
und dem Reichsbund der deutschen Beamten an. [5]
In
den Darmstädter Adressbüchern von 1939 und 1940 ist er mit dem
folgenden Eintrag enthalten: "Böhm, Bruno, Krim. Ob. Ass., Bessunger
Straße 202". Im Adressbuch von 1942 ist der Dienstgrad nicht mehr
aufgeführt.
[9]
Böhm, "wohnhaft z. Zt. im
Internierungslager Darmstadt", wurde durch die Spruchkammer Darmstadt
(Stadt) am 26.8.1948 in die Gruppe 1 der Hauptschuldigen eingereiht.
Ihm wurden folgende Sühnemaßnahmen auferlegt:
"1. Er
wird auf die Dauer von 5 Jahren in ein Arbeitslager eingewiesen, um
Wiedergutmachungs- und Aufbauarbeit zu verrichten. Von der verbüßten
Internierungshaft werden ihm 3 Jahre hierauf angerechnet.
2.
Sein Vermögen wird zu Gunsten des Wiedergutmachungsfonds eingezogen.
3.
Er ist dauernd unfähig, ein öffentliches Amt einschl. des Notariats und
der Anwaltschaft zu bekleiden.
4. Er verliert seine
Rechtsansprüche auf eine aus öffentl. Mitteln zahlbare Pension oder
Rente.
5. Er verliert das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das
Recht, sich irgendwie politisch zu betätigen und einer politischen
Partei als Mitglied anzugehören.
6. Er darf weder Mitglied
einer Gewerkschaft, noch einer wirtschaftlichen oder beruflichen
Vereinigung sein.
7. Es wird ihm auf die Dauer von 15 Jahren
untersagt:
a. in einem freien Beruf od. selbständig in einem
Unternehmen od. gewerblichen Betrieb jeglicher Art tätig zu sein, sich
daran zu beteiligen oder die Aufsicht oder Kontrolle hierüber auszuüben;
b.
in nicht selbständiger Stellung anders als in gewöhnlicher Arbeit
beschäftigt zu sein;
c. als Lehrer, Prediger, Redakteur,
Schriftsteller oder Rundfunk-Kommentator tätig zu sein.
8. Er
unterliegt Wohnungs- und Aufenthaltsbeschränkungen und kann zu
gemeinnützigen Arbeiten herangezogen werden.
9. Er verliert
alle ihm erteilten Approbationen, Konzessionen und Berechtigungen,
sowie das Recht, einen Kraftwagen zu halten.
10. Der
Haftbefehl wird aufrecht erhalten, weil Fluchtverdacht besteht.
11.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen auferlegt. Der
Streitwert wird mit 3.720,-- Deutsche Mark festgesetzt." [4]
In
der Begründung des Spruchkammer-Bescheids wird ihm vor allem
vorgeworfen, in seiner Funktion als Referent bei der Gestapo Darmstadt,
also als Mitglied einer verbrecherischen Organisation, in großem
Umfange an Verbrechen, die gegen die Juden begangen worden seien,
beteiligt gewesen zu sein. "Die Juden sind in Darmstadt ebenso wie in
anderen Orten gewaltsam aus ihren Wohnungen gezerrt worden, ihre
Wohnungen und Geschäfte wurden zerstört, sie selbst wurden verschleppt
und zum größten Teil ums Leben gebracht". [5]
Das
Schwurgericht des Landgerichts Darmstadt hatte am 2. November 1949 für
Recht erkannt:
"Der Angeklagte Bruno Böhm,
ehemaliger Kriminalsekretär, geb. am 30.11.1902 zu Neuwiese i.
Erzgebirge wird wegen Freiheitsberaubung im Amt in Tateinheit mit
Verfolgung Unschuldiger §§ 341, 239, 344, 72 StGB und wegen
Körperverletzung im Amt §340, 74 StGB zu einer Gesamtzuchthausstrafe
von 3 Jahren und 1 Monat verurteilt. Daneben wird auf die Dauer von 3
Jahren auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt".[2]
Die
Verurteilung erfolgte wegen einer gegenüber dem früheren
Landgerichtsrat Dr. Callmann im Herbst 1941 begangenen
Freiheitsberaubung im Amt mit Todesfolge in Tateinheit mit Verfolgung
Unschuldiger und wegen einer im Frühjahr 1943 gegenüber der Frau Rosa
D. begangenen Körperverletzung im Amt. Die Verurteilung wegen
Körperverletzung im Fall D. wurde rechtskräftig, im Fall Callmann wurde
Revision eingelegt. In diesem Fall war ihm vorgeworfen worden, dass er
"ein Feindflugblatt aus einer persönlichen feindlichen Einstellung zu
Callmann heraus vorher in den Schreibtisch (Callmanns) hineingelegt hat
oder hat hineinlegen lassen, um diesen von Darmstadt wegbringen zu
lassen, was dann auch geschah."
