DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Gilmer, Julius Ormiston (7.12.1880 Mannheim - 19.2.1959) wechselte nach dem Besuch der Volksschule auf das Gymnasium in Mannheim und studierte nach dem Abitur 1898 in Heidelberg, München und Gießen Rechtswissenschaften. Das 1. juristische Staatsexamen legte Gilmer 1902 in Gießen, die 2. Staatsprüfung 1905 in Darmstadt ab. In seinem Entnazifizierungsfragebogen gibt Gilmer auch an, dass er der Verbindung Karlsruhesia Heidelberg von 1898 bis 1938 angehört habe. Wegen der politischen Haltung der Verbindung sei er 1938 ausgetreten.

Von 1906 bis 1907 arbeitete er in der Darmstädter Anwaltskanzlei Neuschäffer und wechselte am 1.7.1907 in den hessischen Justizdienst als Gerichtsassistent, später als Amtsanwalt und stellvertretender Amtsrichter (siehe auch hier).

Vom 1. September 1915 bis Herbst 1918 war Gilmer zum Kriegsdienst eingezogen. Für seine Teilnahme am Krieg erhielt er das Frontkämpferabzeichen als Erinnerungszeichen, sonst jedoch keine weiteren Auszeichnungen.

Nach dem Krieg war er zunächst kurze Zeit juristischer Mitarbeiter im Hessischen Finanzministerium, bevor er am 1. Juli 1919 seine berufliche Tätigkeit im hessischen Justizdienst als Amtsgerichtsrat wieder aufnahm. Von 1926 bis 1932 war Gilmer Staatsanwalt in Darmstadt, danach Amtsgerichtsrat, ebenfalls in Darmstadt.

Neben seiner Tätigkeit im Justizdienst engagierte sich Gilmer in verschiedenen Organisationen, die nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten verboten oder aufgelöst wurden.

So gehörte er
- von 1922 bis zum Verbot 1933 dem Republikanischen Richterbund an.
- von 1928 bis zum Verbot 1933 der Deutschen Friedensgesellschaft an, deren 1. und 2. Vorsitzender er auch zeitweise war.
- von 1919 bis zum Verbot 1933 der Deutschen Demokratischen Partei, später Deutsche Staatspartei an. Hier war er zeitweise Vorstandsmitglied.

Auch dadurch war er den Nazis als Gegner bekannt und bekam entsprechende Repressionen und mehr zu spüren.

So berichtete der Datterich (Nr. 13/1933) von einem Überfall auf den Landgerichtsrat und früheren Staatsanwalt Dr. Gilmer in der Nacht vom 17. auf den 18. März:

"Gegen 2 Uhr wurde an seiner Wohnungstür geklopft mit dem Bemerken, die Polizei sei da. Als der Staatsanwalt einen Ausweis verlangte, wurde mit gewaltsamem Öffnen der Türe gedroht; es wurden hierzu auch schon Vorbereitungen getroffen. Der Landgerichtsrat lief nun ans Fenster und rief laut hinaus: Hilfe, Polizei, es sind Einbrecher im Haus! Daraufhin antworteten einige Leute auf der Straße, die braune Kleidung anhatten: Es hat keinen Zweck, nach der Polizei zu rufen, wir sind selbst Polizei! An der Wohnungstür wurde indessen mit Brecheisen gearbeitet, weshalb der Richter die Tür öffnete. Vier bis fünf Leute in SA-Uniform mit der Binde der Hilfspolizei drangen dann in die Wohnung ein, führten Dr. Gilmer aus dem Haus bis an die Mauer des alten Friedhofs, wo man ihn mit dem Ruf "Das ist für die Friedensgesellschaft" in schwerster Weise mißhandelte. Unter den Folgen der Knüppelhiebe und Fußtritte wird er noch längere Zeit zu leiden haben. Die Leitung der NSDAP stellt hierzu fest, daß es sich nicht um einheimische SA-Leute gehandelt hat; es wird mitgeteilt, daß hier Provokateure am Werk waren, die das Ansehen der SA schädigen wollten.“

Am 1. April 1933 wurde er, so gibt Gilmer nach 1945 an, erneut nachts von als Polizei getarnten SA oder SS-Leuten aus der Wohnung geholt und auf der Straße verprügelt.

Seine Entlassung aus dem Staatsdienst aus politischen Gründen verfügte Gauleiter Sprenger mit sofortiger Wirkung zum 20. Oktober 1933. Nach der Entlassung arbeitete Gilmer als Rechtsanwalt mit Kanzlei in der Hobrechtsraße 1. Aber auch in seiner Anwaltstätigkeit wurde er 1935 von der Gestapo wegen politischer Ausführungen in einem Anwaltsschriftsatz verwarnt und sollte wegen Auflehnung gegen den Präsidenten der Anwaltskammer disziplinarisch bestraft werden.

Für den einberufenen Notar Albrecht Hartmann aus Bensheim wurde Gilmer 1940 als dessen Vertreter für die Dauer der Einberufung von LG-Präsident Colnot am 20.10.1940 vereidigt und musste diesen Eid sprechen:

"Ich schwöre. Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, Treue halten, die Gesetze beachten und das mir übertragene Amt unparteiisch und gewissenhaft verwalten, so wahr mir Gott helfe."

Von der Spruchkammer wurde Gilmer folgerichtig als nicht betroffen eingestuft.

Nach 1945 nahm Gilmer seine Tätigkeit im hessischen Justizdienst wieder auf und wurde schließlich am 1. September zum Präsidenten des Landgerichts Darmstadt berufen. Vom 15. Juli 1946 bis 9. August 1946 war Gilmer auch Mitglied der Verfassungsberatenden Landesversammlung Groß-Hessen. Von 1948 bis 1952 gehörte er der Fraktion der CDU im Darmstädter Stadtparlament an und hatte von in den Wahlperioden 1948 und 1950 (bis 1952) den Vorsitz des Rechtsausschusses inne.

In der Evangelischen Landeskirche Hessen und Nassau gehörte er dem Kirchlichen Disziplinarhof als Vorsitzender an.

Auch sein politisches Engagement setzte Gilmer nach 1945 fort. So lesen wir im Darmstädter Echo vom 21.Januar 1947, dass in Darmstadt eine Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft gegründet wurde, deren Vorstand aus Schriftleiter Dang, Landgerichtsdirektor Gilmer, Bürgermeister Reiber, Schriftführer Sieger, Kassenwart Müller und den Beisitzern Fröhlich und Brambach bestehen würde.

Die Verhandlungen gegen die Darmstädter Synagogenbrandstifter Kissinger und Mahla im Oktober 1946 leitete Landgerichtsdirektor Gilmer.

Am 1. Januar 1950 wurde der 70jährige Gilmer in den Ruhestand versetzt.

Gilmer wohnte laut Adressbuch von 1952/53 in der Jahnstraße 130. Heute ist dies der Sitz der Burschenschaft Rheno-Markomannia.

Gilmer hatte vier Kinder:
Vera, geboren 10.4.1913
Gertrud, geboren 16.7.1915
Magdalena, geboren 4.9.1919 und
Elfriede, geboren 25.12.1923


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