In einer
stillgelegten
Papierfabrik, die einem jüdischen Osthofener Fabrikanten gehörte,
befand sich zwischen März 1933 und Juli 1934 das erste
Konzentrationslager des damaligen Volksstaates Hessen (siehe Fotos oben
[7]). Zunächst als
"wildes Lager" von örtlichen SA- und SS-Männern für politische Gegner
am 6. März 1933 eingerichtet, wurde es durch den seit dem 13. März 1933
als "Staatskommissar für das Polizeiwesen in Hessen" zuständigen Dr. Werner Best auf dem
Wege einer Durchführungsbestimmung der "Reichstagsbrandverordnung" zum
1. Mai 1933 offizielles Konzentrationslager. (siehe Faksimile unten [9])
Mindestens
250 Personen, die meisten davon aus Osthofen, Worms, Alzey und
Umgebung, waren bereits im März und April in Fußmärschen oder größeren
Sammeltransporten mit LKWs in dieses Konzentrationslager gebracht
worden.
Best ernannte mit Anordnung vom 1. Mai den
Osthofener
SS-Sturmbannführer Karl d’Angelo, vor 1933 zeitweise Vorsitzender der
NSDAP-Ortsgruppe, zum ehrenamtlichen Lagerleiter und unterstellte ihn
der Dienstaufsicht des Polizeiamtes Worms.
Anfangs
waren die
äußeren Umstände der Haft zusätzlich erschwert, weil es für die
Häftlinge weder Decken noch Betten oder sonstige Möbel gab. Sie mussten
auf dem blanken Betonboden schlafen, nur unzureichend geschützt durch
etwas Stroh. Auch gab es keine Möglichkeit, die Kleidung zu wechseln.
Tag und Nacht musste man die Sachen tragen, in denen man eingeliefert
wurde. Erst nach und nach besserten sich diese Verhältnisse. Unter
Anleitung eines Mithäftlings, des Schreinermeisters und
SPD-Landtagsabgeordneten Johann (Jean) Beckenbach bauten sich die
Häftlinge Schlafpritschen, Tische und Bänke. Jede Verbesserung ihrer
Lage mussten sich die Häftlinge selbst organisieren.
Im Lager Osthofen waren nach Schätzungen zwischen 2.000 und 3.000
"Schutzhäftlinge" eingesperrt, die dort zwischen sieben Tagen und 15
Monaten verbringen mussten. Die Häftlinge waren überwiegend politische
Gegner der Nazis und gehörten einer der beiden Arbeiterparteien SPD und
KPD an, ab Sommer 1933 aber auch Juden, Oppositionelle aus den Reihen
der Kirche und andere missliebige Personen. Aus den Bezirk Darmstadt
waren die uns bekannten Carlo
Mierendorff, Karl Schreiber und Philipp
Benz in Osthofen inhaftiert.
In der Presse (siehe Foto rechts [8]) wurde Osthofen
als "Umerziehungslager für verwilderte Marxisten" gefeiert und als "hervorragend ausgestattete Besserungsanstalt" dargestellt, in der man mit "humansten Mitteln
versucht, die verführten Volksgenossen wieder ihrem Volke zuzuführen".
Zwar
kam es in Osthofen gegenüber den politischen Häftlingen nicht zu
solchen Exzessen wie sie in dieser Zeit z.B. im Konzentrationslager
Dachau schon üblich waren, doch auch hier waren Gewalt und
Unterdrückung praktisch an der Tagesordnung.
Zuerst
waren in
Osthofen nur Männer aus der näheren Umgebung eingesperrt. Später, nach
dem Erlass vom 1. Mai 1933, kamen die sogenannten "Schutzhäftlinge"
praktisch aus ganz Süd- und Rheinhessen. Der Weg nach Osthofen ging in
der Regel über die "Braunen Häuser", Gestapo-Gefängnisse oder SA-Keller
größerer Städte. Die Häftlinge kamen nach Zeugenaussagen in den meisten
Fällen mit Anzeichen körperlicher Misshandlung in Osthofen an.