Eine Zeitung vom
4.11.1949 berichtete unter der Überschrift: "Zwei ermordete Richter
klagen an - Gestapo schmuggelte Flugblatt ein" über Böhms Verurteilung
und die seines Nachfolgers Albert Dengler. Darin heißt es unter anderem:
"Während
der ganzen Verhandlung waren zwei Tote als Zeugen im Gerichtssaal, zwei
Richter des ehemaligen höchsten hessischen Gerichtes... , der ehemalige
Oberlandesgerichtsrat Dr. Hans Mayer und der Landgerichtsrat Dr.
Callmann. Beide waren Juden, die in den ersten Jahren nach 33 noch
einen gewissen Schutz genossen, weil sie Kriegsteilnehmer im Ersten
Weltkrieg und mit hohen Orden ausgezeichnet waren. Beide lebten in
sogenannten Mischehen. In Pension wurden sie trotzdem geschickt. ...
Mayer wurde 1943 verhaftet, kam zunächst ins Darmstädter Gefängnis und
wurde dann, als dieses überfüllt war, in das Arbeits- und Einsatzlager
Heddernheim überwiesen. (*) ... Dr. Callmann bekam die unangenehmen
Seiten der Judenverfolgungen erstmals 1940 zu spüren. Damals mußte er Straßen kehren, Schnee
schaufeln und erniedrigende Arbeiten ausführen." Dabei sei er von Böhm
beaufsichtigt worden und habe von ihm Geld erpresst. In einem Verfahren
gegen Callmann wegen aktiver Bestechung sei er jedoch wegen erwiesener
Unschuld freigesprochen worden, was Böhm sehr ärgerte. Callmann sei
noch in Schutzhaft verblieben, danach mußte er sich täglich bei der
Gestapo melden. Obwohl Haussuchungen erfolglos geblieben seien, fand
man plötzlich in Callmanns Schreibtisch ein Flugblatt, wie es damals
von alliierten Fliegern abgeworfen wurde. Dies führte zu Callmanns
Verhaftung und weiterem Transport nach Polen, wo er "in der Nähe von
Minsk ermordet" worden sei. Das Gericht stellte fest, dass Böhm dieses
Flugblatt eingeschmuggelt habe.[7]
Das Schwurgericht
des Landgerichts Darmstadt mußte sich mit dem Urteil vom 2. November
1949 erneut beschäftigen und hat am 23. Mai 1951 für Recht erkannt:
"Der
Angeklagte wird wegen Beihilfe zur Verfolgung Unschuldiger in
Tateinheit mit Beihilfe zur Freiheitsberaubung im Amt von mehr als
einer Woche Dauer unter Einbeziehung der durch Urteil des
Schwurgerichts Darmstadt vom 2. November 1949 wegen Körperverletzung
erkannten Gefängnisstrafe von 3 Monaten zu einer Gesamtstrafe von 2
Jahren und 7 Monaten Zuchthaus verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte
werden ihm auf die Dauer von drei Jahren aberkannt. Auf die erkannte
Zuchthausstrafe wird die seit 21. April 1949 erlittene
Untersuchungshaft angerechnet". [1]
Durch Beschluss
des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. Januar 1952 wurde die
Revision des Angeklagten Böhm gegen das Urteil des Schwurgerichts
Darmstadt vom 23. Mai 1951 als offensichtlich unbegründet verworfen. [3]
Böhm
wurde aber bald nach Strafantritt begnadigt und freigelassen.
1975
erfolgte die Einstellung eines weiteren Ermittlungsverfahrens im
Zusammenhang mit den Deportationen aus Darmstadt aus Mangel an Beweisen.
Über
seinen weiteren Verbleib liegen uns leider keine Angaben vor.
(siehe auch Robert Mohr)
(*) Das Lager muß korrekt "Arbeits- und Erziehungslager Heddernheim" in
Frankfurt heißen.
Q:
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