DFG-VK Darmstadt "Von Adelung bis Zwangsarbeit - Stichworte zu Militär und Nationalsozialismus in Darmstadt"
Internierungslager Darmstadt Im Frühjahr 1945 wurde auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne des 6. Dragoner-Garde-Regiments in Darmstadt das Kriegsgefangenenlager PWTW A 21 für 25.000 deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Schrittweise wurde aus dem Kriegsgefangenenlager für deutsche Soldaten ein Interniertenlager. Vom 16. Februar 1946 bis zum 30. September 1948 existierte es "Am Kavalleriesand".

Auf demselben Gelände lag auch vom November 1946 bis 31. Oktober 1950 ein Arbeitslager, das "Durchgangsarbeitslager Darmstadt" (DALD). Es war das erste und größte hessische Arbeitslager und wurde auch als letztes in Hessen geschlossen. Die Lebensbedingungen entsprachen denen im Interniertenlager.

Organisatorisch zählte ein separates Frauenlager zum Interniertenlager, das am 15. August 1947 eröffnet und am 29. September 1949 aufgelöst wurde. Interniert waren Funktionärinnen des Bundes Deutscher Mädel (BDM), der Nationalsozialistischen Frauenschaft (NSF) und Mitarbeiterinnen der SS und Gestapo.

Das Lager erstreckte sich über eine Fläche von etwa einem Quadratkilometer entlang der Rheinstraße stadtauswärts. Gesichert war das in vier Camps unterteilte Gelände mit einem doppelten 2,5 Meter hohen beleuchteten Stacheldrahtzaun mit 24 Wachtürmen. Die Camps waren voneinander ebenfalls durch Stacheldraht abgesichert. Die Wachmannschaften waren angewiesen, jeden ohne Vorwarnung zu erschießen, der einen vor dem Außenzaun angebrachten Draht ("Todesdraht"), der zusätzlich mit einer weißen Linie markiert war, übertrat. Die Unterbringung fand in Steingebäuden, Baracken und zu Beginn in 1.549 Zelten statt. Die einwandigen Zelte boten Platz für acht bis zehn Personen. Die Unterkünfte galten als die schlechtesten aller Internierungslager der US-Zone. Das Haupttor befand sich an der Rheinstraße.

Das Internierungslager Darmstadt war das größte in der amerikanischen Zone. Aufgrund der Entnazifizierungsbestimmungen musste ab März 1946 jeder Deutsche ab dem 18. Lebensjahr einen entsprechenden Fragebogen ausfüllen. Die Inhaftierten waren Mitglieder der Waffen-SS, der allgemeinen SS, der Gestapo, der SA oder der NSDAP gewesen oder galten als "Mitläufer" des NS-Regimes. Leugnen half nichts: Da die Amerikaner im Juni 1945 die örtliche Kartei der Nazipartei entdeckt hatten, konnten sie jeden, der seine Mitgliedschaft abstreiten wollte, der Lüge überführen. Im Spruchkammerverfahren wurden die Angaben bewertet. Solange fand in der Regel eine Internierung statt.

Am 24. April 1946 waren von den 9.860 Internierten 2.573 Angehörige der Waffen-SS, 2.512 Mitglieder der Allgemeinen SS, 2.843 politische Leiter auf Ortsgruppenebene, 699 Kreisamtsleiter, 76 Kreisleiter, 451 Gestapoleute, 265 SA-Angehörige, 208 Angehörige des SD, 157 Gaustellenleiter, 55 Gauamtsleiter, 2 Gauleiter und 19 Generalstabsoffiziere.

Über die Naziverbrechen wurde im Lager kaum gesprochen: Zu 90 Prozent hätten sich die Gespräche um Gesundheit und Ernährung gedreht, heißt es in einem Zeitzeugenbericht. Nur in wenigen (von den Amerikanern zensierten) Briefen ist von Reue die Rede.

1947 waren über 55 Prozent der Lagerbelegschaft SS-Angehörige.

Von den 1947 252 inhaftierten Ärzten gehörten 75 Prozenz der SS an. Die medizinische Versorgung war im Vergleich zu der der Zivilisten in Darmstadt gut, die Versorgung mit Medikamenten besser.