Als
Orte der Misshandlung sind bekannt:
- Amtsgerichtsgefängnis in
Alzey
- Polizeipräsidium in Darmstadt
-
Brauereikeller Dieburger Straße (heute Biergartenkeller Dieburger
Straße) in Darmstadt
- Landgerichtsgefängnis
Rundeturmstraße in Darmstadt
- Schutzhaftgefängnis
der
SS (Gefängnis Riedeselstraße) in Darmstadt
-
Polizeigefängnis Klarastraße in Mainz
- Ostheimer Hof
(SA-Hauptquartier) in Mainz
- das "Braune Haus" in Worms
-
Polizeipräsidium in Worms
Übereinstimmend
wird von allen überlebenden Häftlingen die von Anfang an besonders
schikanöse und menschenverachtende Behandlung der in Osthofen
inhaftierten Juden beschrieben. Sie wurden vom Lagerpersonal als
"Untermenschen" missachtet, misshandelt und gedemütigt. Zum Beispiel
mussten sie die im Lager befindliche Jauchegrube mit Konservendosen
oder
ihrem eigenen Essgeschirr entleeren. Die Jauche wurde dann von anderen
Häftlingen auf den daneben liegenden Misthaufen gegossen, von wo aus
sie immer wieder in die Grube zurücklief. Für die Juden gab es einen
besonderen Stacheldrahtverhau, in dem sie zur Belustigung der
Wachmannschaft bis zur totalen physischen Erschöpfung im Kreis
herumlaufen mussten.
Berichtet wird auch über
Korruption. Wer
über genügend Geldmittel verfügte, konnte sich bei der Lagerleitung
Vergünstigungen bis hin zur Entlassung aus dem Lager erkaufen. Diese
Tatsache darf allerdings nicht verwundern. Ähnliche Vorgänge haben sich
im ganzen Reich in fast allen Lagern abgespielt. Wer dies aber
öffentlich bekannt machte, musste mit empfindlichen Strafen rechnen.
Ein
ehemaliger Osthofen-Häftling, der einen solchen Vorgang nach seiner
Haftzeit anprangerte (ein jüdischer Häftling hatte die Lagerleistung
bestochen und war daraufhin entlassen worden) wurde zu einem Jahr und
neun Monaten Gefängnis verurteilt.
Bei ihrer
Entlassung mussten
die Häftlinge unterschreiben, dass sie im Lager nicht geschlagen worden
waren und dass sie sich künftig nicht gegen die "Regierung der
nationalen Erhebung" betätigen würden. Damit war der Terror aber noch
nicht beendet. Viele mussten sich danach bis zu zweimal täglich auf der
heimatlichen Bürgermeisterei melden. Sie wurden beruflich degradiert
oder verloren ihre Arbeitsstelle ganz, falls dies nicht schon vorher
aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom
7. April 1933 geschehen war. Juden waren darüber hinaus noch durch
Boykottmaßnahmen und Sonderregelungen an der Ausübung ihres Berufes
gehindert.
Im Zuge der angestrebten Zentralisierung
der
Konzentrationslager beauftragte Heinrich Himmler im Mai 1934 Theodor
Eicke, Kommandant des KZ Dachau, die bestehenden Konzentrationslager zu
übernehmen, umzuorganisieren und zu vereinheitlichen. Damit einher ging
die Auflösung der meisten kleineren KZ-Lager. Als eines der letzten
frühen Lager wurde das KZ Osthofen im Juli 1934 aufgelöst.
In
Anna Seghers Roman "Das Siebte Kreuz" (1942) findet das KZ Osthofen
besondere Erwähnung.
1989 wurde das Gebäude unter
Denkmalschutz gestellt. 1991 erwarb das Land Rheinland-Pfalz die
Liegenschaft mit dem Ziel, hier eine Gedenkstätte einzurichten.
Seit
2002 haben das Referat Gedenkarbeit
und das NS-Dokumentationszentrum
Rheinland-Pfalz der Landeszentrale
für politische Bildung ihren Sitz in
der Gedenkstätte. Mit der Eröffnung der Dauerausstellung "Verfolgung
und Widerstand in Rheinland-Pfalz 1933-1945" im Mai 2004 war der Ausbau
der Gedenkstätte KZ Osthofen beendet. Heute arbeiten die Landeszentrale
für politische Bildung Rheinland-Pfalz und der
Förderverein Projekt
Osthofen dort Hand in Hand.
Weitere Informationen finden sich im Stichwort Lager.
Q: [1]
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[6], Fotos:
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