Prominente Insassen des Lager waren (Lebensdaten aus [24])

Lagerleiter des Interniertenlagers war Jakob Weyand,  in den 1950er Jahren Präsident des Verbandes für Freiheit und Menschenwürde und Vorsitzender der "Frankfurter Jägervereinigung e. V."

Am 30. November 1946 waren 11.426 Menschen im Darmstädter Interniertenlager untergebracht. Sie kamen aus allen vier Besatzungszonen. In Spitzenzeiten waren 24.520 interniert (14.5.1946).

Im Lager waren zehn Spruchkammern eingerichtet (1946). Sie behandelten 9.913 Verfahren, mit folgendem Ergebnis:

Spruchkammerergebnis
Spruchkammerergebnis von 1946 [13]

Im Lager gab es eine "Lagerselbstverwaltung" mit einem "Oberbürgermeister" einem "Bürgermeister", "Stadtverordneten", "Stadträten" usw. Das sog. Lagergericht der Selbstverwaltung verhandelte vom 1. November 1946 bis zum 15. Februar 1947 37 Fälle von Kameradendiebstahl und sonstigen kriminellen Verstößen. Die Lagerselbstverwaltung gab die Lagerzeitung "Die Bergstraße" heraus, die nach 59 Ausgaben am 30. Oktober 1946 eingestellt wurde.

Das Lager ging am 1. November 1946 im Rahmen einer kleinen Feierstunde durch Oberst Clayton als Bevollmächtigten der 3. Amerikanischen Armee in deutsche Verwaltung über.

Am 11. Februar 1947 meldete das Darmstädter Echo, dass die Internierten bald zu Arbeiten der Trümmerbeseitigung herangezogen werden sollen. Bereits seit Januar waren täglich bis zu 100 Internierte bei der Trümmerbeseitigung und Trümmerverwertung eingesetzt. Der jeweilige Arbeitseinsatz fand jedoch nur zwischen 10 und 15 Uhr statt und wurde von zuverlässigen Wachkräften begleitet.

Im März 1947 waren 7.274 Internierte in Zelten untergebracht.

Am 7. August 1947 kam der Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Martin Niemöller, zu einem Vortrag über seine Amerika-Reise in das Lager.

Die Presse meldete am 14. Mai 1947, dass aufgrund einer Verfügung von OMGUS-Berlin (Office of Military Government for Germany) alle Personen, die nicht Mitglieder einer durch den Nürnberger Gerichtshof als verbrecherisch erklärten Organisation (SS, SD, Gestapo, NS-Führerkorps) gewesen sind, aus den Interniertenlagern entlassen werden, um in ihren Heimatorten vor die Spruchkammer gestellt zu werden. Dies betraf in Darmstadt etwa 450 Internierte.

Das Hessische Befreiungsministerium hat das Lager am 1. Oktober 1948 aufgelöst. Die Entlassenen sollten sich nach ihrem Umzug in ihre Heimatgemeinde vor den örtlichen Spruchkammern verantworten. Rund 50 Personen waren von dieser Entlassung nicht betroffen, sie wurden bis zu einem rechtskräftigen Spruch in das Durchgangsarbeitslager Darmstadt überführt.

Eugen Kogon, der spätere Politik-Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt und selbst von den Nazis in ein Konzentrationslager verbannt, kritisierte die Internierung:

"Kaum ein Nationalsozialist wird in einem Internierungslager zum Demokraten. Die Haft wird meist als Rache und Vernichtungswille empfunden. ... Der Aufwand für sie ist ungeheuerlich. Verlust an Arbeitskraft, Materialverbrauch - Im Darmstädter Lager allein monatlich 500.000 Liter Benzin, 110.000 Kilowattstunden Strom, während des Winters täglich 230 Kubikmeter bestes Nutzholz als Brennmaterial usw. usw. - Geld, das in die Hunderte von Millionen geht, keine "Umerziehung", im Gegenteil: Politische Verschlimmerung - das alles für eine fragwürdige "Gerechtigkeit" und eine gleicherweise fragwürdige "Sicherheit", da ja vier Fünftel nach der in die Wege geleiteten Abwicklung ohnehin entlassen werden müssen."

Weitere Informationen finden sich im Stichwort Lager.


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